Weiße Leoparden im Schnee: Ukraine kämpft in Awdiijwka um ihr Überleben
Der Leopard verliert seine Farbe, um zu überleben – Kalk, Schlämmkreide und Bettlaken halten den altgedienten deutschen Panzer vor Awdijiwka im Gefecht.
Awdiijwka – Mit gemischten Gefühlen erinnert sich „Der Schrauber“ an seine Zeit als Gebirgsjäger in Grafenwöhr. Im Winter wie im Sommer stand sein MAN-Laster jeweils zum Umtarnen an, wie der ehemalige Soldat launig in einem Forum für Militärfahrzeuge schreibt: „Wir mussten die Fahrzeuge mit Schlämmkreide einpinseln. Bestimmtes Schema gab es nicht. Einfach Flecken draufgemalt. Das Zeug ging nur sehr schwer wieder runter. Das war jedes Mal ein Kampf um den einzigen Hochdruckstrahler in der Batterie.“
Auch in der Ukraine werden Gefechtsfahrzeuge und Panzer jetzt umgetarnt, um die Chancen der Verteidiger gegen Wladimir Putins Truppen zu wahren – der Leopard 1A wird flottgemacht für den Fronteinsatz gegen Russland im Winter. Rund 200 Stück des altgedienten Bundeswehr-Panzers sollen insgesamt in der Ukraine an die Front rollen. Die farbliche Anpassung an die Umgebung sowie die Nachrüstung der etwas altersschwache Panzerung sollen ihn konkurrenzfähig machen, um der Ukraine den Sieg zu erkämpfen.
Der Wintereinbruch verschärft die Lage an der Front des Ukraine-Krieges. In den weißen Monaten hat im Militär der Kalk Konjunktur; beziehungsweise weiße Laken, um den obligatorischen Grün-Ton saisonal einzufärben und den Stahlkoloss auf dem Schlachtfeld nahezu verschwinden zu lassen.
Seit Mitte der 1980er-Jahre rollt die Bundeswehr gefleckt ins Gefecht. Bronzegrün – RAL 6031 – bildet die Grundfarbe. Teerschwarz RAL 9021 – und Lederbraun – RAL 8027 – werden in Flecken aufgetragen – mit Übergängen, die unterschiedlich scharfkantig ausfallen können bis hin zu sehr verwaschenen Linien; dieses Tarnschema umfasst Kleidung genauso wie Großgerät, also beispielsweise Panzer; auch diejenigen, die inzwischen aus Beständen der Bundeswehr oder den niederländischen Streitkräften in die Ukraine geliefert worden sind. Die schwarzen Flecken werden im Winter weiß übergestrichen.
Bis Ende November 2023 hatte Deutschland 30 Leopard-1-Panzer an die Ukraine geliefert, weitere 80 sollen folgen. Dänemark und die Niederlande planen 85 weitere zu liefern. Laut dem US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin Forbes sollen viele der Panzer jedoch in einem schlechten Zustand gewesen sein. Deshalb werden die über 40 Jahre alten Leopard-Panzer größtenteils noch immer aufgearbeitet. Die deutschen Rüstungsunternehmen Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann (KMW) sind dabei, Leopard 1-Panzer zu überholen und zu modernisieren. Ihnen fehlt beispielsweise eine reaktive Panzerung, die mittels kleiner Kacheln auftreffenden Geschosse die Wirkung nimmt, bevor sie auf den eigentlichen Panzerstahl durchdringen. Die Tarnung bewirkt, dass sich die Konturen in der Deckung auflösen und die Panzer für die Gegner schwerer anzuvisieren sind.
Ukrainische Verteidiger: Neue Tarnkleidung gegen russische Angreifer
Das Tarnschema der Bundeswehr ist weitgehend abgestimmt auf die Muster der übrigen Nato-Partner, die individuell tarnen; von kleinen pixelartigen Flecken, bis zu größeren Farbflächen; geographische wie strategische Gründe führen zu den individuellen Mustern, angelehnt an die dichten Wäldern Skandinaviens oder die zerklüfteten Gebirgsketten des Balkan. Diese Muster sind genau darauf zugeschnitten, in bestimmten geografischen Regionen taktische Vorteile zu bieten und sicherzustellen, dass Soldaten und Fahrzeuge bei ihren Einsätzen verborgen bleiben und effizient operieren können.
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Die ukrainischen Streitkräfte verwenden seit 2014 ein verpixeltes Tarnmuster für Trockengebiete und Wüsten. Dieses Muster mischt braune, khakifarbene und hellolivfarbene Bereiche auf einem sandfarbenen Hintergrund. In einigen ukrainischen Quellen wird es als MM-14 bezeichnet und als Weiterentwicklung des deutschen gefleckten Tarnschemas gesehen.
MM-14 ist die ukrainische Abkürzung für „Tarnmuster 14“, bezeichnet also das Jahr der Einführung, in diesem Fall das Jahr der Krim-Annexion durch Russland. Das Tarnmuster der Kleidung ist gegenüber den Nato-Ländern sehr viel kleinteiliger. Die Ukraine geht davon aus, durch die am Rechner generierte pixelige Darstellung eine größere Vermischung von Farben zu erreichen und damit die Tarnleistung im Gelände zu verbessern. Die bisherige Tarnung der Großgeräte richtet sich weiter am Nato-Standard aus.
