Mehr als 20 Jahre ist es her, dass Franziska van Almsick ihre Karriere beendete. Schon 1992 gewann die ehemalige Profischwimmerin im Alter von 14 Jahren ihre erste olympische Medaille. "Die Franzi" holte im Laufe ihrer Karriere unter anderem zehn olympische Medaillen, zwei WM-Titel und rund 18 EM-Titel. Doch mit Erfolg kommt auch enormer Druck – zu viel für die damals noch junge Profisportlerin: Bereits in jungen Jahren entwickelte sie eine ungesunde Beziehung zum Essen.
Inzwischen spricht die 47-Jährige öffentlich über ihre Essstörung, die sie beinahe in ihrer gesamten Karriere begleitet hat – und es bis heute tut.
Franziska van Almsick aß nur "zwei Salzstangen am Tag"
"Es gab eine Zeit, da dachte ich, ich ertrinke", sagt Franziska van Almsick eben zu "Bild". "Ich hörte auf zu essen. Zwei Salzstangen am Tag. Und dann stand ich im Wasser und merkte nach dem fünften Training: So geht das nicht." Ihr Körper "hatte keine Kraft mehr". Sie kämpfte sich in eine neue Normalität.
Doch Essen bleibt ein Thema, wie die zweifache Mutter bereits im Sommer der "Gala" sagte: "Wenn ich heute in Situationen komme, in denen ich strampele, dann fange ich möglicherweise wieder damit an, weniger zu essen oder darüber nachzudenken, was ich esse."
Binge-Eating, Bulimie, Magersucht: Verschiedene Formen der Essstörung
Weltweit leiden bis zu 8,4 Prozent der Frauen und bis zu 2,2 Prozent der Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren an einer Essstörung – Tendenz steigend. Besonders hoch sind die Zahlen in Hochrisiko-Gruppen, darunter Hochleistungssportlerinnen wie auch van Almsick.
Die drei häufigsten Erkrankungsformen sind die
- Binge-Eating-Störung, bei der Betroffene Essattacken erleiden, bei denen sie unkontrolliert zu viel essen,
- Bulimie, auch als "Ess-Brech-Sucht" bekannt, bei der Betroffene nach einer Essattacke den Drang haben, die Nahrung schnell wieder loszuwerden,
- und Anorexie (Magersucht), die sich durch den Drang, möglichst wenig zu essen und weiter an Gewicht zu verlieren, auszeichnet.
Auch Mischformen, die nicht exakt in eine der drei Kategorien passen, treten auf.
Zunahme von Essstörungen, besonders seit Corona
Im Jahr 2023 wurden hierzulande 12.100 Patientinnen und Patienten wegen einer Essstörung im Krankenhaus behandelt. Das waren zwar etwa 500 Fälle weniger als noch 2003, aber dafür weitaus mehr als im Vor-Corona-Jahr 2019 mit rund 10.600 Fällen. Erst im Mai 2025 berichtete die KKH Kaufmännische Krankenkasse Ähnliches: Bei unter 12- bis 17-jährigen Mädchen stiegen demnach die Fälle vom Vor-Corona-Jahr 2019 bis 2023 von 101 auf 150 je 10.000 Versicherte – ein Plus von fast 50 Prozent.
Die Ursachen für den Anstieg psychischer Erkrankungen unter jungen Menschen sind vielfältig. Im aktuellen Fachreport "The Lancet Psychiatry Commission on youth mental health" führen Expertinnen und Experten etwa globale Trends wie gesellschaftliche Veränderungen, soziale Medien, Kriege und den Klimawandel als Gründe an.
Zusätzlich zu dieser belastenden Grundsituation habe vor allem auch die Pandemie negative Folgen gehabt, kommentierte Stephan Zipfel, Ärztlicher Direktor der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Universitätsklinik Tübingen, die Entwicklung im Gespräch mit der Deutschen Presseagentur.
Der Austausch mit Gleichaltrigen, persönlicher Kontakt mit Vertrauenspersonen außerhalb der Familie und Beratungs- und Behandlungsangebote waren nur eingeschränkt möglich und fiel teilweise komplett aus. "Daraus entstand eine ganz toxische Situation, sodass die Betroffenen eine richtig ausgeprägte Essstörung entwickelt haben", resümiert der Psychotherapeut.
