Allrounder aus dem Osten: Der T-55 bleibt im Ukraine-Krieg unverzichtbar

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Die bewährten Panzer rasseln weiter; alte T-55 und neue Leopard kämpfen in der Ukraine im Verbund. Auch Russland entstaubt weitere Museumsstücke.

Kiew – Slowenien hat im Ukraine-Krieg gewonnen, als eines der ersten Länder: Ljubljana hatte relativ schnell nach dem russischen Überfall 28 alte Kampfpanzer M-55S an die Ukraine abgegeben. Deutschland hat an das jetzige Nato-Mitglied dafür 35 schwere Militärlastwagen mit Wechsel-Ladepritsche von Rheinmetall und fünf Tankwagen geliefert – ein lohnendes Geschäft, für alle Seiten. Doch immer noch macht das alte Streitross aus Sowjetzeiten gegenüber Wladimir Putins Truppen eine gute Figur, wie jetzt das Magazin Forbes schreibt.

Allerdings ist aus dem ursprünglichen Modell inzwischen ein Do-It-Yourself-Lazarus geworden. Nach zwei Jahren Krieg kämpft die ukrainische Armee vor allem darum, den Hybridpanzer passend zu modifizieren; in den eingesetzten Modellen werden die Wannen und Türme von sowjetischen T-55-Panzern aus den 1950er-Jahren mit modernen israelischen Feuerleitsystemen und einem klassischen 105-Millimeter-Hauptgeschütz aus Großbritannien kombiniert. Die mit 36 Tonnen eher leichten M-55S trafen Ende 2022 ein und schlossen sich als ein Bataillon der neuen 47. mechanisierten Brigade an. 

Der Panzer der kalten Krieger: auch für Putin unverzichtbar

Die Nato-ähnliche Einheit trainierte im Herbst und Winter mit den ehemaligen slowenischen Panzern, doch als die Zeit gekommen war, in Kiews seit langem geplante Gegenoffensive im Jahr 2023 Panzer in die Südukraine zu entsenden, erhielt die 47. Brigade das Upgrade des alten Kriegsgeräts.

Nach Recherchen der Neuen Zürcher Zeitung hatte aber auch die russische Armee zu Beginn des Ukraine-Krieges rund 2.000 der Panzer-Dinosaurier im Bestand. Allerdings waren der ukrainischen Militärführung offenbar Bedenken gekommen ob der Kriegstauglichkeit des angejährten Panzers. Sie verschob ihre Exemplare in eine weniger prioritäre Einheit; offenbar zur 67. Mechanisierten Brigade – allerdings weisen Quellen von ukrainischen Militärbloggern den M-55S noch der 47. Mechanisierten Brigade zu.

„Als dieses Fahrzeug im Westen bekannt wurde, waren auf einen Schlag alle westlichen Kampfpanzer der Zeit obsolet – der T-55 setzte einen völlig neuen Maßstab“, erklärte Franz Brödl vom österreichischen Heeresgeschichtlichen Museum in einem Youtube-Video. Überdies war er aufgrund seiner Bauweise sehr gut geeignet, punktuell nachgerüstet zu werden – Mitte der 1970er Jahre wurde eine moderne elektronische Feuerleitanlage entwickelt; mit neuen Zielgeräten, Feuerleitrechnern, Laserentfernungsmesser und einem Lasersensor. Rund 97.000 Exemplare dieses Typs wurden in den verschiedenen Sowjetstaaten in verschiedenen Ausführungen gebaut. Mit dem Zerfall der Sowjetunion war seine Götterdämmerung gekommen, von 1991 an wurden die meisten T-55 verschrottet.

Russische T-54 und T-55 Kampfpanzer in einem Armee-Schrottplatz in Kunduz/Afghanistan.
Museumsstück: Russische T-55 und T-54-Panzer auf einem afghanischen Schrottplatz. Rest-Exemplare sind noch im aktiven Kriegseinsatz. Allerdings schlagen sich die wenigen im Ukraine-Krieg hervorragend. © imago/TerryxMoore/StocktrekxImages

Angedachter Haupteinsatzzweck der Entwicklung, die unter Josef Stalin begonnen hatte, war der offensive Einsatz in großräumigen Operationen nach eigenen oder gegnerischen Kernwaffenschlägen – der T-55 ist der Kalte Krieger aus dem Osten. Gefechtshandlungen sollten dabei mit möglichst großen Panzerabteilungen im Verbund mit motorisierter Infanterie, Artillerie und anderen Teilstreitkräften sowie unter Deckung aus der Luft durchgeführt werden.

Es zeigte sich aber, dass der Panzer für fast alle Aufgaben unter fast allen Bedingungen einsetzbar war. Für den Ostblock ein Schweizer Messer. Wegen seines minimalistischen Konzepts konnte er über die Jahre hinweg mit geringem Aufwand technisch mit dem Niveau seiner westlichen Kontrahenten mithalten. Mit der Einführung neuer Kampfpanzer wie dem Leopard 2, M1 Abrams, beziehungsweise im Osten dem T-72, trat der T-55 ins zweite Glied zurück, wurde jedoch weiterhin sowohl von der Sowjetunion, als auch ihren Verbündeten in großem Umfang genutzt.

