Von Gülle zu Strom: Wie eine Biogasanlage einen Bauernhof rettete

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Jungbauer Thomas Sigl (26) aus Reinsdorf bei Glonn auf dem Dach eines Fermenters. © PETER KEES

Ihre Biogasanlage hat Familie Sigl aus Glonn wohl den Betrieb gerettet. Und sie versorgt mehr Menschen, als man meinen möchte. Ein Besuch auf einem Hof, der Kreislaufwirtschaft mit Überzeugung lebt.

Glonn – Wacklig sind die Knie des Kälbchens, das seiner Mutter unterm Stallgitter durch entwischt ist. Für einen solchen Ausflug ist es noch zu klein: keine drei Stunden alt, das Fell feucht-zerzaust. Weil es mit etwas Anschubsen nicht zurückfindet, umschlingt Thomas Sigl mit einem „Oh mei!“ das gut 40 Kilo schwere Tierchen, mit den Armen und schleppt es zurück an die Seite der Kuh, die ihm zärtlich das Mäulchen abschleckt.

Hofeigene Biogasanlage erwirtschaftet durchgängig 260 Kilowattstunden Strom

Thomas Sigl, 26 Jahre, kurze Haare, glattes Kinn, ist einer, der anpackt. In Arbeitshose und Poloshirt marschiert er über den Familienhof in Reinstorf bei Glonn und rattert im Stakkato die Eckdaten herunter: 120 Milchkühe, ungefähr so viel an Nachzucht, zwölf bis 14 Tonnen Gülle am Tag, macht dank drei Blockheizkraft-Motoren und 8500 Volllaststunden im Jahr durchgängig ungefähr 260 Kilowattstunden Strom aus der hofeigenen Biogasanlage.

Ein frisch geborenes Kalb bei seiner Mutter im Stall: Sie stellen den Anfang der Kreislaufwirtschaft des Familienhofs in Reinsdorf bei Glonn dar.
Ein frisch geborenes Kalb bei seiner Mutter im Stall: Sie stellen den Anfang der Kreislaufwirtschaft des Familienhofs in Reinsdorf bei Glonn dar. © PETER KEES

Der Jungbauer bringt etwas fertig, das nicht allen Leuten gelingt: Er denkt so schnell, wie er spricht. Dann zitiert er technische Daten, gesetzliche Vorgaben und chemische Details genauso prompt aus dem Gedächtnis wie das Betriebswirtschaftliche. „Du musst stumpf kalkulieren“, sagt er darüber, weshalb die Familie nicht noch größere Fermenter gebaut hat.

„Ohne die Biogasanlage hätten wir keine Milchkühe mehr“: Zweites Standbein rettet Betrieb

Dann wären die Regularien zu aufwendig geworden. Deshalb ist die Anlage das, was Sigl mit einem Schmunzeln „halbscharig“, dann aber ernsthaft „unseren Mittelweg“ nennt. Er sagt auch: „Ohne die Biogasanlage hätten wir wahrscheinlich auch keine Milchkühe mehr.“ Als der Milchpreis im vergangenen Jahrzehnt im Keller war, habe sie als zweites Standbein den Betrieb durch das Tief getragen. Schon deshalb seien die vielen hunderttausende Euro an Investitionen in die Anlage sinnvoll gewesen, die seine Eltern, Martin und Karoline Sigl, über die zurückliegenden zwei Jahrzehnte gestemmt haben – in einen Besitz, den der Sohn in die Zukunft führen will.

Blockheizkraftwerk: Methan wird zu Strom und Wärme.
Blockheizkraftwerk: Methan wird zu Strom und Wärme. © PETER KEES

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„Die Kreislaufwirtschaft ist das Essenzielle“, sagt Sigl auch. Die Verwertungskette beginnt quasi mit dem ersten Klogang des frisch geborenen Kälbchens. Ein automatischer Schieber befördert seine und die Ausscheidungen seiner Stallgenossen Richtung Vorgrube. Von dort wird die Gülle in die Fermenter gepumpt, wo unter dem konstanten Einfluss der Rührwerke der Gärprozess abläuft. Auch Erntegut geringerer Qualität wie Ganzpflanzensilage verfüttert Sigl an die Biogasanlage. „Aber kein Getreide für den menschlichen Verzehr. Egal, wie der Preis ist, aus Prinzip“, sagt er. Über 20 Tonnen Material schluckt und verdaut seine Biogasanlage täglich insgesamt.

