Nach dreistündiger Diskussion verabschiedet der Kemptener Stadtrat Grünanlagensatzung mit knapper Mehrheit
Der Stadtrat hat am Ende namentlich abgestimmt und mit einer knappen Mehrheit von 21 zu 20 Stimmen die Neufassung der Grünanlagensatzung entschieden.
Damit ist eine seit Wochen geführte Kontroverse (wir berichteten) beendet. Hier die wichtigsten Streitpunkte und Änderungen zusammengefasst:
Kempten – Die ursprüngliche Absicht sei gewesen, das „gut 50 Jahre alte Ursprungswerk“ (Stadtdirektor Wolfgang Klaus) zu erneuern, mit dem Ziel der Deregulation, erzählte Nadine Briechle, Leiterin des Rechtsamtes. Das sei „nach hinten losgegangen“. In der vergangenen Zeit habe man eine enorme Entwicklung und eine klare Zuspitzung („Amerikanisierung“) erlebt, erklärte Klaus.
Kemptener Stadtrat diskutiert Grünanlagensatzung: Beratungsmaxime „Prinzip des sicheren Weges“
Um „möglichst viel Freiheit für die Bürger und wenig Haftung für die Stadt“ zu erreichen, habe man den Fachanwalt Dr. Georg Krafft beauftragt, die Vorgaben, die sich aus der relevanten Rechtsprechung ergeben, auf Kempten zu projizieren. Seine Beratungsmaxime sei das „Prinzip des sicheren Weges“, wobei er mit einem etwa 20-prozentigen „Sicherheitszuschlag“ arbeite, erklärte der Gutachter. In den Fällen, die man früher als Unglück hingenommen habe, brauche man heute einen Schuldigen. „Er wird gesucht und gefunden.“
Um die Stadt in solchen Fällen zu „enthaften“, benötige man diese Satzung. Anwälte müssten bei Haftungsfragen „ex ante“ arbeiten, das heißt, sie hätten die Aufgabe, auch zukünftige Entwicklungen in der Rechtsprechung im Voraus zu berücksichtigen, sonst seien sie selbst haftungspflichtig. Er persönlich „hasse“ Warnschilder und bevorzuge, die Angelegenheit durch eine Satzung zu regeln. Er fügte hinzu: „Wir wollen primär Unfälle vermeiden, nicht nur Schaden von der Stadt abwenden.“
Geht in Deutschland ein „Haftungsgespenst“ um?
„Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Haftungsgespenst“, erwiderte Alexander Hold (FW). Man müsse sich dagegen wehren, wo es gehe. „Wir müssen uns davor hüten, unnötige Ängste zu schüren.“ Diese Ängste hätten einige Gemeinden vor ein paar Jahren dazu veranlasst, Badegewässer zu schließen. Aber man werde in der Wirklichkeit nicht so schnell verurteilt, die Hürden seien hoch.
Er sei nicht bereit, „Kinder vorauseilend aus dem Sandkasten zu schmeißen“. Hier gehe es um Freiheitsrechte. Der eingeschlagene Weg sei „völlig abstrus und weltfremd“. Die Stadt habe lediglich die Aufgabe, die Risiken kleinzuhalten. „Die Leute kommen immer mehr weg von ihrer Eigenverantwortung“, stellte Ullrich Kremser (FDP) fest.
Im Dilemma
„Viele Städte kommen ohne aus. Will Kempten wieder aus der Reihe tanzen?“, fragte Andreas Kibler (FW). Jugendbeauftragter Dominik Tartler (FFK) fasste das Dilemma zusammen: Wenn man von der juristischen Seite herangehe, brauche man einen Sicherheitspuffer, aber aus der Sicht der Stadtgesellschaft schränke man das urbane Leben ein. Er erinnerte an das „Fitnessprogramm Starke Zentren“ (2022). Dort hieß es: Um ein buntes Stadtleben zuzulassen, braucht man Mut zur differenzierten Deregulierung.
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Haftung für Kinder
Grünanlagen sind „alle von der Stadt gärtnerisch gestalteten und unterhaltenen öffentlichen Grünflächen, Parkanlagen, Brunnenanlagen und Spiel- und Bolzplätze, sowie Freizeitsporteinrichtungen, die der Allgemeinheit unentgeltlich für Erholungs- und Freizeitzwecke dienen“, heißt die Definition in §1 (2) der Satzung. In den Anlagen werden diese genau aufgezählt.
§2 (3) untersagt Kindern bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres den Zutritt ohne eine erwachsene Aufsichtsperson. Bis zum vierten Lebensjahr bestehe keine Verkehrssicherungspflicht für die Kommune, da haften allein die Eltern, erklärte Krafft. Brisant sei das Alter danach, bis zum zehnten Lebensjahr. Hier verfügen die Kinder rechtlich gesehen, von § 828 BGB abgeleitet, nicht über die volle „Einsichtsfähigkeit“, das heißt, sie können die Gefahren nicht richtig einschätzen. Deshalb seien die Fünf- bis Zehnjährigen „eine besonders gefährdete Altersgruppe“.
Mit der Regelung in der Satzung komme die Haftung „zurück zu den Eltern und weg von der Stadt“, betonte Oberbürgermeister Thomas Kiechle. Eine Kontrolle sei in der Rechtsprechung nicht vorgeschrieben, antwortete Krafft auf die Frage von Thomas Hartmann (Grüne). Wenn ein Siebzigjähriger mit überhöhter Geschwindigkeit ein Kind überfahre, akzeptiere man auch nicht die Ausrede, er sei noch nie geblitzt worden. Ohne eine konkrete Beschwerde werde man auch in Zukunft nicht kontrollieren, versprach Klaus, und entkräftete hiermit auch die Sorge Kiblers, dafür zusätzliches Personal einstellen zu müssen. „Unkenntnis schützt vor Strafe nicht“, erwiderte Krafft auf den Einwand Holds, das Verbot sei ohne Schilder unwirksam, weil beispielsweise Tagesgäste dieses nicht kennen würden.