Der Panzer-Dinosaurier: eng verwandt mit seinen jüngeren Nachfolgern

Allerdings scheint er in der Ukraine weiterhin sein Comeback auszuleben. Inzwischen sollen die schmalen Bestände an M-55S in die 5. Panzerbrigade überführt worden sein. Die 2016 aufgestellte 5. Panzerbrigade war laut Recherchen des Blogs militaryland ursprünglich eine Reservepanzerbrigade der Streitkräfte der Ukraine. Die Einheit nahm an zahlreichen Übungen teil, hauptsächlich in der Nähe der besetzten Krim, wurde jedoch anschließend demobilisiert und blieb nur noch auf dem Papier bestehen.

Im Februar 2022 wurde die Brigade in der Süd-Ukraine neu aufgestellt, um die dortige Verteidigung zu verstärken. Aufgrund der Verluste anderer Panzer- und mechanisierter Brigaden wurden jedoch Panzer und Soldaten eingesetzt, um bereits bestehende Einheiten aufzufüllen, und die Brigade ging in anderen Verbänden auf. Im März 2023 wurde die Brigade als aktiv kämpfende Einheit reaktiviert. Entsprechend laufender Frontberichte soll ihre Ausrüstung ziemlich zusammengewürfelt sein, beispielsweise stehen dort wohl 100 deutsche Leopard 1A5-Panzer unter einem Kommando. Jetzt gehören zur Brigade auch die restlichen M-55S-Panzer aus Slowenien. Ansonsten listet militaryland noch zwei Versionen des T-72 in dieser Einheit auf.

„Die Panzer, die da durch die Gegend rollen, sind nicht so verschieden, wie das ihre T-Nummern andeuten“, sagte Ralf Raths, der Direktor des Deutschen Panzermuseums in Munster. Welches Baujahr auf welches treffe, sei seiner Meinung nach wenig gefechtsentscheidend. „Die Modelle, die da herumfahren, gehören alle zu einer Familie, mit nur kleinen Entwicklungsschritten zwischen den unterschiedlichen Nummern“, erklärte Raths ebenfalls auf Youtube. Andere Beobachter hatten sich bereits nach einem Jahr verwundert über den Einsatz des T-55 auf der Seite der Angreifer geäußert.

Der Minimalist: verlässlich und mit keinem Bauteil zu viel an Bord

„Diese Panzer wurden erstmals vor 67 Jahren bei der Niederschlagung des Aufstandes in Ungarn eingesetzt. Das deutet nachdrücklich darauf hin, dass die russische Rüstungsindustrie nicht in der Lage ist, schnelle ausreichend moderne Panzer herzustellen, von denen viele in den bisherigen Schlachten verloren gegangen sind“, sagte Russlandexperte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck Focus online. Der massive Einsatz zeige auch, wie viele Panzer die russische Armee in diesem Krieg bereits verloren habe, da Russland ursprünglich über ein großes Arsenal an modernen Kampfpanzern verfügte. „Dies deutet darauf hin, dass Moskau möglicherweise tief in seine Reserven greifen muss, um die Verluste auf dem Schlachtfeld in der Ukraine aufzufüllen“, wie Soldat&Technik schrieb.

Zu den Vorzügen des Dinosauriers gehören nach Einschätzung des stern seine verlässliche Technik; das meiste, was einen modernen Kampfpanzer ausmacht, fehlt dem T-55. Deshalb kann wenig kaputtgehen. Die Geschwindigkeit im Gelände von 45 km/h und mit 60 km/h auf der Straße ist langsam, aber er kommt vom Fleck. Die Stahlpanzerung des T-55 bietet wenig bis keinen Schutz gegen Beschuss aus modernen Panzern oder Lenkwaffen. Aber sie bewahrt die Besatzung vor Splittern oder Handfeuerwaffen.

Tatsächlich erweist sich der T-55 als weit tauglicher als sich das westliche Militärs gewünscht hätten. „Der Panzer, der den Krieg verkürzen könnte“, hatte die Neue Zürcher Zeitung Anfang 2023 über den deutschen Leopard geschrieben, was sich letztlich als realitätsfern erwies. Im Irak-Krieg mussten die Iraker ihre sowjetischen T-54/55 erst stoppen, um treffsicher zu feuern. Aber dazu kamen sie kaum, weil die amerikanischen Rohre viel weiter trugen und die Besatzungen schneller feuerten.

Für den ehemaligen Bundeswehr-Oberst Wolfgang Schneider könnten die alten Sowjetpanzer aber mit den Westpanzern unter den geographischen Gegebenheiten in der Ukraine auf Augenhöhe operieren. Vor allem an den Brennpunkten der Front im Süden und Südosten mit durchschnittenem Gelände und vielen Ortschaften, Flüssen und Industrieflächen wären die Vorzüge der westlichen Technik seiner Meinung nach auch von der besten Besatzung kaum zur Geltung bringen. Mit dem Alteisen aus Slowenien hatte also auch die Ukraine schon viel gewonnen. (Karsten Hinzmann)

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