Der Gaza-Krieg erfasst Israels Social Media: Stecken Russland und Iran dahinter?

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Eine Social-Media-Kampagne soll die israelische Gesellschaft spalten. Russland und der Iran könnten beteiligt sein. Die Plattform X reagiert kaum auf die Kritik.

Jerusalem – In den letzten Wochen wurde offenbar eine groß angelegte Social-Media-Kampagne gestartet, um Einfluss auf die Meinung der israelischen Bevölkerung zum Krieg in Israel zu nehmen. Dahinter könnte eine ausländische Kampagne stecken. Die Spur könnte nach Russland oder in den Iran führen - vielleicht auch zu beiden Ländern.

X-Eigner Elon Musk und Benjamin Netanyahu (vl.).
X-Eigner Elon Musk und Benjamin Netanjahu (vl.). © IMAGO

Alles begann mit einem Post auf X (vormals: Twitter). Das schreibt die israelische Zeitung Haaretz. Vor zwei Wochen habe ein Account namens Jennifer Louis dort zwei Bilder veröffentlicht. Eines von Benny Gantz, Kabinettsminister und Vorsitzender der nationalen Einheitspartei, der Noa Tishby umarmt. Tishby ist eine Schauspielerin, die eine Rolle als Sonderbeauftragte für die Bekämpfung der Delegitimierung Israels innehat. Das zweite Bild habe einen israelischen Soldaten im Gazastreifen gezeigt, der einen weiteren Soldaten trägt. Die Bildunterschrift habe „Menschen, die gut leben, und Menschen, die unter dem Schmerz des Krieges leiden“ gelautet. Inzwischen ist der Beitrag nicht mehr auffindbar.

Schlechtes Hebräisch von Fake-Accounts - Desinformationskampagne zum Krieg in Israel

Allerdings, so die Zeitung, sei der Beitrag nach seiner Veröffentlichung nicht sonderlich viral gegangen - was daran gelegen habe, dass Jennifer Louis‘ X-Konto erst eine halbe Stunde zuvor eingerichtet worden war. Dennoch sei er dutzende Male geteilt und geliked worden; Hunderten von Nutzern hätten ihn angesehen. Kurios sei, dass ein Großteil der reagierenden Konten ebenfalls am selben Tag erstellt wurden; teilweise seien die Profilbilder eindeutig KI-generiert gewesen. Insgesamt seien die Konten nur vier Tage aktiv gewesen - trotzdem genug Zeit, um Hunderte von Beiträgen in schlechtem Hebräisch zu verfassen.

Der Tenor sei in allen Beiträgen ähnlich gewesen: Die israelischen Streitkräfte würden den Krieg verlieren, die Armeeführung sei ein Verräter, die Geiseln würden niemals gerettet werden und Premierminister Benjamin Netanjahu sei ein Versager, der aus dem Amt gedrängt werden sollte. Zwischen politischen Beiträgen seien auch andere Posts gewesen: hauptsächlich Stockfotos von Sonnenuntergängen, Landschaften und Kaffeetassen. Dazu nichtssagende Kommentare wie „es ist so schön, den Morgen mit einer Tasse Kaffee zu beginnen und eine Liste mit Zielen zu schreiben“.

Gefühle von Angst, Verzweiflung und Chaos - Hinweise auf russische oder iranische Urheberschaft

Damit ist es jedoch nicht getan. Seit dem 24. Dezember seien israelische Nutzer sozialer Medien Ziel einer ausländischen Beeinflussungskampagne ausgeliefert, so Haaretz. Die oben genannten Konten seien nur ein kleiner Teil davon. Seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober seien systematische Bemühungen zu erkennen, im Netz Gefühle von Angst, Verzweiflung und Chaos zu schüren, um das Vertrauen in Regierung und IDF zu untergraben. Ihren Höhepunkt habe die Kampagne am 1. Januar erreicht, als israelische Social-Media-Seiten mit etwa 25.000 Anti-Israel- und Pro-Hamas-Posts überflutet worden seien.

Die Konten würden mithilfe virtueller privater Netzwerke (VPN) vorgeben, aus Israel oder Ramallah zu stammen und so ihre wahre Herkunft verbergen, so die Organisation „Active Info“ gegenüber der Zeitung. Schlechtes Hebräisch und oft unverständliche Texte würden auf die Verwendung von Google Translate hindeuten. Ein großer Teil der Beiträge enthalte ein umgekehrtes Fragezeichen, ein Hinweis darauf, dass zu Texteingabe arabische oder farsische Tastaturen benutzt worden seien. Zudem würden viele der beigefügten Hashtags ein Narrativ verbreiten, das die Ukraine beschuldige. Das weise auf eine russische oder iranische Kampagne hin - vielleicht sogar auf eine gemeinsame Operation. Zudem seien viele Konten frisch angelegt - also wohl nicht authentisch.

