So lief die Jagd nach "außergewöhnlich triebhaftem Psychopathen" in den 1930ern

Es sind vermutlich ausgelassene Stunden auf dem Münchner Oktoberfest des Jahres 1931, als Katharina Schätzl aus Wolznach einen neun Jahre älteren Mann kennenlernt. Jedenfalls findet sie ihn so sympathisch, dass sie sich einige Tage später mit ihm zu einer Fahrradtour mit dem Ziel Ebenhausen trifft. 

Doch unterwegs lernt sie eine andere Seite des Mannes kennen: Denn plötzlich zerrt er das Mädchen vom Rad, vergewaltigt und erwürgt es. Anschließend beschwert der Täter das tote Mädchen mit Steinen und versenkt es im Fluss. Später wird die Leiche bei Großhesselohe angespült.

Die Münchner Kriminalpolizei ist völlig ahnungslos, sowohl was die Identität des jungen Opfers betrifft, also auch in Bezug auf den Täter. Das erste Problem kann sie immerhin bald lösen. Nachdem sie den Kopf mit dem Gesicht des Opfer nachgebildet hat, melden sich Verwandte des Mädchens. Der Täter aber bleibt verschollen.

Die Polizei ist machtlos

Schon seit drei Jahren wird die bayerischen Landeshauptstadt durch zahlreiche Vergewaltigungen junger Frauen erschüttert. Katharina Schätzl ist allerdings das erste Opfer, das nicht nur missbraucht, sondern auch umgebracht wird. 

Der Täter geht dabei meistens nach einem ähnlichen Schema vor: Er lauert während der Dämmerung jungen Frauen – häufig im Wald wie dem Forstenrieder Park – auf dem Fahrrad auf, zerrt sie ins Gebüsch und vergeht sich an ihnen.

Die Polizei scheint machtlos, denn nie gibt es Zeugen und auch die Opfer können den Täter nicht so gut beschreiben, dass es für eine gezielte Fahndung reicht.

Gut zweieinhalb Jahre nach dem ersten Todesopfer folgt am 30. Mai 1934 das zweite. Diesmal trifft es die frisch verheiratete Anna Geltl, die im Forstenrieder Park ebenfalls vom Fahrrad gerissen, vergewaltigt und danach durch einen Pistolenschuss in den Kopf ermordet wird. Anschließend verstümmelt der Täter mit einem Messer ihren Unterleib. 

Immer wieder Frauen vergewaltigt

Diesmal dauert es nur wenige Monate, bis in Milbertshofen die nächste junge Frau, die 25-jährige Kontoristin Berta Sauerbeck, dran ist. Der Täter geht ähnlich wie im Fall von Anna Geltl vor, aber ihm unterläuft ein Fehler, denn der Schuss in den Hinterkopf ist nicht tödlich. Doch das stört ihn nicht: Er missbraucht die schwer verletzte Frau und verscharrt sie in einer Grube. Erst hier stirbt sie.

In den folgenden Jahren werden, vor allem im Westen Münchens, immer wieder Frauen Opfer von Vergewaltigungen, aber der Täter bleibt stets unerkannt. 1937 und 1938 werden schließlich zwei weitere Vergewaltigungsopfer ermordet und verstümmelt.

Die Polizei tappt elf Jahre im Dunkeln, obwohl sie eigens eine Sonderkommission einsetzt. Erst am 29. Januar 1939 gelingt ihr ein Zufallserfolg. An diesem Tag beobachten Passanten, wie ein Mann ein 12-jähriges Mädchen vergewaltigen will. Beherzt greifen sie ein und halten den Täter fest, bis die von ihnen gerufene Polizei kommt und ihn festnimmt.

Verheiratet, zwei Söhne

Nun wird die Identität des Mannes bekannt. Es handelt sich um den 32 Jahre alten Johann Eichhorn aus Aubing (heute ein Stadtteil von München). Die Sonderkommission ist sich sicher, den Serienvergewaltiger und Mörder gefasst zu haben. Aber in zahlreichen Verhören leugnet er zunächst, der Täter zu sein, der seit elf Jahren zig Frauen vergewaltigt und fünf der Opfer umgebracht hat.

