"Panik ist ein schlechter Ratgeber": US-Zölle auf Arzneimittel kommen bald - was das für Patienten bedeutet

„Bedeutende“ Zölle kündigte US-Präsident Donald Trump auf importierte Arzneimittel an. Nach Angaben von Wirtschaftsminister Howard Lutnick sollen diese wohl zeitnah kommen.

In der Nachrichtensendung „This Week“ des US-Senders „ABC“ erklärte Lutnick am Sonntag, dass sowohl für Arzneimittel als auch für Halbleiter „in ein, zwei Monaten“ Zölle erhoben werden. 

Geplante US-Zölle auf importierte Arzneimittel sind "nicht verhandelbar"

Die geplanten Branchenzölle für Arzneimitteln seien „nicht verhandelbar“, betonte der Wirtschaftsminister, da sie grundlegende Bestandteile der nationalen Sicherheit seien. 

„Unsere Medikamente, unsere Halbleiter und unsere Elektronik müssen in Amerika hergestellt werden“, sagte Lutnick. „Wir können uns bei fundamentalen Dingen nicht auf andere Länder verlassen.“

Am Montag leitete die US-Regierung dann Untersuchungen zu Pharma- und Halbleiterimporten ein – eine vorbereitende Maßnahme für die Einführung von Zöllen aus Gründen der nationalen Sicherheit.

"Erhebliche Folgen für Patientenversorgung und Wirtschaftsstandort"

Für die Pharmabranche in Deutschland sind das keine guten Nachrichten. Schließlich sind die USA der wichtigste Export- und Importpartner im pharmazeutischen Bereich. Außerdem arbeiten beide Länder eng bei der Entwicklung und Produktion innovativer Medikamente zusammen, etwa bei der RNA-Forschung zur Behandlung von Krebserkrankungen.

Apotheker und Vertreter der Pharmaindustrie blicken den angedrohten Zöllen daher mit Sorge entgegen.

„Erheben die USA Zölle auf Arzneimittel, hätte das erhebliche Folgen für die Patientenversorgung und den Wirtschaftsstandort“, sagt der Verband Forschender Arzneimittelhersteller auf Anfrage von FOCUS online. 

Branchenzölle könnten einerseits zum Einbruch der deutschen Arzneimittelexporte führen, von denen rund ein Drittel in die USA geht, erklärt Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin des Branchenverbandes Pharma Deutschland. Für exportierende Firmen wäre das „eine ernsthafte Gefährdung“, da sie auf dem US-Markt aufgrund ihrer höheren Preise weniger wettbewerbsfähig seien.

„Gegenzölle der EU würden umgekehrt die Arzneimittel in Deutschland teurer machen, die Vorprodukte aus den USA beziehen“, sagt die Pharma-Hauptgeschäftsführerin. Umso mehr, da bei der Erstellung eines Medikaments die Bestandteile häufig zwischen den USA und Europa hin- und hergeschickt werden.

Wenn Produktionskosten wegen Zöllen steigen, ziehen sich Hersteller zurück

Weitergeben lassen sich die gestiegenen Kosten auf dem deutschen Markt allerdings nicht. 

„In Arzneimittelmärkten ist die Preisbildung staatlich reguliert. Verschriebene Arzneimittel haben keine freien Preise“, ergänzt Thomas Preis, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), auf Anfrage von FOCUS online. 60 Prozent der Arzneien, die in Apotheken abgegeben werden, unterliegen langfristigen Rabattverträgen.

Diese vereinbaren gesetzliche Krankenkassen mit Pharmaherstellern, um für ihre Versicherten die geringsten Preise für verschreibungspflichtige Medikamente herauszuholen. Das einzige Kriterium ist der Preis, der Anbieter mit dem höchsten Rabatt bekommt den Zuschlag.

Wenn die Produktionskosten für Arzneimittel aufgrund der Zölle steigen, mutieren diese regulierten Preise jedoch zur Herausforderung. „Zölle können zu einer unwirtschaftlichen Produktion von Arzneien führen“, erklärt ABDA-Präsident Preis. Viele Produzenten ziehen sich aus der Herstellung von Arzneimitteln zurück, wenn die Herstellungskosten größer sind als der festgelegte Preis, den die Produzenten für das Medikament bekommen. 

