Eigentor für die Grünen? Merz‘ Schuldenspielraum wächst
Die Grünen stimmten dem Finanzpaket von Union und SPD unter Bedingungen zu. Ökonomen befürchten, dass dies der Regierung mehr Möglichkeiten für zusätzliche Schulden bietet.
Berlin – Nachdem sich die Grünen zunächst gegen das geplante Finanzpaket in Milliardenhöhe von Union und SPD ausgesprochen hatten, stimmten sie diesem nach Verhandlungen am Sonntag zu – jedoch unter bestimmten Bedingungen. Neben höheren Investitionen in den Klimaschutz setzten die Grünen auch die Ergänzung einer Klausel zu den Verteidigungsausgaben durch. Ökonomen befürchten, dass dies der Regierung mehr Spielraum für zusätzliche Schulden verschafft. Haben sich die Grünen damit ein Eigentor geschossen?
Union, SPD und Grüne einigen sich auf Finanzpaket – Grüne erhandeln mehr Geld für Klimaschutz
Während des Wahlkampfes hatte sich CDU-Chef Friedrich Merz häufig gegen eine Änderung der Schuldenbremse ausgesprochen. Jetzt ist er doch bereit, gemeinsam mit der SPD die Schuldengrenze zu lockern. Auf 500 Milliarden Euro an Sondervermögen für Infrastruktur und ein teilweises Aussetzen der Schuldenbremse bei Verteidigungsausgaben hatten sich die SPD und die Union Anfang März geeinigt.
Merz‘ Umschwung führt zu Kritik, unter anderem von der Jungen Union und nicht zuletzt auch von den Grünen. Um die erforderliche Mehrheit für die Gesetzesänderung zum Finanzpaket zu sichern, benötigen die SPD und die Union bis zum 24. März die Zustimmung der alten Bundesregierung – und damit der Grünen. Daher nahmen die Parteien Verhandlungen mit den Grünen auf, die die gesamte Nacht von Sonntag andauerten.

Das Ergebnis: Merz macht Zugeständnisse beim Klimaschutz, und die Grünen erkämpfen sich weitere Klauseln in der Einigung. Von den 500 Milliarden Euro an Sondervermögen, das auf zwölf Jahre angesetzt ist, sollen hundert davon in den Klimaschutz fließen, statt nur 50 Milliarden Euro, wie Merz bestätigt. Sie sollen in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) gehen, um den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft zu finanzieren, wie die Nachrichtenagentur AFP meldete. „Ein Grüner werde ich sicher nicht. Aber ein Kanzler, der sich der umweltpolitischen Verantwortung stellt“, verkündete Merz gegenüber der Bild am Sonntag.
Weitere Fassung des Verteidigungsbegriffs: Mehr Schuldenspielraum für SPD und Union
Weitere hundert Milliarden Euro gehen an die Länder, um die Kommunen in Angelegenheiten wie der kommunalen Wärmeplanung zu unterstützen. In den ersten Details der Einigung heißt es, die Länder dürfen insgesamt 0,35 Prozent des Bruttoninlandsprodukts (BIP) an Schulden aufnehmen. Also rund 16 Milliarden Euro für alle Bundesländer zusammen, so Merz.
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Weiterhin soll die Ausgaben im Verteidigungsbereich von der Schuldenbremse ausgenommen werden, wenn diese die ein Prozent Hürde des BIP überschreiten. Hier verhandelten sich die Grünen eine Ausweitung des Begriffs. So sollen neben Verteidigungsausgaben, auch „die Ausgaben des Bundes für den Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie für die Nachrichtendienste, für den Schutz der informationstechnischen Systeme und für die Hilfe für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten“, letzteres umfasst die Hilfen in die Ukraine.
Die weitere Fassung des Verteidigungsbegriffs könnte laut Tobias Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) den „Spielraum noch mal vergrößern.“ In einer Berechnung, die dem Handelsblatt vorliegt, geht er von einem steigenden Schuldenspielraum von neun auf 22 Milliarden Euro aus – das sind 13 Milliarden Euro an zusätzlichen Krediten, die SPD und CDU zur Verfügung stehen. Der Ökonom Jens Südekum ergänzt, dass die Einigung auch die Bürgergeldzahlungen an Geflüchtete aus der Ukraine mit einschließt, da es ohne Krieg auch keine Geflüchteten gebe, daher ist es „nachvollziehbar, dies mit einzubeziehen.“
Zusätzliche Grünen-Klausur soll „Verschiebebahnhof beim Sondervermögen“ einschränken
Ebenso bestanden die Grünen darauf, dass das Sondervermögen nur genutzt werden darf, wenn zehn Prozent der Mittel in Investitionen fließen. Dies würde den Spielraum für 2025 begrenzen, da noch ein Haushaltsloch von 20 Milliarden Euro zu stopfen ist. Das habe laut Grünen-Haushaltspolitiker Sebastian Schäfer den großen „Verschiebebahnhof beim Sondervermögen“ verhindert, wie das Handelsblatt schreibt, aber „zur Euphorie gibt es deshalb keinen Grund.“ Weiterhin erklärt Ifo-Präsident Clemens Fuest im Bericht: „Die Gefahr einer Zweckentfremdung der Kreditmittel wurde nicht gebannt, aber reduziert.“ Die Klausur zur ‚Zusätzlichkeit‘ der Grünen bezeichnet er daher als positiv.
Alles in allem wird der neue Schuldenstand laut Einigung in den nächsten zehn Jahren nominal rund 1,7 Billionen Euro höher ausfallen als ohne die Änderung, wie Hentze berechnet. In ähnlicher Weise bestätigt auch Jens Hogrefe, Finanzwissenschaftler am Institut für Wirtschaftsforschung (IfW), diese Berechnung. Er prognostiziert ein strukturelles Staatsdefizit von 3,5 bis 4 Prozent in den kommenden Jahren, im Vergleich zu den 2 Prozent im Jahr 2024. „Wie wir von diesem Ast wieder runterkommen, bleibt unklar“, sagt er gegenüber dem Handelsblatt.
Zweidrittel Mehrheit im Bundestag noch ungewiss – Merz spricht über zusätzliche Sparmaßnahmen
Am Dienstag, 18. März, soll über das Finanzpaket im Bundestag abgestimmt werden. Merz sieht sich der Mehrheit der Stimmen zuversichtlich. Doch neben den Stimmen der Grünen braucht es Unterstützung aus den Reihen der Freien Wähler in Bayern oder von Landesregierungen mit Beteiligung der Linkspartei, BSW oder FDP. CDU, CSU, SPD und Grüne kommen insgesamt auf nur 41 Stimmen, benötigt werden jedoch 46. Laut Medienberichten trifft sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder daher am Montag noch mit Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger zu einer Krisensitzung, wie die AFP meldete.
Trotz der geplanten Schuldenaufnahme sprach Merz am Sonntagabend im ARD über nötige Einsparungen „in den öffentlichen Haushalten Bund, Länder und Gemeinden.“ Er fügte hinzu: „Die Spielräume sind nicht größer geworden.“