Experte: Wolfgang Grupp hat Unglaubliches geleistet – doch als Vorbild taugt er nicht
- Im Video oben: Onaran über Grupp: "So möchte er in Erinnerung bleiben, das hat er mir gesagt"
Er ist der Inbegriff des bodenständigen Unternehmers: Wolfgang Grupp, Herr über Trigema, über Jahrzehnte hinweg. Er produziert in Deutschland, zahlt pünktlich, haftet mit seinem Privatvermögen – und stellt sich regelmäßig vor seine Mitarbeitenden.
Dafür gebührt ihm Respekt. In einer Zeit, in der viele Unternehmen in Briefkastenfirmen verschwinden, bleibt Grupp sichtbar. Und verlässlich.
Doch genau in dieser Stabilität liegt auch das Problem. Denn wer sich nicht verändert, wird selbst zum Risiko – besonders dann, wenn er Ratschläge gibt, die im Hier und Heute eher nach Denkmalschutz als nach Zukunft klingen.
Der Unternehmer Wolfgang Grupp als Moralinstanz, aber nicht als Vorbild
Wolfgang Grupp, der vorige Woche in einem Aufsehen erregenden Brief mitteilte, dass er sich habe das Leben nehmen wollen und unter Altersdepressionen leide, fliegt mit dem eigenen Helikopter – gleichzeitig betont er bei jeder Gelegenheit, er lebe „nicht im Luxus“.
Das mag aus seiner Sicht stimmen, doch es ist ein Statement aus einer Welt, in der der Maßanzug als Bescheidenheit durchgeht.
Über Christoph Maria Michalski
Christoph Maria Michalski ist „Der Konfliktnavigator“ – renommierter Streitexperte, Autor des neuen Buches „Streiten mit System – Wie du lernst, Konflikte zu lieben“ und gefragter Redner. Seine praxiserprobten Methoden helfen Führungskräften und Teams, auch knifflige Situationen souverän zu meistern. Mit einem ungewöhnlichen Dreiklang aus Musikpädagoge, Erwachsenenbildner und IT-Profi bringt er Verstand, Gefühl und System in Einklang. Sein Versprechen: weniger Stress, mehr Erfolg, mehr Leichtigkeit. Privat ist er Zauberer, Marathonläufer und Motorradfan – ein lebendiger Beweis dafür, dass Energie und Kreativität keine Gegensätze sind.
Grupp lebt das Unternehmerleben nach seinem eigenen Kodex. Das ist beeindruckend, aber auch hochgradig egogesteuert. Wer dem Chef nicht ins System passt – ob als Bewerber für Hamburg oder als Vater in Elternzeit – gilt schnell als „nicht belastbar“, „inkonsequent“ oder gar „schlecht“.
In einem Interview sagte er wörtlich: „Wenn sich einer aus Hamburg bei mir bewirbt, dann kann der nur 'ne super Flasche sein. Wenn er gut wäre, dann hätten die Hamburger ihn selbst behalten“. Das mag als Pointenspruch gedacht gewesen sein – doch er offenbart die Haltung: Die Welt hat sich seiner Ordnung unterzuordnen, nicht umgekehrt.
Verantwortung – aber bitte nur mit Haftung
Grupp betont, er übernehme Verantwortung, weil er haftet. Das ist ehrlich – aber auch begrenzt. Verantwortung im 21. Jahrhundert bedeutet mehr als Zahlen und Verträge. Sie umfasst emotionale Intelligenz, psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz, Führungsstile, die auf Dialog und Diversität beruhen.
Wer heute Mitarbeiter pauschal unterstellt, sie ließen sich „zu leicht krankschreiben“, trifft nicht den Kern des Problems, sondern reproduziert ein Misstrauensklima.
Die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz ist kein Zeichen von Schwäche – sondern eine zentrale Führungsaufgabe.
Wolfgang Grupps Ratschläge wirken wie aus einer anderen Zeit
Wolfgang Grupp wird oft als Vorbild stilisiert – insbesondere in Talkshows, auf Unternehmerkongressen oder in Social Media, wo er als „letzter echter Chef“ gefeiert wird. Doch genau hier beginnt die Verantwortung der Öffentlichkeit:
Wenn seine Haltung zur Ukraine lautet, man solle besser verhandeln als verteidigen, wenn Digitalisierung als „unnötiger Firlefanz“ abgetan wird oder flexible Arbeitsmodelle als Luxusproblem – dann hilft das niemandem, der heute Teams führt, Generation Z verstehen will oder globale Lieferketten im Blick hat.
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"Streiten mit System: Wie du lernst, Konflikte zu lieben" von Christoph Maria Michalski
Grupp steht für eine Welt, in der Klarheit mit Härte verwechselt wurde und Fürsorge mit Kontrolle. Diese Haltung ist verständlich – aber kein Rezept für zukunftsfähige Organisationen.
Was wir aus Grupp lernen können – und was wir besser machen müssen
Wolfgang Grupp ist kein Mann des Zweifelns. Und genau darin liegt seine Stärke – und seine Schwäche. In einer Welt, die zunehmend komplex, vielfältig und dynamisch ist, genügt es nicht mehr, nur Prinzipien zu haben. Man muss sie hinterfragen können.
Die zukunftsfähige Führung von Unternehmen braucht heute keine autoritäre Vaterfigur – sie braucht Persönlichkeiten mit Urteilsfähigkeit, Lernbereitschaft und der Fähigkeit zur Ambiguitätstoleranz: also zur inneren Aushaltung von Gegensätzen.
- Eindeutigkeit ersetzt keine Empathie. Wer, wie Grupp, Klartext redet, kann Orientierung geben – aber er darf nicht übersehen, dass Führung heute Beziehung bedeutet. Die Frage ist nicht nur: Was muss getan werden? Sondern auch: Wie geht es den Menschen dabei?
- Haltung ohne Reflexion wird zur Pose. Dass Grupp mit Maßanzug und Helikopter von „Nicht-Luxus“ spricht, ist nicht verwerflich – aber es zeigt: Wer Vorbild sein will, muss sich seiner Wirkung bewusst sein. Führung bedeutet heute auch, gesellschaftliche Verantwortung glaubwürdig zu verkörpern – nicht nur wirtschaftlich zu liefern.
- Verantwortung heißt heute mehr als „Ich hafte“. Verantwortung in der modernen Arbeitswelt umfasst: psychische Sicherheit, gesunde Unternehmenskultur, faire Sprache, Diversität. Wer das ignoriert, hinterlässt keine stabile Organisation – sondern eine tickende Zeitbombe aus Frust, Fluktuation und Vertrauensverlust.
- Führungsstärke misst sich an Lernfähigkeit, nicht an Rechthaberei. Ein Unternehmer, der sagt, Digitalisierung sei überflüssig oder junge Leute seien nicht belastbar, verkennt die Realität. Die Welt von heute verlangt nicht mehr Härte, sondern mehr Humor, Neugier und Adaptionsgeschwindigkeit.
Wolfgang Grupp hat Unglaubliches geleistet. Er hat ein Unternehmen durch Jahrzehnte geführt, produziert in Deutschland und lebt eine Form von Verantwortung, die selten geworden ist. Doch wer ihn als Vorbild für morgen darstellt, macht es sich zu leicht.
Die Kritik an Wolfgang Grupp ist keine Abwertung seiner Lebensleistung – sondern der Versuch, seine Ratschläge dahin zu rücken, wo sie hingehören: in die Geschichtsbücher der Industriekultur. Nicht in die Strategieleitfäden von morgen.
Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.