Als Beauftragte für Kinder und Familie sehe sie es nicht gerne, dass man kommunale Spielplätze als Gefahrenquellen definiere, meinte Katharina Schrader (SPD). Sie frage sich, ob es nicht reiche, dass alle TÜV-geprüft seien. Krafft als Dozent der Deutschen Richterakademie solle darauf hinwirken, dass die Richter andere Urteile fällen, riet sie.
Bürgermeisterin Erna-Kathrein Groll (Grüne) wies darauf hin, dass im ersten Absatz des genannten BGB-Paragrafen und bei anderen Urteilen das siebte Lebensjahr als Grenze genannt werde. Er sei relativ frei aufgewachsen, berichtete Kibler und fragte: „Wollen wir das unseren Kindern nicht mehr ermöglichen?“ „Die Kinder dürfen nach der Schule allein in der Salzstraße laufen, aber nicht mehr im Stadtpark?“, polemisierte Hold.
In der Satzung gehe es um die Regelung des sozialen Miteinanders und nicht um den Schulweg, entgegnete Krafft. Sie könne nicht zustimmen, weil sie eine attraktive Stadt haben wolle und nach ihrer Auffassung die Eltern allein hafteten, sagte Annette Hauser-Felberbaum (FW) und schlug vor, statt Schilder aufzustellen, den Kindern QR-Codes zum Scannen anzubieten. Thomas Kaser (parteilos) plädierte dafür, einfach die Formulierung „Eltern haften für ihre Kinder“ zu verwenden.
Kontroverse im Stadtrat um Badeverbot
Genauso umstritten war das in § 4 (4) ausgesprochene (nicht nur für Kinder geltende) Badeverbot in Teichen, Weihern, offenen Wasserflächen und Brunnen. Dafür, dass dieses für die Iller und den Stadtweiher ausgesprochen wird, hatten alle Verständnis. Auch die Argumentation, in den Brunnen bestehe Rutschgefahr und das Wasser dort sei nicht hygienisch, wie Briechle erläuterte, konnten die meisten akzeptieren.
Aber dass die Rinne des Mühlrads in der Gerberstraße und der Residenzbrunnen mit Rinne laut Verzeichnis dazu zählen, löste bei vielen Kopfschütteln aus. „Meint man mit Baden auch Fußbaden?“, fragte Hold. Das Badeverbot gehe völlig an der Lebensrealität vorbei, stellte Tartler fest. Wenn ein Schild das Baden verbiete und die Kinder trotzdem ins Wasser dürften, lernten sie, dass man Schildern nicht folgen solle, auch wenn sie mal sinnvoll seien. „Wenn wir dieses Pamphlet beschließen, müssen wir die Einführung mit einer Kommunikationsinitiative begleiten“, sagte er.
„Wie soll man dafür Verständnis bei den Bürgern wecken?“, fragte auch Kibler. Was hier passiere, schwäche die Demokratie, denn die Leute könnten in Bezug auf den Stadtrat fragen: „Haben die nichts anderes zu tun?“
„Wer ist die Stadt? Wer haftet?“, fragte Professor Robert Schmidt (CSU). Die Stadt habe eine unbegrenzte Haftpflichtversicherung, erläuterte Krafft, deswegen gebe es kein finanzielles Risiko. Aber ein strafrechtliches Verfolgungsrisiko decke keine Versicherung ab, dieses bestehe für die kommunalen Entscheidungsträger. Thomas Kreuzer (CSU) beantragte darauf eine namentliche Abstimmung.
Stadträte könnten definitiv nicht zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie eine Satzung erlassen, stellte Hold fest und zitierte Artikel 51 der Bayerischen Gemeindeordnung. Er finde es befremdlich, dass dadurch, wie bereits im Ausschuss, Druck ausgeübt werde, sagte er. „Alles Unfug, was Sie sagen!“, erwiderte Kreuzer. 14 Mitglieder stimmten dem Antrag von Kreuzer zu, damit war die notwendige Stimmenzahl von einem Drittel der Mitglieder erreicht. Zur Verantwortung gezogen werden könnten der OB, einzelne Mitarbeiter der Stadt, aber nicht die Mandatsträger, stellte schließlich Briechle klar.
Positive Änderungen
Fast untergegangen ist in der Diskussion, dass die Satzung in einigen Punkten liberalisiert wurde: In Zukunft wird das Ballspielen allgemein erlaubt, das Grillen in ausgewiesenen Bereichen gestattet und der Alkoholkonsum wird nur dann untersagt, wenn er der alleinige Zweck des Aufenthalts ist.
Bei dem Thema Cannabis-Verbot, von Walter Freudling (AfD) und Kreuzer aufgegriffen, müsse man die Ermächtigungsgrundlage der bayerischen Regierung abwarten. In einer öffentlichen Anlage könne man dies nicht mit einer Hausordnung regeln, weil dadurch auch Grundrechte betroffen seien, betonten Briechle und Krafft.
Man dürfe nicht vergessen, dass die Grünanlagen wichtige soziale Begegnungsstätten, die grüne Lunge der Stadt und deshalb etwas Positives seien, rief Erna-Kathrein Groll ihren Kolleginnen und Kollegen ins Gedächtnis.
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