Wirtschaftliches Desaster – Brexit kostet Großbritannien bis zu 253 Milliarden Euro

Mit einer knappen Mehrheit stimmten die Briten vor rund achteinhalb Jahren dafür, die Europäische Union zu verlassen. Mittlerweile hat sich der Wind gedreht. In einer Umfrage äußerten kürzlich 57 Prozent, sie würden lieber wieder in die Gemeinschaft eintreten. Denn der Brexit hat vor allem zwei Dinge mit sich gebracht: Das erste war ein jahrelanges Chaos um den Austritt selbst und die Bedingungen, unter denen Großbritannien heute mit EU-Ländern handeln kann und darf. Das zweite ist ein wirtschaftliches Desaster.

Eine Studie des National Bureau of Economic Research (NBER) aus den USA kommt jetzt zum Schluss, dass der Brexit die Briten rund sechs bis acht Prozent an Wirtschaftsleistung gekostet hat. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt des vergangenen Jahres bedeutet das, dass selbiges bis zu 253 Milliarden Euro höher liegen könnte, wenn die Insel weiterhin Teil des EU-Binnenmarktes wäre. Auch die anderen Daten sind verheerend. Investitionen in Großbritannien sind demzufolge aufgrund des Brexits um 12 bis 18 Prozent eingebrochen, die Produktivität um drei bis vier Prozent und die Zahl der Erwerbstätigen ebenfalls um drei bis vier Prozent.

So sind die Werte errechnet worden

Bei solchen Zahlen ist nun immer schwer nachzuweisen, welche Effekte wirklich nur der Brexit hatte und welche etwa durch die Corona-Krise, die nur einen Monat nach dem Abgang startete, und die darauffolgende Energie-Krise durch den Ukraine-Krieg hatte. Brexit-Befürworter würden darauf verweisen, dass Großbritanniens Wirtschaft seit dem Brexit-Referendum 2016 immer noch besser performt hat als etwa die deutsche. Wuchs unser BIP seitdem um rund 7,9 Prozent, waren es in Großbritannien 10,5 Prozent. 

Aber in der Studie geht es auch darum, wie stark es eben hätte wachsen können, hätte es keinen Brexit gegeben. Um dies zu ermitteln, haben die fünf NBER-Ökonomen die Wirtschaft Großbritanniens mit der von 33 vergleichbaren Staaten von den USA über Deutschland bis Japan verglichen und geschaut, welche Unterschiede sich dort von 2006 bis 2025 manifestierten und welche daher auf den Brexit zurückzuführen sind und welche Phänomene auch in anderen Ländern auftraten.

Brexit hat Schulden des Staates nach oben getrieben

Um das Wachstum der Wirtschaft zu messen, bedienen sich die Ökonomen nicht dem gesamten Bruttoinlandsprodukt, sondern brechen es auf die einzelne Person herunter. Pro Kopf wuchs das britische BIP seit dem Referendum sogar schwächer als das deutsche und landet mit nur rund vier Prozent Wachstum weit abgeschlagen hinter allen Vergleichsgruppen. Am wichtigsten von denen ist die des „künstlichen Großbritanniens“. Diese wird dadurch erstellt, dass die Wirtschaft aller anderen Vergleichsländer so gewichtet wird, dass ihr gemeinsames Wachstum möglichst genau dem des echten Großbritannien vor dem Brexit entspricht. Dann wird verglichen, wie sich diese synthetische Gruppe nach dem Brexit gegenüber dem wirklichen Großbritannien entwickelt hat. Dadurch ergibt sich trotz Corona- und Energiekrise eine Differenz von sechs bis zehn Prozent.

Die gleiche Methodik lässt sich auch für andere Makro-Indikatoren wie die Produktivität anwenden und führt zu den oben genannten Ergebnissen.

Die Bank of England führte zuletzt noch einen weiteren wichtigen Punkt an: Der Brexit habe, so ihr Chef Andrew Bailey, die Schulden des Staates nach oben getrieben. Seine Zentralbank hatte zuvor ausgerechnet, dass die Schuldenquote Großbritanniens heute bei 82 Prozent des BIP liegen würde, hätte die Insel die EU nicht verlassen. Stattdessen sind es 96 Prozent. Die 14 Prozentpunkte Unterschied bedeuten, dass Großbritannien heute ein Schuldenberg drückt, der 443 Milliarden Euro höher liegt als er sein müsste. „Das ist ein großer Unterschied“, sagt Bailey zuletzt auf einer Veranstaltung des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Das sind die Auswirkungen auf britische Firmen

Die gesellschaftlichen Auswirkungen sind das eine, die auf einzelne Firmen das andere. Auch dies untersuchten die US-Ökonomen. Sie nutzten dazu Unternehmensdaten aus den Jahren vor dem Brexit, um zu ermitteln, wie stark britische Firmen im Schnitt mit der EU verzahnt waren. Das wurde etwa über den Export in und Importe aus anderen EU-Ländern berechnet, aber auch daraus, wie viele EU-Ausländer etwa in einer Firma arbeiteten. Mit diesen Daten verglichen die Ökonomen nun, welche Auswirkungen der Brexit auf Firmen mit hoher oder niedriger Abhängigkeit von der EU hatte.