„Im Bereich der generischen Arzneimittel, auf die viele Menschen täglich angewiesen sind, wäre das eine echte Bedrohung“, sagt Brakmann. Schon jetzt fehlen 543 Medikamente. „Insofern gilt auch für Gegenzölle, dass es keine Gewinner gibt.“

"Das ist die Folge des Hauptsache-Billig-Prinzips"

Andererseits verursachen die Zölle auch einen härteren Konkurrenzkampf auf dem europäischen Markt. „Die US-Zölle auf chinesische Waren könnten nun dazu führen, dass China seine Arzneimittel noch aggressiver in den deutschen Markt drückt“, sagt Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, zu FOCUS online.

Bereits jetzt würden Generika, also patentfreie Medikamente wie Antibiotika oder Schmerzmittel, überwiegend in China und Indien hergestellt. „Schon heute sind wir massiv abhängig von China. Das ist die Folge des Hauptsache-Billig-Prinzips, nachdem in Deutschland jahrelang Generika eingekauft wurden“, sagt Bretthauer.

Wenn chinesische Hersteller nun energischer in den Markt drängen, könne das Deutschlands „Abhängigkeit vergrößern“ und die nationale „Versorgung gefährden“. „Denn: China hat die Abhängigkeit strategisch herbeigeführt und könnte sie im Ernstfall politisch ausnutzen“, sagt der Pro-Generika-Geschäftsführer. „Jetzt rächt sich – ähnlich wie beim russischen Gas – dass Deutschland so lange billig gekauft hat.“

Das bekräftigt auch ABDA-Präsident Preis: „Leider werden zu viele Wirkstoffe nur von wenigen Herstellern produziert. Wir müssen dringend die Herstellung  diversifizieren. Es ist nicht gut, dass wir bei Arzneimitteln abhängig sind von wenigen Staaten.“

Eroberung des Arzneimittelmarktes durch chinesische Hersteller „nicht zu befürchten“

Dass chinesische Produzenten den Markt erobern, hält Brakmann jedoch für eher unwahrscheinlich. Schließlich unterlaufen Arzneimittel auf dem europäischen Markt einen Zulassungsprozess mit hohen Anforderungen. 

„Wer auf den deutschen Markt kommen will, braucht noch eine zusätzliche Zulassung. Anders als in anderen Branchen ist nicht zu befürchten, von chinesischen Arzneimitteln überschwemmt zu werden“, sagt die Geschäftsführerin von Pharma Deutschland.

In Zeiten dieser Unsicherheiten auf den Arzneimittelmärkten begrüßt sie den Critical Medicines Act der EU-Kommission. Dieser Gesetzentwurf will die Medikamentenversorgung sichern, Lieferketten diversifizieren und die Produktion von Arzneimitteln in Europa stärken.

„Die Leute müssen sich keine Gedanken machen“

„Auch wenn die Arzneimittelversorgung krisenfester werden muss, heißt das nicht, dass sie aktuell massiv bedroht ist“, sagt Brakmann. „Panik ist ein schlechter Ratgeber.“ Ebenso das Hamstern von Medikamenten. 

Auch Preis betont: „Die Menschen in Deutschland müssen sich keine Sorgen machen, dass sie nicht mehr versorgt werden können.“

Das Ziel der Apotheken sei, jeden Patienten mit Medikamenten auszustatten. „Wir finden eigentlich immer eine alternative Medikation.“ Und manchmal stellen auch Apotheken in Notfallsituationen in ihren eigenen Apothekenlaboren selbst Medikamente her, darunter Fieber- oder Antibiotikasäfte für Kinder und Babys.

Für Patienten gilt also: Stand jetzt müssen die Menschen in Deutschland nicht um ihre Versorgung mit Medikamenten fürchten. Die Preise für viele Medikamente bleiben vorerst gleich.