„Dieses Mal werden die Videos zu Tausenden angesehen“ - ist es den Betreiberfirmen egal?

Gleichzeitig seien die Macher der Kampagne bestens mit den israelischen Social-Media-Trends vertraut. Es würden Videos animiert und hochrangige Persönlichkeiten in den Beiträgen markiert, um mehr Beachtung zu erhalten. Die Analysetools, die die Forschenden von „Active Info“ verwenden, hätten insgesamt gezeigt, dass das Ausmaß der Kampagne gewaltig sei und eine große Investition an Zeit und Ressourcen erfordere. Obendrein erhielten die Posts ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit. „Die meisten Kampagnen, die wir bisher gesehen haben, erreichten die breite Öffentlichkeit nicht“, so ein Forscher gegenüber der Zeitung. „Aber dieses Mal werden die Videos zu Tausenden angesehen, und jeder Beitrag erhält Dutzende von Retweets und Likes“.

Versuche zur Bekämpfung der Desinformation würden von den Betreiberfirmen der sozialen Netzwerke erschwert. Diese würden gefälschte Konten und die Verbreitung von Lügen ignorieren, nicht zuletzt, weil dadurch die Verweildauer der Nutzer auf der Plattform und damit die Werbeeinnahmen steige. Nur selten werde ein gefälschtes Konto entfernt.

Die EU geht gehen X vor - Auch Elon Musk steht in der Kritik

Auch die EU hat in der Vergangenheit bereits die Nachlässigkeit von X kritisiert, nicht genug gegen die Verbreitung von Falschinformationen vorzugehen. Bereits am 13. Oktober leitete die EU-Kommission ein Verfahren gegen das Unternehmen X ein. Im Rahmen der verschärften europäischen Digital-Gesetze, dem sogenannte Digital Services Act (DSA) können bei Nichteinhaltung der Regeln empfindliche Strafen verhängt werden. Die Antwort von X-Chefin Linda Yaccarino auf ein Beschwerdeschreiben war für die EU-Kommission allerdings wenig zufriedenstellend, wie die ARD-„tagesschau“ berichtete. Yaccarino habe sich darauf beschränkt, allgemeine Plattform-Regeln und von X ergriffene Maßnahmen aufzuzählen.

Was ist der Digital Services Act (DSA)?

Der Digital Services Act (DSA) ist eine europäische Gesetzgebung, die darauf abzielt, das Funktionieren des digitalen Binnenmarkts zu verbessern und die Regulierung von Online-Dienstleistungen zu aktualisieren. Der DSA ist Teil des sogenannten „Digital Services Package“, das auch den Digital Markets Act (DMA) umfasst.

Der DSA soll die rechtliche Grundlage für Online-Plattformen und digitale Dienstleistungen in der Europäischen Union schaffen. Einige der wichtigsten Ziele sind:

1. Haftung und Verantwortlichkeit: Klarere Regeln für die Haftung von Online-Plattformen für die von ihren Benutzern erstellten Inhalte. Große Plattformen werden wahrscheinlich zusätzliche Verpflichtungen in Bezug auf Moderation und Entfernung illegaler Inhalte haben.
2. Transparenz: Forderungen nach mehr Transparenz über die Funktionsweise von Algorithmen und die Art und Weise, wie Inhalte moderiert werden.
3. Benutzerrechte: Stärkung der Rechte der Nutzer in Bezug auf den Umgang mit ihren Daten und die Kontrolle über die von den Plattformen gesammelten Informationen.
4. Wettbewerbsfragen: Der DSA arbeitet auch eng mit dem Digital Markets Act (DMA) zusammen, um den Wettbewerb im digitalen Bereich zu fördern und etwaige Missbräuche durch dominante Plattformen zu verhindern.

X-Eigner Elon Musk steht selbst ebenfalls wegen antisemitischer Inhalte in der Kritik. Im November hatten sich zahlreiche große Werbekunden - darunter IBM, Apple und Oracle - von der Plattform abgewandt. Sie hatten gezeigt, dass ihre Werbeanzeigen dort teils neben Beiträgen auftauchten, die nationalsozialistische Ideologie der verbreitet hatten. Auch ein Post von Musk selbst hatte für Aufregung gesorgt. Der Firmeneigner hatte einen Post befürwortet, in dem behauptet worden war, von jüdischer Seite werde „Hass gegen Weiße“ verbreitet. Musk ist von dieser Aussage nie abgerückt, er hat sie im Nachgang nur etwas relativiert. (tpn)

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