Therapie-Projekt mit Ehrenamtlichen soll Flüchtlingen bei psychischen Problemen helfen

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In Gemeinschaftsunterkünften wie hier in Miesbach bleiben psychische Leiden meist unentdeckt und unbehandelt. © Thomas Plettenberg

Unterbringung, Bezahlkarte, Anerkennungsverfahren – das sind die Schlagworte, die beim Thema Asyl meist im Vordergrund stehen. Weniger präsent ist der einzelne Mensch, der nach Deutschland geflüchtet ist und allein schon deshalb viel erlebt hat.

Miesbach – Meistens zu viel, wie Max Niedermeier feststellt. Deshalb begrüßt es der Integrationsbeauftragte des Landkreises Miesbach sehr, dass das Projekt Traumahilfe demnächst im Landkreis startet.

„Viele dieser Menschen sind krank“, stellt Niedermeier fest. Doch während körperliche Beeinträchtigungen erkannt und behandelt werden, bleiben die psychischen Wunden meist unentdeckt und damit unbehandelt. Was fatale Folgen haben kann – nicht nur in der Gemeinschaftsunterkunft, sondern auch später in der Gesellschaft, nach der Anerkennung als Flüchtling.

Max Niedermeier Integrationsbeauftragter des Landkreises
Max Niedermeier, Integrationsbeauftragter des Landkreises. © THOMAS PLETTENBERG

Diese Schwachstelle will die neue Traumahilfe beheben. Ab April soll sich 14-tägig eine Gruppe aus 15 bis 20 Personen – schwer traumatisierte Menschen ab 16 Jahren – für jeweils drei Stunden treffen. Therapeuten sollen die Gruppe zusammen mit geschulten Ehrenamtlichen und Sprachmittlern leiten. Acht Ehrenamtliche werden laut Niedermeier aktuell geschult.

Finanziert wird das Projekt „Traumapädagogische Intensivgruppe für den Landkreis Miesbach (für Geflüchtete und Nicht-Geflüchtete)“ über die Aktion Mensch, die die Kosten für drei Jahre mit rund 170 000 Euro unterstützen will. Der Antrag ist gestellt, aber noch nicht bewilligt. Doch es sehe gut aus, meint Niedermeier.

Die Gesamtkosten liegen bei 190 000 Euro. Als Träger fungiert der gemeinnützige Verein PIA (Pakt für Integration und Arbeit), dessen Vorsitzender ebenfalls Niedermeier ist und zu dem auch das Netzwerk Integration gehört. Die Differenz in Höhe von rund 20 000 Euro wird über Spenden gedeckt.

Der Ablauf funktioniert laut Niedermeier so: Helfer, die nun psychologisch ausgebildet werden, erkennen in den Gemeinschaftsunterkünften Menschen, die ein traumabedingtes Problem haben könnten, und bieten ihnen Hilfe an, indem sie diese zu Gruppentreffen einladen.

Fachliches Netzwerk unterstützt

Als Koordinator des Projekts tritt der Helferkreis Tegernsee auf, an dessen Spitze Projekt-Initiatorin Veronika Bauer steht. Sie wird unterstützt von der Hallen-Ärztin Dr. Susanne Drost. Das E-Werk sowie die katholische Pfarrei in Tegernsee würden Räume zur Verfügung stellen. Unterstützt wird die neue Traumahilfe von der Traumapädagogischen Intensiv-Gruppe für Geflüchtete (TRIGG), die mit dieser Arbeit im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen bereits Erfahrung gesammelt hat, sowie deren Trägergesellschaft Helpernet, die die gezielten Fortbildungen übernimmt. Mit der KBO-Lech-Mangfall-Klinik in Agatharied wird eng kooperiert.

„Therapieplätze“, sagt Niedermeier, „sind generell Mangelware“. Bei den Geflüchteten komme die sprachliche Barriere hinzu. Deswegen werde die Gruppentherapie auch von Sprachmittlern begleitet.

Das Prinzip heißt wie so oft: Hilfe zur Selbsthilfe. Profis und Ehrenamtliche sollen in der Gruppentherapie ein Handwerkszeug für den Alltag vermitteln. Probleme erkennen, ansprechen – das ist der erste Schritt.

„Vieles wird verdrängt“

„Vieles wird wochen-, monate-, jahrelang verdrängt“, weiß der PIA-Vorsitzende. Gerade die Afrikaner hätten schlimmste Fluchterfahrungen gemacht. Und auf den Ukrainern lasten die Angst und die Gräuel des Krieges in der Heimat. „Flucht durch die Wüste, übers Meer, zerbombte Häuser, Angst um Familienangehörige – das macht etwas mit den Menschen.“ Zumal viele entwurzelt seien ohne ihre Familien, ohne das gewohnte soziale Gefüge ihrer Heimat, das dem Einzelnen Sicherheit gebe.

Unbewusste Auslöser für Angst, Aggression, Lethargie, Depression, Flashbacks und Schlafstörungen – all dies gilt es, in den Gruppensitzungen hervorzubringen. Dann könne man individuell Stabilisierungstechniken anwenden, die helfen sollen, den Automatismus des jeweiligen Traumas zu durchbrechen. Das bedeutet laut Niedermeier auch für das Umfeld weniger Belastung. Und es entlaste das Gesundheitssystem, das sich nur noch auf die schweren Fälle zu konzentrieren braucht.

Mehr Zeit für Therapiegespräche

Warum die Traumahilfe in dieser improvisierten Form funktioniert, beschreibt Niedermeier so: „Sie haben mehr Zeit und sind näher an den Menschen dran.“ Und es sei besser als nichts. „Agatharied ist ja schon mit der einheimischen Bevölkerung überlastet.“ Außerdem stellt er fest: „Im Trauma sind wir Menschen uns alle ähnlich, unabhängig von der Herkunft.“ Doch auch die Möglichkeiten der Ehrenamtlichen haben Grenzen. Damit sie diese erkennen, werden sie psychologisch begleitet.

Die Bürden, die der einzelne Geflüchtete mit sich herumtrage, werden von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, bedauert Niedermeier. Mit der Bezeichnung als Wirtschaftsflüchtling tut er sich deshalb besonders schwer: „Es sind zuerst mal Kriegsflüchtlinge.“ Und dass sie nach Deutschland kommen, sei ihr gutes Recht. „Wenn man auf der Flucht ist, geht man doch dahin, wo man für sich die besten Möglichkeiten für die Zukunft sieht.“

Gründe, die Heimat zu verlassen, gebe es viele. In Eritrea und Somalia sei es zum Beispiel der Militär- und Polizeidienst, für den man zehn Jahre lang verpflichtet werde und in dem man mit Gewalt gegen seine Mitmenschen vorgehen müsse – gerade für viele Christen ein Problem, erklärt Niedermeier.

Mit der Traumahilfe wird nun versucht, die Wunden der Seele zu heilen. Ein spannendes und vor allem wichtiges Projekt, das gelingen wird – davon ist Niedermeier überzeugt. „Niemand soll abgewiesen werden.“

ddy

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