Am Eierschlupfloch: Bayerns kuriosester Bahnübergang ist zu – Bauernhof bis 2028 zweigeteilt

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Hier ist jetzt dicht: Voraussichtlich bis Ende 2028 ist der Bahnübergang Wiesham für alles und jeden gesperrt. © sro

Der Bahnübergang in Wiesham hat für bundesweites Medieninteresse gesorgt. Nun ist die Schranke abgebaut und der Weg bis Ende 2028 gesperrt. Für den Huberhof mit seinen Tausenden Freilandhühnern bedeutet das fast vier Jahre Zweiteilung. Ein kleiner Durchschlupf macht dies einigermaßen erträglich.

Wiesham bei Grafing - Josef Kendlinger, den Kleinlaster voller frisch gefärbter Ostereier, kommt nicht mehr durch. Der Hühnerlandwirt aus Wiesham bei Grafing spechtet aus dem Führerhäuschen Richtung Bahnübergang, wo ein halbes Dutzend Männer in Orange gerade Bauzäune, Sperrbaken und Verbotsschilder in Stellung bringt. „Jetzt war ich a halbe Stund zpät!“, rumpelt der 70-jährige Seniorbauer. Seit Dienstagmorgen ist der Wieshamer Bahnübergang dauerhaft gesperrt, voraussichtlich bis Ende 2028. Bis dahin, ist der Wieshamer Huberhof der Familie Kendlinger vom Bahngleis zweigeteilt. Auf der einen Seite Tausende Hühner mit Stall und Freilandwiese. Auf der anderen Seite das Hofgebäude mit dem Eierverkauf. „Es ist schon sehr beschwerlich für unseren Hof“, spricht Kendlinger einer Sat1-Reporterin ins Mikrofon und schüttelt den Kopf. Dann schmunzelt er: „Vielleicht hilft das ganze Medieninteresse, damit es ein bisserl schneller geht!“

Ein Fernsehteam interviewt den Seniorbauern, der mit einer Ostereierlieferung am frisch gesperrten Übergang steht.
Ein Fernsehteam interviewt den Seniorbauern, der mit einer Ostereierlieferung am frisch gesperrten Übergang steht. © sro

Die berühmteste Bahnschranke Bayerns ist Geschichte

Wiesham besteht aus einer Handvoll Bauernhöfe und Wohnhäuser – und seit einigen Monaten dem berühmtesten Bahnübergang Bayerns. Von Bild bis ZDF wollten alle die Tag und Nacht von sechs Schichtarbeitern im Handbetrieb betätigte Notschranke sehen, nachdem die Ebersberger Zeitung darüber berichtet hatte. Nun kommt kein Auto, kein Radfahrer, kein Fußgänger mehr drüber. Weil mit der Wieshamer Schranke laut Bahn drei weitere, mit ihr verschaltete Übergänge in Grafing gleichzeitig repariert werden müssen, zieht sich die Sache.

Es ist schon sehr beschwerlich für unseren Hof.

Ein Stück abseits des Geschehens steht im blauen Fleecepulli, Arbeitshose, Arbeitsschuhen und mit verschränkten Armen der Chef auf dem Huberhof, Sepp Kendlinger junior (41), und schaut zu, wie sein Vater das nächste Fernsehinterview gibt. Während ein ums andere Auto in der Wiese wendet, weil es nicht mehr durchkommt, erzählt der Bauer von wilden Szenen, die sich zuletzt an dem provisorischen Übergang zugetragen hätten. Ein Autofahrer habe sogar einen der Schrankenposten angefahren, der ihn am Überfahren des gesperrten Übergangs hindern wollte. „Ich bin froh, wenn das vorbei ist“, sagt er mit lakonischem Schmunzeln über den Medienrummel. Mit den Umständen aus der Baustelle muss Kendlinger nun runde vier Jahre leben.

Umleitung in Wiesham bei Grafing: Bahnübergang bis Ende 2028 gesperrt

Der Autoverkehr wird über Grafing und Ebersberg geleitet. Auch für Fußgänger und Radfahrer, die dort in überschaubarer Zahl unterwegs sind, gibt es vertretbare Alternativen, konstatieren Bahn und Grafinger Rathaus. Die örtlichen Landwirte bekommen eine Umfahrung über einen Feldweg in Richtung Ebersberg, damit sie nicht durchs verkehrsberuhigte Wohngebiet müssen. Dafür wird sogar die hauptsächlich als Radweg genutzte Unterführung unter der B 304 zwischen Grafing-Seeschneid und Ebersberg-Aßlkofen ein Stück abgesenkt, um den Traktoren ein besseres Durchkommen zu ermöglichen.

Der rettende Durchschlupf, damit Sepp Kendlinger an seine Hühnereier kommt: Einen Viehtriebtunnel auf seinem Grundstück hat die Bahn zur provisorischen Stallzufahrt ertüchtigt. Mit Lieferwagen und Traktor ist der Umweg 2,5 Kilometer lang.
Der rettende Durchschlupf, damit Sepp Kendlinger an seine Hühnereier kommt: Einen Viehtriebtunnel auf seinem Grundstück hat die Bahn zur provisorischen Stallzufahrt ertüchtigt. Mit Lieferwagen und Traktor ist der Umweg 2,5 Kilometer lang. © sro

Zweieinhalb Kilometer Umweg sind zu viel: Ein alter Tunnel ist die Rettung

Für Huberbauer Kendlinger, das haben die Beteiligten eingesehen, ist dieser Zweieinhalb-Kilometer-Umweg zu seinem nur einen Steinwurf entfernten Hühnerstall nicht zumutbar. Sechs bis acht Mal am Tag sehe er dort nach dem Rechten, miste aus, füttere die Hühner, sammle die Eier ab, die von dort aus verpackt und ausgefahren würden. Glücklicherweise hat sich auf seinem Grund im wahrsten Wortsinn ein Schlupfloch aufgetan, ein Eierschlupfloch gewissermaßen: ein alter Viehtriebtunnel, gut zweieinhalb auf zweieinhalb Meter weit, den die Bahn zur provisorischen Stallzufahrt ausgebaut hat. „Das ist die einzig mögliche Lösung“, sagt Kendlinger, als er hindurchspaziert ist. Wenigstens mit dem Radl, dem Auto und dem kleinen Hoflader komme er durch. Größere Maschinen, Traktoren und der Eierlieferwagen müssen außen rum.

Das geht beschwerlich, wie der Senior sagt. Aber immerhin geht’s. Bauer Kendlinger treibt etwas anderes um: dass die Kunden nicht mehr so zahlreich zu seinem Eierhofverkauf und Christbaumverkauf kommen. „Unsere größte Befürchtung ist, dass es nimmer im Vorbeifahren geht. Jeder Mehraufwand ist ein Kaufhindernis.“

Sepp Kendlinger, Huberbauer von Wiesham, am Eierdurchschlupftunnel.
Sepp Kendlinger, Huberbauer von Wiesham, am Eierdurchschlupftunnel. Im Hintergrund der Freiland-Hühnerstall mit Wiese. © sro

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