Betroffene versuchen Kontrolle zu gewinnen
Häufig liegt einer Essstörung der Wunsch nach Kontrolle zugrunde. Auch für van Almsick: Ausschlaggebend sei für sie das Gefühl gewesen, ihr Leben nicht mehr selbst im Griff zu haben, sagte sie der "Gala". Dann habe sie einfach aufgehört zu essen.
Appetit und die Gewichtsregulation seien eigentlich ein tief verankertes Grundbedürfnis, sagt Zipfel. "Nur einer kleinen Gruppe von Menschen gelingt es, dieses Grundbedürfnis aushebeln zu können – diese Erfahrung der Kontrolle ist zunächst mit einem guten Gefühl für die Betroffenen verbunden", erläutert der Experte. Dadurch passiere es, dass der Selbstwert und das Selbstbild, zunehmend davon abhängen.
Diese 7 Warnsignale sollten Sie im Auge haben
Die Symptome einer Essstörung sind nicht immer leicht zu erkennen und können je nach Person und Erkrankungsform sehr unterschiedlich ausfallen. Sollten Sie bei sich oder Personen in Ihrem näherem Umfeld folgende Warnsignale bemerken, lohnt es sich aber genauer hinzuschauen:
- deutliche Gewichtsveränderungen (Zu- und Abnahme)
- strenge Diätregeln, wie exzessives Kalorienzählen
- Rückzug aus sozialen Aktivitäten im Kontext mit Essen oder auch heimliches Essen
- starke Selbstkritik und ein geringes Selbstwertgefühl
- Reizbarkeit und Stimmungsschwankungen
- extremer Sportzwang
- häufiges Überspringen von Mahlzeiten und Toilettengänge direkt nach dem Essen
Bei Männern äußern sich Essstörungen häufig als eine sogenannte Muskelsucht. Eine übertriebene Beschäftigung mit dem eigenen Körper, strenge Kontrolle von Ernährung und Bewegung werden von jungen Männern allerdings oft als erstrebenswert angesehen und bleiben deswegen unerkannt. Wird das Training aber zum Beispiel nach einer Verletzung nicht unterbrochen, kann auch das ein Alarmsignal für ein zwanghaftes Verhalten sein.
Für van Almsick ist die Essstörung sogar selbst eine Art Warnsignal. "Wenn das mit dem Essen nicht mehr so gut klappt und wenn ich merke, dass ich das nicht im Griff habe, dann muss ich ein bisschen auf die Bremse treten und mehr an mich denken und gucken, dass ich wieder in die Spur komme", sagt die ehemalige Leistungssportlerin. So versuche sie dem Ganzen auch etwas Positives abzugewinnen.
Bei ersten Anzeichen: Hilfe holen!
Wird eine Essstörung früh genug erkannt, kann sie in der Regel auch behandelt werden. Dabei kommt meistens eine Kombination aus Psychotherapie, Medikamenten und ergänzenden Behandlungen zum Einsatz. Viele Betroffene lernen so mit der Zeit mit ihrer Erkrankung umzugehen.
Doch bevor es soweit ist, stellen sich Angehörige oft die Frage, wie man den Betroffenen in solchen Situationen am besten helfen kann. "Wenn ich eine Beziehung zu jemandem habe, in welcher Funktion auch immer, ist es wichtig, dass ich erstmal sage: 'Du, mir fällt auf, dass es dir wohl nicht gut geht, und das tut mir wiederum weh, und ich möchte dir gerne helfen und dir zur Seite stehen.'", sagt Zipfel.
Besonders wichtig sei es auch, sich nicht allein dafür verantwortlich zu fühlen und sich Hilfe zu suchen.
Die gibt es zum Beispiel hier:
- Bundezentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA): Auf der Website gibt es eine Reihe von Informationen zum Krankheitsbild und eine Datenbank mit Beratungsstellen in Deutschland. Die BzgA-Telefonnummer 0221 892031 ist montags bis donnerstags von 10 bis 22 Uhr und freitags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr besetzt. Betroffene und Angehörige können sich unter anderem zu geeigneten Anlauf- und Kontaktstellen vor Ort oder in der Region beraten lassen.
- Bundesministerium für Gesundheit: Auf seiner Website und in verschiedenen Informationsaneboten stellt die Bundesbehörde Informationen zu Essstörungen, darunter auch Informationsflyer für Eltern, Angehörige und nahestehende Personen sowie für Lehrkräfte, pädagogische und psychosoziale Fachkräfte bereit.
- Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen: Im Suchthilfeverzeichnis können sie nach Anlaufstellen in Ihrer Nähe suchen.