Awdijiwka: Putins Truppen um ein Vierfaches überlegen
Das offizielle deutsche militärische Tarnmuster, bekannt als „Flecktarn“, zeichnet sich durch kleine, gesprenkelte Flecken in einer Mischung aus Grün, Schwarz, Braun und Rotbraun auf einem hellgrünen Hintergrund aus. Dieses Muster wurde entwickelt, um eine effektive Tarnung in gemäßigten Waldgebieten zu gewährleisten. Das in den 1990er Jahren eingeführte Flecktarn ist die Standardtarnung der Bundeswehr und besticht durch sein unverwechselbares gepunktetes Aussehen. Mittlerweile gilt aber die Regel, dass lediglich frontnah einsetzbare Geräte „gefleckt“ werden. Versorgungs- und Unterstützungsfahrzeuge, die in erster Linie in der Etappe operieren, sind hingegen einfarbig in bronzegrün lackiert.
Wie David Ax für Forbes schreibt, setzt die Ukraine große Hoffnungen in die Armada an westdeutschen Panzern. „Getarnt und hochgepanzert würden die Leopard 1 den wachsenden Bedarf an mobiler Feuerunterstützung entlang der kritischen Abschnitte der 600 Meilen langen Front des inzwischen 23 Monate dauernden Krieges Russlands gegen die Ukraine decken. Besonders rund um Awdiijwka. Dort in Awdiijwka kämpft seit Mitte Oktober das Äquivalent einer ukrainischen Division – ein halbes Dutzend mechanisierte Brigaden und Panzerbrigaden – erbittert mittels mobiler Verteidigung gegen eine viel größere Streitmacht, darunter zwei russische Feldarmeen. Forbes schätzt das Kräfteverhältnis auf vielleicht 10.000 ukrainische Soldaten gegenüber 40.000 Russen.
Im Februar vor einem Jahr war die Entscheidung gefallen, dass die Ukraine aus Nato-Beständen Fahrzeuge erhält. Die Vorgänger des aktuell weit verbreiteten Nato-Panzers Leopard 2 sind im Westen seit Jahrzehnten stillgelegt. Reaktiviert worden waren sie vor dem Hintergrund, die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine gegenüber Russland zu erhöhen. Dabei fällt dem Leopard 1 eine andere Rolle zu als seinem Nachfolger Leopard 2, wie der Militärhistoriker Ralf Raths gegenüber der Deutschen Welle erklärt: Der alte Leopard-Kampfpanzer könne die ukrainischen Soldaten im direkten Kampf schützen. Eine entscheidende Rolle für die Befreiung weiterer durch Wladimir Putins Invasionsarmee besetzter Gebiete, also für den Durchbruch, werde aber nur dem Leopard 2 zugeschrieben, erläutert der Direktor des Deutschen Panzermuseums in Munster.
Leopard: Der Hoffnungsträger der Verteidiger
Auf Bundeswehr.de berichtet ein anonymer ukrainischer Panzerfahrer über seine erste Begegnung mit dem deutschen Gerät: „Der Leopard 1 A5 ist sehr viel wendiger als unser T-72.“ Zudem sei er wegen seiner Steuerung einfacher zu handhaben und auch schneller, obwohl die beiden Kampfpanzer aus derselben Zeit stammen. Der Soldat bringt aus seinem Verband viel Erfahrung mit und ist kampferprobt. Deswegen war er ausgesucht worden, auf den Leopard umzusteigen.
Awdijiwka scheint laut Angaben des ZDF weiter verbissen umkämpft. Im Dezember war wohl den russischen Streitkräften gelungen, innerhalb der Stadt weiter vorzurücken. Sie kamen sowohl westlich-südwestlich der Stadt bei Wodiane voran als auch nordwestlich bei Stepove – dort überquerten sie eine Eisenbahnlinie, die wohl eine wichtige ukrainische Verteidigungsstellung bildete. Laut ZDF scheint sich aktuell allmählich die russische Zangenbewegung um Awdijiwka zu schließen. In den Kämpfen sollen die Ukrainer verstärkt auch auf Leopard 2 gesetzt, also im Angriff gestanden und versucht haben, die Zangen wieder auseinander zu biegen.
Die russische Armee scheint rund um Awdijiwka extreme Verluste erlitten zu haben – laut verschiedenen Medienberichten 18.000 bis 20.000 Soldaten und dazu etwa 250 gepanzerte Fahrzeuge – darunter Panzer, Schützenpanzer und Transportfahrzeuge. Seit Oktober wird die Stadt von russischen Truppen belagert und soll wohl aus Prestige-Gründen unbedingt genommen werden.
Durch die Umstellung auf Wintertarn erhöht die Ukraine ihre Überlebensfähigkeit gegenüber der russischen Aggression mittels verstärktem Artilleriefeuer – wie der Militäranalyst Franz-Stefan Gady vom Institute for International Strategic Studies (IISS) im ZDF geäußert hat – Gady äußert sich besorgt, inwieweit die ukrainischen Truppen die Einkesselung vermeiden oder sich außerhalb der Stadt eine neue Verteidigungslinie aufbauen können: „Der psychologische Druck auf den einzelnen Soldaten ist enorm.“ (kahin)