Kemptener Tourismusbeirat diskutiert über die Auswirkungen der Verkehrsberuhigung auf den Handelsumsatz

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Wichtige Schnittstelle: Am Rande der Fußgängerzone in der Innenstadt mit 2.500 Fahrradstellplätzen und Umsteigemöglichkeiten in Fern-, Regional- und Stadtverkehr befindet sich der hell beleuchtete Bahnhof Nørreport in Kopenhagen. Braucht man in Kempten Ähnliches, natürlich in anderen Maßstäben? © Fischer

In welchem Verhältnis stehen die notwendige Verkehrsberuhigung in der Innenstadt und die Interessen des Einzelhandels? Was lockt die Menschen ins Stadtzentrum und wie kommen sie hin? Über diese Fragestellungen diskutierten die Mitglieder des Kemptener Beirats für Tourismus und Stadtmarketing.

Kempten – „Beim Thema Mobilität befinden wir uns in der unkomfortablen Zone des Übergangs und diese ist ruppig“, sagte Christian Hörmann von der Cima Beratungs- und Management GmbH in seinem Einführungsvortrag im Beirat für Tourismus und Stadtmarketing. Da der öffentliche Raum begrenzt sei, komme es bei einer weitreichenden Neuverteilung der Flächen schnell zu tiefgreifenden Konflikten. Die Bürgerinnen und Bürger müssten gewohnte Verhaltensweisen ändern, was meist unbequem sei. Außerdem benötige man für die klimafreundliche Umgestaltung der Mobilität erhebliche Investitionen.

Was wird besser durch die Alternativen?

Hörmann hält es für essenziell, im ersten Schritt die Frage nach den Bedürfnissen der Menschen zu stellen. Diese könnten je nach Zielgruppe (z. B. Kunden, Touristen, Geschäftsreisende, Pendler, Studenten, aber auch Einheimische) unterschiedlich ausfallen. Deshalb müsse man innerhalb der Stadtgesellschaft gut verhandeln und die Entscheidungen und den Weg dazu transparent gestalten. Die Änderungen wie ein Medikament zu verordnen, funktioniere nicht. Eine positive Herangehensweise sei zielführender: Was wird besser durch die Änderung? Warum und wo macht es mehr Spaß, mit einem alternativen Verkehrsmittel zu fahren?

„Die Mobilität der Zukunft ist multimodal“, stellte der Experte fest. Entscheidend für die Attraktivität seien die Schnittstellen. Digitale Lösungen spielten hierbei eine sehr große Rolle.

Auto: das dominante Verkehrsmittel

In Deutschland ist das Auto weiterhin das dominante Verkehrsmittel, 57 Prozent aller Wege und 75 Prozent aller Personenkilometer werden mit ihm zurückgelegt. Die Zahl der Kraftfahrzeuge steigt jedes Jahr ungebrochen. Gleichzeitig werden hierzulande mehr Fahrräder als Autos verkauft. Jede fünfte Person fährt jeden Tag Rad. Wichtig sei es, auf die Verbraucher zu schauen, betonte Hörmann. „Wir diktieren nicht, wie der Deutsche zu fahren hat, wir schaffen Angebote.“

Kempten mit großem Einzugsgebiet

Zum Einzugsgebiet von Kempten zählen laut Hörmann Orte, aus denen die Stadt innerhalb von 45 Minuten erreichbar sei. In diesem Bereich leben ca. 500.000 Menschen. „Viele alternative Transportmittel im festgelegten Raum gibt es nicht“, stellte er fest. Die Stadt Kempten als Wirtschaftsraum lebe davon, dass sie diese bediene. Zu den Schlüsselfragen zählten: Welches Erreichbarkeitsimage hat die Stadt? Wo sind die Übergabestationen (sichere Abstellplätze für PKW oder Fahrräder)? Kümmert man sich um die Leute nach dem Besuch, damit sie wieder kommen?

Mobilitätskonzepte sollten zielgruppenorientiert aufgestellt sein. ‚Wer kommt zu uns?‘, heiße die erste Frage, erst danach komme die nach dem Wie. Hörmann empfahl, das Mobilitätskonzept in Kempten in diesem Sinne zu evaluieren.