Doch wer ist dieser Johann Eichhorn eigentlich? Die Ermittlungen ergeben, dass der 1,73 Meter große, kräftig gebaute Mann seit 1935 verheiratet ist und zwei Söhne hat, die bereits vor der Hochzeit mit seiner Frau geboren wurden. Er stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Seine Eltern sind Tagelöhner und haben Mühe, ihre acht Kinder durchzubringen. Sie gelten aber als durchaus fürsorglich. 

Eichhorn selbst hat nach der Volksschule eine Lehre als Schlosser absolviert und arbeitet als Rangierer bei der Reichsbahn. Bei seinen Kollegen gilt er als zuverlässiger Arbeiter, bei seinen Nachbarn als fürsorglicher Vater. Ein Doppelleben, das die perfekte Tarnung für seine Taten darstellt.

Geständnis einem Mithäftling gegenüber

Jetzt, in der Untersuchungshaft, hält diese Fassade aber nicht mehr. Denn Eichhorn erzählt einem Mithäftling von seinen Taten, sowohl von den Morden als auch von den Vergewaltigungen. 

Und dieser Mithäftling unterrichtet die Ermittler. Wie viele Frauen er missbraucht habe, könne er nicht sagen, gibt Eichhorn an – er habe bei Nummer 70 aufgehört zu zählen. Die Polizei wirft ihm am Ende 90 Vergewaltigungen vor, ist sich aber sicher, dass es mehr sein müssen.

Bei der Suche nach dem Hintergrund der Taten hilft ein psychiatrischen Gutachten weiter. Der Angeklagte wird darin als „intellektuell nicht unterdurchschnittlich beanlagter“ Mensch geschildert. 

Aber der Gutachter sieht in ihm zugleich einen „ethisch und moralisch tiefstehenden, haltlosen, willensschwachen, sexuell außergewöhnlich triebhaften Psychopathen“. Er sei voll zurechnungsfähig und für seine Gewalttaten voll verantwortlich. Die Presse nennt ihn „die Bestie von Aubing“ und er selbst bezeichnet sich als „wildes Tier“.

Eichhorns Geständnis im Gerichtssaal

Im Lauf der Verhöre legt Eichhorn schließlich ein Geständnis ab, allerdings ein falsches. Er gibt zu, 37 Sittlichkeitsverbrechen begangen zu haben – die fünf ihm vorgeworfenen Morde bestreitet er aber weiter. Er habe in „triebhafter Erregung“ von seinen Taten gar nichts mitbekommen, behauptet er. Und er berichtet auch, dass seine ersten beiden Vergewaltigungsopfer seine eigenen Schwester waren.

Nachdem er seine zukünftige Frau kennenlernte, wirkte diese eine Weile als eine Art Blitzableiter für seine gewalttätigen Triebe, denn sie habe es toleriert, wenn er beim Sex Gewalt angewendet habe, so Eichhorn. 

Am 29/30. November 1939 kommt es zum zweitätigen Gerichtsprozess in München, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Jetzt, im Angesicht der Verwandten der Opfer und nach einem Gespräch mit seinem Anwalt, gesteht Eichhorn, die fünf Frauen umgebracht zu haben. Schon vorher hat er in einem Brief an seine Frau geschrieben: „Nachdem ich schweres Unrecht begangen habe, muss ich auch mit furchtbaren Folgen rechnen.“

Fall ist im Vergleich zu anderen relativ unbekannt

Das Urteil vom 30. November ist keine Überraschung: Tod furch das Fallbeil. Das Gericht kommt zu dem Schluss, Eichhorn habe fünf Frauen umgebracht und mindestens 90 vergewaltigt. 

Die erste Bluttat aus dem Jahr 1931 wertet es nicht als Mord, sondern als Sexualverbrechen mit Todesfolge – für die Angehörigen macht diese juristische Unterscheidung keinen Unterschied aus. Am 1. Dezember 1939 wird Johann Eichhorn in der Justizanstalt München-Stadelheim hingerichtet.

Sein Fall ist bis heute im Vergleich zu denen anderer Serienmörder relativ unbekannt. Das verdankt Eichhorn ausgerechnet den Nationalsozialisten. Denn ihnen ist peinlich, dass er seit dem 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP ist. Und außerdem passen seine Taten nicht zum propagierten Bild der sittlich reinen Volksgemeinschaft. 

So verhindern die Behörden eine breite Berichterstattung in den Zeitungen. Der Fall wird erst in 1950er-Jahren wirklich bekannt. Das ändert nichts daran, dass er zu den erschütterndsten Fällen der deutschen Kriminalgeschichte zählt.