Massive Rabatte und Insolvenzen: Steckt die Radlbranche in der Krise?
Überfüllte Lager, massive Rabatte und sogar Insolvenzen: Die Fahrradbranche in Deutschland scheint in einer tiefen Krise zu stecken. Im Landkreis geben sich die Händler aber relativ gelassen.
Landkreis – Wir erinnern uns: Während der Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns gab es außer Toilettenpapier nur zwei Dinge, die die Menschen wirklich brauchten: Wohnmobile zum kontaktarmen Verreisen. Und Fahrräder – vorzugsweise E-Bikes – für den Corona-konformen Ausflug in die Natur. Mittlerweile ist die Nachfrage nach Wohnmobilen wieder deutlich zurückgegangen. Und in der Fahrradbranche kämpft manch einer mit Corona-Spätfolgen der etwas anderen Art.
Denn nachdem gefühlt zunächst jeder ein Fahrrad haben wollte, bestellte so mancher Händler viel zu große Mengen an Drahteseln, die aber dann mitunter stark zeitverzögert geliefert wurden: Manchmal erst, als die Nachfrage aufgrund etwa von Ukrainekrieg und Inflation bereits wieder deutlich zurückging.
Wie Marcel Manke, Store-Manager von vit:bikes in Weilheim, erklärt, hätte so mancher Zulieferer in Asien zu Beginn der Pandemie nicht mehr produziert. Die Hersteller hätten deshalb an die Händler appelliert, größere Bestellungen zu tätigen, weil sie davon ausgegangen seien, dass nur ein Teil davon geliefert werden würde. „Aber am Ende kam dann doch alles“, so Manke. Er kenne zahlreiche Betriebe, die deshalb derzeit mit Problemen zu kämpfen hätten, weil sie bestellte Fahrräder natürlich bereits bezahlt hatten, sie nun aber nicht alle verkaufen könnten; darunter eben auch viele schon wieder veraltete Modelle etwa aus 2021.
Im Internet, aber auch bei stationären Händlern, „die falsch eingekauft haben“, würden deshalb Fahrräder zu „absoluten Ramschpreisen“ verkauft; zwischenzeitlich habe der Nachlass auf den eigentlichen Listenpreis sogar bei bis zu 70 Prozent gelegen. Und sogar auf Modelle aus diesem Jahr gebe es mitunter 30 Prozent Rabatt. „Es geht nur darum, die Räder los zu werden.“ Sein Geschäft in Weilheim sei von den Problemen aber nicht betroffen, denn es wurde erst im März 2024 eröffnet.
Manke warnt davor, sein Radl online zu kaufen, denn: Nur wer seinen Drahtesel bei einem stationären Händler erwerbe, könne auch mit kostenloser Beratung und Service rechnen. Darauf setze auch sein Geschäft, um gegen die Niedrigpreise anderer Händler anzukommen; unter anderem dürften die Kunden ausgedehnte Probefahrten machen und bekämen einen 3D-Körperscann, um das für sich passende Fahrradmodell zu finden.
Optimismus bei Radsportgeschäft in Schongau: „Wir sind auf einem guten Weg“
Dass die Branche derzeit mit Problemen zu kämpfen hat, weiß auch Helmut Lerf vom gleichnamigen Radsportgeschäft in Schongau. Vor allem vor rund zwei Jahren sei die Lage allgemein „dramatisch“ gewesen. Sein Lager sei aber mittlerweile bereinigt. „Wir sind auf einem guten Weg.“ Er habe auch während der Pandemie vorsichtig georderte, denn es sei absehbar gewesen, dass der überhitzte Trend zum Rad nur eine coronabedingte Zeiterscheinung war.
Wie Lerf erklärt, müsse das Lager ein Jahr im Voraus disponiert werden. Während der Pandemie seien es sogar zwei Jahre gewesen. „Selbst wenn du da auf der vorsichtigen Seite bist: Es hat ja niemand eine Kristallkugel.“ Viele Hersteller hätten unter anderem wegen unterbrochener Lieferketten die Ware dann aber zunächst gar nicht liefern können. Teilweise hätten sie aber die Preise kräftig angezogen – und das mitunter sogar noch nach dem Eingang einer Bestellung.
„Mafiöse“ Strukturen der Hersteller
Lerf spricht in diesem Zusammenhang von regelrecht „mafiösen“ Strukturen. Denn: Bestellte Ware müsse bezahlt und könne auch nur schwerlich und durch die Zahlung einer Stornogebühr zurückgezogen werden. „Wir haben eine Abnahmeverpflichtung.“ Ein Hersteller habe sogar versucht, ihn zu zwingen, seine Bestellung zu verdoppeln, mit dem Verweis, dass ja eh nicht alles geliefert werden könne. Doch diesen Vertrag habe er nicht unterschrieben.
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Entspannt ist die Lage beim „Radlflüsterer“ in Penzberg. Er habe nur noch wenige Lagerbestände aus der Coronazeit, sagt Alexander Gstrein. Denn er sei mehr auf Reparaturen denn auf Verkäufe spezialisiert. Doch auch er weiß von den derzeitigen Problemen der Branche. Viele Händler hätten ihre Lager noch voll, und auch einige Hersteller seien mittlerweile insolvent gegangen. Letztere würden derzeit auch oft hohe Rabatte für Händler und Endkunden bieten. Seiner Ansicht nach ist die Nachfrage nach E-Bikes aber auch nach der Pandemie ungebrochen. Verstärkt würden Arbeitgeber ihren Mitarbeitern nun auch Leasing-Angebote machen. Und dazu erfreue sich das Gravel-Bike zunehmender Beliebtheit.