Kemptener Beirat für Tourismus und Stadtmarketing diskutiert: Das ist für die attraktive Innenstadt wichtig

Für eine attraktive Innenstadt spielen die Einkaufsmöglichkeiten weiterhin die wichtigste Rolle (56 Prozent, vor zehn Jahren waren es noch 75 Prozent). Eine immer größere Bedeutung bekommen Faktoren wie öffentliches Grün (17 Prozent), das gastronomische Angebot (17 Prozent), die Sauberkeit (16 Prozent) und die Aufenthaltsqualität (10 Prozent). Im Bereich der Mobilität wünschen sich die Menschen die Verbesserung der Fußgängerfreundlichkeit (85 Prozent), Parkplätze am Innenstadtrand (80 Prozent) und günstige Anbindungen mit dem ÖPNV (79 Prozent).

Am Beispiel der niederländischen Stadt Leiden, in der es, ähnlich wie in Kempten, für den PKW wenig Alternativen gibt, zeigte Hörmann auf, was möglich ist: Helle und digitalisierte Parkhäuser mit breiten Stellplätzen nah an der Altstadt signalisieren, dass Autos willkommen sind (25 Euro Gebühr für einen halben Tag). Mehr Grün, breite Gehwege, Fahrradstraßen, ruhige Plätze mit Aufenthaltsqualität und attraktive Geschäfte üben auf die Menschen eine große Anziehungskraft aus.

Speziell in Kempten sollte man sich dafür einsetzen, dass die Stadt mit allen Verkehrsmitteln optimal erreichbar bleibe. Live-Informationen über gut vernetzte Mobilitätslösungen müssten für eine bequeme Nutzung sorgen. Am Innenstadtrand brauche man gute Parkmöglichkeiten, im Zentrum bessere Wege für Fußgänger, Radler und E-Scooter. Der ÖPNV und das Fahrradwegenetz müssten ausgebaut werden.

Bedeutung inhaber­geführter Geschäfte

Joachim Saukel (FW), Beauftragter für Tourismus und Stadtmarketing, betonte, dass Innenstädte mit Erlebnischarakter und inhabergeführten Geschäften für junge Menschen weiterhin attraktiv seien. Hörmann bestätigte, auch in Großstädten hätten vor allem Bereiche mit austauschbarem Einzelhandel Probleme. Es lohne sich, für eine attraktive Innenstadt zu kämpfen, fügte Saukel hinzu.

Der Zenit des Einzelhandels sei überschritten, erklärte Oberbürgermeister Thomas Kiechle. Der Verlust müsse durch eine Vielzahl an Parametern, wie beispielsweise durch die Ansiedlung von Gewerbe kompensiert werden. Den Umbau der Mobilität möchte er nicht radikal, aber konsequent vorantreiben.

Vorhandene Ressourcen besser nutzen

Man benötige keine weiteren Parkplätze, sondern man sollte die vorhandenen Ressourcen besser ausnutzen, indem man die Kommunikation über Parkmöglichkeiten verbessere, betonte Christian Campagna von Reischmann. „Wie bringt der Kunde die Tüte nach Hause?“, sei in seinen Augen die entscheidende Frage, für die man einfache Antworten brauche.

Das wichtigste Ziel sei, die Berufspendler dazu zu bringen, den ÖPNV zu nutzen. So werden Parkplätze für andere Zielgruppen frei, sagte Helmut Berchtold (CSU). „Das gelingt uns nicht schlecht“, meinte er.

Mehr Mut für neue Lösungen

Man sollte nicht die „alten Rezepte“ weiterdenken, sondern Mut haben für neue Lösungen, so Thomas Hartmann (Grüne). Man müsse sich von der Vorstellung verabschieden, immer einen Kofferraum dabei zu haben. Das Ziel müsse sein, die Alternativen zum Auto miteinander zu verzahnen und sichere Abstellmöglichkeiten für die Fahrräder und für die Einkäufe (z. B. Schließfächer) zu schaffen. Der ÖPNV, die Fuß- und Radwege seien in Kempten bereits besser als ihr Ruf.

„Wir müssen aufpassen, dass wir die Attraktivität der Innenstadt nicht mit dem Verkehr kaputtfahren“, sagte Mobilitätsmanager Stefan Sommerfeld. Menschen würden sich gerne für das Fahrrad umentscheiden, wenn die Strecke schön zum Fahren sei. Hörmann bedauerte, dass Tempo-30-Zonen auf Bundesstraßen weiterhin nicht möglich sind.

Timo Haller (Hotel St. Raphael) berichtete über seine Erfahrungen in Köln: Dort sei es für die Arbeitgeber selbstverständlich, für jeden Mitarbeiter ein Job-Ticket zu kaufen.

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