Biogasanlage versorgt neben Hof auch 34 Glonner Haushalte und elf Gewerbetreibende

Der Jungbauer ist auf das Dach eines Fermenters gestiegen. Zwischen den markanten Gasspeichern, die wie Rieseniglus aussehen, späht er, unterstützt von seiner Handytaschenlampe, durch ein Bullauge ins Innere. Nur ein träges Blubbern in der homogenen, braunen Brühe deutet auf den energetischen Wumms hin, den die Anlage unter der Haube hat. „Da sieht man nicht viel“, sagt er. Und man riecht auch nichts – das Gas soll im Inneren der Anlage seine Arbeit machen und nicht draußen herumstinken. Die Reste an Substrat, das vor dem Fermenter im Freien trocknet, kann man anfassen, ohne sich danach gleich die Hände waschen zu müssen.

Substratreste der Biogasanlage trocknen im Freien.
Substratreste der Biogasanlage trocknen im Freien. © PETER KEES

Das Blockheizkraftwerk verbrennt das entstehende Methangas kontinuierlich ratternd zu CO2 – zwar das bekannteste Treibhausgas, aber Methan wirkt in der Atmosphäre laut Umweltbundesamt 28 Mal klimaschädlicher. Ein Punkt, der für die Nutzung als Biogas spricht. „Und es ist die einzige regelbare erneuerbare Energie“, sagt Sigl. Der Strom, den der Reinstorfer Hof damit erzeugt, versorgt statistisch rund 700 Durchschnittshaushalte. Mit der Abwärme der Motoren trocknet der Bauer Heu und Hackschnitzel, heizt aber vor allem seine eigene Anlage, um den Gärprozess in Schwung zu halten – und über ein Fernwärmenetz gemeinsam mit einem Nachbarn, der eine Holzvergaser-Anlage betreibt, 34 Glonner Haushalte und elf Gewerbebetriebe, rechnet er vor.

Jungbauer möchte weiter in Biogas-Strom investieren: „Wenn er hier nicht produziert wird, dann woanders“

Die Überreste gehen als Dünger zurück aufs Feld, nach rund 200 Tagen Verweildauer in der Biogasanlage mit nahezu gleichem Nährstoffgehalt wie davor, erklärt Thomas Sigl. Und da er sowohl die Versorgung seiner Biogasanlage als auch die seiner Kühe mit seinem Ertrag aus rund 160 Hektar bestreiten könne, beginnt der Kreislauf mit dem Verfüttern von Heu und Silage an das Milchvieh wieder von vorn. Dazwischen gewinnt der Hof aus dem Ertrag seiner Felder Milch, Fleisch, Strom und Wärme. Der Bauer spricht bewusst von „Veredelung“, auch bei der Gülle, die er nicht Abfall- sondern Nebenprodukt nennt.

Er muss schon jetzt in die Zukunft denken. 2028 läuft die Preisgarantie von 21 Cent pro Kilowattstunde für den Strom aus, den er ins allgemeine Netz einspeist. Neue Investition oder ein Rückbau – beide Optionen sind offen. Lieber wäre ihm aber die erstere – und dass ihm nicht irgendwann der wachsende Verordnungsdschungel den Biogashahn abwürgt. Den zuverlässigen Strom aus dem Fermenter braucht es für die Energiewende, ist der Landwirt überzeugt. Er sagt über die regionale Wertschöpfung, bei der Energie, Material und Geld in der Gegend bleiben: „Wenn er hier nicht produziert wird, dann woanders.“

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