Kultur als Waffe gegen Rechtsextremismus: Protest mit Liedern und Gedichten im Hinterhalt
Im Geltinger Hinterhalt setzten rund 60 Besucher am Wochenende bei Liedern, Gedichten, Impro-Theater und Lesungen ein Zeichen für die Demokratie.
Geretsried/Gelting – Seit diesem Frühjahr versammeln sich in Wolfratshausen und Geretsried Menschen aller Altersgruppen, um gegen das Wiedererstarken rechtsextremistischer Gruppen und Parteien zu demonstrieren. Höhepunkt der Aktionen und Kundgebungen war am Freitag der abwechslungsreiche Abend „Kultur trägt Demokratie“ in der Geltinger Kulturbühne Hinterhalt.
Geretsrieds Altbürgermeisterin rief dazu auf, wählen zu gehen
„Ob jemand gegen das Unrecht aufsteht, ist nicht Sache seiner Weltanschauung, sondern seines Herzens“, zitierte Mit-Initiatorin Rita Wahl den Schriftsteller Ernst Wiechert. Der 1950 verstorbene Autor lebte von 1936 bis 1948 unterhalb des Bergkramerhofs in Wolfratshausen. 1938 verschleppten ihn die Nationalsozialisten ins Konzentrationslager Buchenwald, aus dem er nach internationalen Protesten nach zwei Monaten entlassen wurde. Bis zum Kriegsende stand der Oppositionelle unter Beobachtung der Gestapo.

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„Die Demokratie ist nun erneut gefährdet“, verdeutlichte Moderator Martin Lorenz den Ernst der Lage. Die Geretsrieder Altbürgermeisterin Cornelia Irmer gab ihm recht und rief die rund 60 Besucher zur Teilnahme an der Europawahl am 9. Juni auf. „Stimmen Sie für demokratische Parteien und nicht für Mogelpackungen, die das nur vorgeben“, appellierte sie. Irmer erinnerte daran, dass regierungskritische Kulturgruppen nach wie vor auch in einigen europäischen Staaten unterdrückt werden. „Wir brauchen Kultur und Demokratie“, stellte Irmer fest. Bernie Maisberger, Sänger der Münchner Speedfolk-Band IRXN, lieferte dazu musikalische Argumente. „Sie sind wieder da, aus dem Sumpf sich erhoben/und tritt’s du ihnen nicht entgegen, dann bestimmen sie bald schon dein Leben“, sang Maisberger. Im Laufe des dreistündigen Abends gab er mit seiner Gitarre unter anderem umgetextete Klassiker von Bob Dylan und John Lennon in bayerischer Mundart zum Besten.

Grundgesetz wird Teil des Impro-Theaters
Ein erschütterndes Kontrastprogramm boten die Lesungen des Wolfratshauser Ehepaars Lucia und Hans Schmidt. Waren die Textauszüge aus Josef Bierbichlers Generationenroman „Mittelreich“ noch einigermaßen verträglich, so schockierten die schriftlichen Aufzeichnungen über das Euthanasie-Programm der Nazis umso mehr. Lucia Schmidt berichtete von Familien, deren behinderte Angehörige Anfang der 1940er-Jahre in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee ermordet wurden.
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Nach diesen deprimierenden Zeitzeugnissen verordneten Rita Wahl und Martin Lorenz dem Publikum erst einmal eine kurze Verschnaufpause und riefen danach zum interaktiven Improvisations-Theater auf. Der Herausforderung, das seit 75 Jahren bestehende Grundgesetz, oder Zivilcourage pantomimisch darzustellen oder vorgegebene Sätze beliebig zu erweitern, waren zwar nicht alle Teilnehmer gewachsen. Als Hans Gärtner, Nicoline Pfeiffer, Bernie Maisberger und Willi Sommerwerk jedoch abschließend wieder zu ihren Gitarren griffen, ging’s deutlich harmonischer zu.
Maisberger zeigte sich auf Nachfrage unserer Zeitung beeindruckt von der positiven Grundstimmung des Abends, sprach aber auch über eine Blase von Gleichgesinnten. „Hier mussten wir niemanden mehr überzeugen“, gab er zu bedenken. Umso wichtiger sei es, seine Meinung auch in der direkten Konfrontation mit Demokratiefeinden zu vertreten.
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