Grupps Bekenntnis: Was es mit Machtmenschen macht, wenn sie alles abgeben müssen

Die Frage, was es mit einer Führungspersönlichkeit wie Wolfgang Grupp macht, wenn sie Macht abgeben muss, ist nicht nur eine wirtschaftliche oder organisatorische. Sie ist zutiefst existenziell. Wer über Jahrzehnte sein Leben, seinen Sinn, seine Identität mit einem Unternehmen verwoben hat, der steht am Ende nicht nur vor dem Ruhestand – sondern vor einer Leere und dem Ende des Lebens und damit seinem Lebenswerk.

Grupp und andere leben für ihr Unternehmen

Unternehmer wie Grupp leben für ihr Werk. Sie sind das Unternehmen. Seine Vision – ein anderes, oft menschlicheres Wirtschaften gegen Gewinnstreben und Globalisierung zu ermöglichen – war der Ausgangspunkt. Seine Mission, Menschen sichere Arbeitsplätze und dadurch Halt zu geben, hat ihn angetrieben. Das gab Sinn. 

Wenn diese Vision erfüllt oder nicht mehr weiterverfolgt werden kann, wenn die Mission endet oder übergeben wird, wenn schließlich die körperliche und mentale Kraft schwindet, beginnt ein schleichender Identitätsverlust. Aufmerksamkeit weicht Stille. Und plötzlich kommt die Frage: Wofür bin ich jetzt noch da?

Ungewohnte Leere

Viele Top-Manager und Unternehmer fallen in dieses Loch, weil sie Stille nie geübt haben, weil sie nicht vorbereitet waren auf das Ende des Lärms, der vollen Terminkalender, der Entscheidungen, der Dienstreisen. Einem Leben voller Verpflichtungen, und Erfüllung, voller Macht und Einfluss, und Ablenkungen. 

Man könnte nun meinen, ein guter psychologischer Rat wäre, sich rechtzeitig andere Lebensinhalte und sinnstiftende erfüllende Momente außerhalb der Karriere oder des Unternehmens zu suchen. Für Menschen wie Grupp aber war die Karriere kein Teil des Lebens – sie war das Leben.

Stille üben

Hier geht es um mehr als nur um Altersdepression wie Grupp in seinem Brief geschrieben hat: hier geht es um Sinnfindung nach der Karriere. Das Leben von Topunternehmern wie Grupp sollte nicht mit der Machtübergabe enden, sondern eigentlich neu beginnen – mit der Aufgabe, sich selbst wieder zu begegnen. 

Es geht darum, Stille zu üben, lange bevor sie unvermeidbar wird. Im Übrigen für jeden von uns. In kurzen Augenblicken, in Meditationen, im Kloster oder bei einem Spaziergang. Innehalten, spüren und lernen, dass man Sinn nicht nur im Gestalten finden kann, sondern auch im Loslassen.

Das ist die vielleicht größte Herausforderung für Menschen, die gewohnt waren, alles zu lenken: Stille zu ertragen und darin Sinn zu finden.

Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.

Sie leiden an Suizidgedanken? Eine Anlaufstelle für alle Menschen in psychischer Not ist die Telefonseelsorge mit den deutschlandweiten Telefonnummern 08001110-111 oder -222.

Wenn Sie sich Hilfe suchen möchten und nach einem ambulanten Therapieplatz suchen, können Sie bei der 116117 anrufen. Dort werden Ihnen Anspechpartner und Termine vermittelt. 

Die Internetplattform „Freunde fürs Leben“ gibt Hilfestellung bei drohendem Suizid. Die AGUS ist eine bundesweite Selbsthilfeorganisation für Trauernde, die einen nahestehenden Menschen durch Suizid verloren haben. Weitere Informationen finden Sie auch bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Ein Verzeichnis von Beratungsstellen finden Sie hier: Suizidprophylaxe.de.