Die Ergebnisse sind enorm. Lag das Wachstum der Investitionen von stark mit der EU verzahnten Firmen von 2011 bis 2016 rund 0,9 Prozentpunkte höher als bei weniger stark verbandelten Firmen, brach es nach dem Referendum ein und lag bis 2023 jedes Jahr um 0,7 Prozentpunkte niedriger als bei vergleichbaren Unternehmen. Noch schlimmer wird die Differenz, wenn man die Unternehmen mit ihren eigenen Werten vor dem Referendum vergleich. Dann liegt das Investitionswachstum sogar jedes Jahr von 2017 bis 2023 rund 1,7 Prozentpunkte niedriger. Daraus ergibt sich ein kumulativer Effekt von 11,6 Prozentpunkten. Daran ändert auch der allgemeine schlechte Einfluss der Corona-Pandemie nichts.

Industrie, Banken und Versicherungen leiden

Gleiches gilt für die Beschäftigten. Wuchsen die Mitarbeiterzahlen bei EU-freundlichen Firmen vor dem Referendum noch im Schnitt um 0,5 Prozentpunkte schneller als bei anderen Unternehmen, waren es danach im Schnitt 0,5 Prozentpunkte weniger. Daraus ergibt sich bis 2023 ein kumulativer Effekt von 3,4 Prozentpunkten. Dem Umsatzwachstum schadete der Brexit dadurch um rund 0,2 Prozentpunkte pro Jahr, was kumulativ etwa 2,4 Prozentpunkte weniger Umsatz in 2023 bedeutet.

Die Effekte sind je nach Branche unterschiedlich. Am schwersten traf es laut der Studie die Industrie, den Einzel- und Großhandel sowie Banken und Versicherungen. Andere Felder wie das Gesundheitssystem, Immobilien und die Baubranche waren auch vor dem Brexit schon unabhängiger von der EU.

Der Vergleich mit anderen Ländern

Beim Wirtschaftswachstum liegt Großbritannien damit wie gezeigt deutlich schlechter als so gut wie alle Länder, mit denen es sich vergleichen lässt. Aus dem Korb von 33 Vergleichsstaaten liegt die Insel gerade so im zweiten Perzentil, lässt also mindestens drei Nationen hinter sich. Bei den Unternehmensinvestitionen verfehlt Großbritannien sogar dieses Minimalziel. Bei der Entwicklung der Erwerbstätigkeit sieht es etwas besser aus, hier gehört das Königreich aber immer noch zu den schlechtesten 30 Prozent der Welt. Gleiches gilt für die Produktivitätsentwicklung seit dem Brexit-Referendum.

Klar ist: Diese Effekte werden nicht ewig anhalten. „Langfristig werden wir Anpassungen sehen. Handel passt sich immer an und wir sehen jetzt schon Beweise, dass das auch in Großbritannien so ist“, sagt Bailey, aber: „Für die absehbare Zukunft werden die negativen Effekte überwiegen.“

Ungewöhnliche Entscheidungen für 2026er-Staatshaushalt

Das macht den Job für die Schatzkanzlerin Rachel Reeves so schwierig. Sie vereint, was in Deutschland die Posten des Finanz- und des Wirtschaftsministers wären und muss dieser Tage den Staatshaushalt für 2026 aufstellen. Dafür trifft sich ungewöhnliche Entscheidungen. So werden die Grenzen zwischen den verschiedenen Stufen der Einkommensteuer bis 2031 eingefroren. Das wird dazu führen, dass Menschen mit steigenden Löhnen in immer höhere Zonen rutschen und entsprechend mehr Steuern bezahlen müssen – etwa, was wir in Deutschland als „Kalte Progression“ verteufeln. 

Gleichzeitig werden die Steuern auf Immobilien und Kapitalgewinne um je zwei Prozentpunkte erhöht. Trivial ist hier von einer „Villen-Steuer“ die Rede. Der Effekt auf den Haushalt dürfte aber gering sein. Höhere Steuern gibt es auch auf zuckerhaltige Lebensmittel, Tabak und Alkohol. Ein 15 Jahre geltendes Moratorium für Erhöhungen der Benzinsteuer soll Ende 2026 auslaufen. Dann steigt die Abgabe in Höhe der Inflationsrate wieder an.

Trotz allem muss Großbritannien auch 2026 wieder hohe Schulden aufnehmen. 157 Milliarden Euro soll die Neuverschuldung betragen – und das im Gegensatz zu Deutschland ohne riesigem Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz.