Mit kühlem Move bringt Reichinnek Union in Bedrängnis – die reagiert eindeutig

  • Im Video oben: Bei der Rente ist jetzt alles möglich: Was Sie über den Reform-Plan wissen müssen

Als die Unionsfraktion am Mittwoch noch weiter um das Renten-Paket rang, gab es zunächst fast unbemerkt eine Entwicklung, die die Debatte auf einen Schlag gedreht hat: Die Linksfraktion wird sich bei der Abstimmung am Freitag enthalten. Es gilt damit als so gut wie sicher, dass das Paket zur Alterssicherung vom Bundestag verabschiedet wird.

Heidi Reichinnek, Fraktionschefin der Linken, begründete die Entscheidung inhaltlich: "Wir werden nicht akzeptieren, dass das Rentenniveau noch weiter gedrückt wird." An ihrer Partei solle die Einführung der sogenannten Haltelinie nicht scheitern.

In der Fraktion bestreitet man vehement, dass dahinter auch strategische Überlegungen oder gar Absprachen mit der Union stehen. "Es geht uns absolut nicht darum, Friedrich Merz aus der Patsche zu helfen", betont die rentenpolitische Sprecherin der Fraktion, Sarah Vollath, im Gespräch mit FOCUS online. "Uns geht es um die vielen Rentnerinnen und Rentner, deren Rentenniveau dringend stabilisiert werden muss, damit es nicht absinkt."

CDU will trotz Linken-Enthaltung um eigene Mehrheit kämpfen

Klar ist aber auch, dass die Linke die Union in Bedrängnis gebracht hat. Wenn das Paket am Ende nur wegen der Enthaltung beschlossen wird, wäre das ein doppeltes Problem für Merz: Die Regierung stünde ohne Mehrheit da und die Union hätte zumindest indirekt mit der Linken ein Gesetz durchgebracht – entgegen des Unvereinbarkeitsbeschlusses.

Die Spitzen von CDU und CSU sind daher seit Mittwoch bemüht, so zu tun, als hätte sich nichts geändert: Steffen Bilger, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, sagte zu "Politico": "Wir verlassen uns nicht darauf, was die Opposition tut oder nicht tut." Ins selbe Horn stößt CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann: "Die CDU darf sich nicht von der Linken abhängig machen. Die eigene Mehrheit der Koalition muss stehen."

"Schlag ins Gesicht": Linke will die Union vorführen

Gelingt das nicht, kann die Linke gleich dreifach von ihrer Enthaltung profitieren – ob nun intendiert oder nicht. Zum einen führt sie die Union, insbesondere den Kanzler und seinen Fraktionschef, vor. Beide grenzen sich gerne scharf von der Linken ab. Dass ausgerechnet diese Partei Merz und Spahn aus der Patsche hilft, dürfte dort die Stimmung nicht gerade heben.

Friedrich Merz und Jens Spahn
Bundeskanzler Friedrich Merz und Unionsfraktionschef Jens Spahn profitieren bei der Renten-Abstimmung von der Enthaltung der Linken. Katharina Kausche/dpa

Denn schon einmal war es so: Als Merz im ersten Wahlgang der Kanzlerwahl durchfiel, waren es Reichinnek und ihre Abgeordneten, die dabei halfen, den Weg für einen schnellen zweiten Wahlgang freizumachen. Jedes Mal, wenn die Linke die Koalition dabei unterstützt, eigene Unzulänglichkeiten auszugleichen, verdeutlicht das die Schwäche von Schwarz-Rot.

So kann sich die Linke auch nicht ganz verkneifen, gegen die Union zu schießen. "Es wäre für Friedrich Merz und Jens Spahn ein ziemlicher Schlag ins Gesicht, wenn sie keine eigene Mehrheit in der Koalition für das Gesetz finden", erklärt die Bundestagsabgeordnete Vollath. 

Linke schärft Profil als Kämpferin für die Renten

Zweitens schärft die Partei ihr inhaltliches Profil und kann sich als Beschützer der Rentner aufspielen. Die Bundestagsabgeordnete Vollath erklärt, wie sie und ihre Kollegen das Renten-Paket seziert hätten: "Es beinhaltet die Mütterrente, was schon lange eine Forderung von uns ist. Es beinhaltet die Haltelinie gegen das Absinken des Rentenniveaus, was nicht weit genug geht, aber immerhin ein erster Schritt ist. Und es beinhaltet die Abschaffung des Vorbeschäftigungsverbots, was eine Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten wäre."

Das reiche nicht für eine Zustimmung, nicht für eine Ablehnung, aber eben für eine Enthaltung – rein im Sinne der Menschen, so das Argument. In der Fraktion glaubt man deshalb auch nicht, dass manche Wähler es der Linken übelnehmen könnten, dass sie indirekt die Union unterstütze.

Mehrheit will das Renten-Paket – die Linke stellt sich auf ihre Seite

"Wir haben viele Gespräche geführt, auch in unseren Wahlkreisen, und die Einschätzungen in der Fraktionssitzung zusammengetragen. Ich persönlich kann sagen, dass der Weg, den wir jetzt mit der Enthaltung gehen, bei meinen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern als gut angesehen wurde", erzählt Vollath. Zudem verweist sie auf Umfragen.

Tatsächlich zeigt eine Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Forsa aus der vergangenen Woche, dass 80 Prozent der Linken-Anhänger für das Renten-Paket inklusive der damit verbundenen Mehrausgaben sind. Aber mehr noch: Über alle Parteien hinweg ist die Mehrheit dafür, selbst bei Unionsanhängern sind es 59 Prozent.

Weil die Linke so konsequent mit der Sachfrage argumentiert, sieht man sich auch in einer anderen Position als die Grünen, die der Union bei der Schuldenbremse zur Zweidrittelmehrheit verholfen hatten. "Denn uns wurde nichts versprochen und wir erhoffen uns auch kein Entgegenkommen der Union", so Vollath. "Insofern können wir auch nicht enttäuscht werden, weil wir gar keine großen Erwartungen haben."

Ist die Linke plötzlich verantwortungsvoll?

Drittens kann die Linke von ihrer Entscheidung profitieren, indem sie sich als staatstragende Kraft gibt. Statt destruktiv wirkt die Partei plötzlich verantwortungsvoll. Der Eindruck, der womöglich auch absichtsvoll entstehen soll: Ohne die Linke wäre die Koalition noch tiefer in der Krise und das Land tiefer im Chaos. 

Alle drei positiven Effekte könnten sich mittelfristig bezahlt machen. Sollte die Regierung irgendwann wieder auf die Linke angewiesen sein, könnte Reichinnek all die Fälle auf den Tisch legen, in denen sie Merz aus der Patsche geholfen hat – und dann doch eine Gegenleistung verlangen.

Schon nach der Kanzlerwahl hatte es Signale gegeben, dass die Union eine Abschaffung des Unvereinbarkeitsbeschlusses diskutieren könnte. "Wir werden gemeinsam darüber zu sprechen haben", hatte Kanzleramtschef Thorsten Frei damals gesagt. Man sei "in einer Situation, wo wir die eine oder andere Frage neu bewerten müssen". Geschehen ist daraufhin nichts.