Um diese Frage beantworten zu können, muss man den Blick auf zwei Ebenen werfen: den Ist-Zustand und die Zukunftsaussichten. Aber selbst dann ist ein Vergleich pauschal schwierig – zumal man menschliches Leid ohnedies eigentlich nicht vergleichen kann.
Zunächst einmal: Deutschland war im Mai 1945, als es im Zweiten Weltkrieg kapitulierte, flächendeckend zerstört. Große Städte wie Berlin, Köln, Düsseldorf und Hamburg hatten in den Bombennächten des Krieges ganze Stadtteile verloren.
Auch kleinere Städte waren nicht verschont geblieben – so war bei einem Luftangriff am 23. Februar 1945 die Altstadt von Pforzheim zu 98 Prozent dem Erdboden gleichgemacht worden. Insgesamt wurden rund 1500 Städte bombardiert.
Halbe Million Menschen kamen bei den Bombenangriffen um
Die Angriffe hatten massive Folgen. Nach Schätzungen von Historikern starben dabei rund 500.000 Menschen. Die Zahl der während des Zweiten Weltkriegs insgesamt ums Leben gekommenen Deutschen wird auf gut sieben Millionen geschätzt. Das waren bei 69 Millionen Einwohnern (Stand Ende 1937 ohne Österreich und das Sudetenland) rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung.
Insgesamt wurden rund 7,5 Millionen Wohneinheiten zerstört, das machte knapp 25 Prozent des gesamten Wohnraumbestands aus. In besonders betroffenen Städten lag die Quote bei bis zu 50 Prozent.
Im Frühjahr 1945 türmten sich in vielen Städten an den Straßenseiten riesige Trümmerberge auf, wo zuvor Häuser gestanden hatten. Viele Menschen mussten noch eine ganze Weile in den Ruinen oder in Kellern hausen – auch in dem besonders kalten Winter 1945/46.
Darüber hinaus war die sonstige Infrastruktur stark zerstört. Die Industrie fiel zu 60 Prozent aus und ebenso waren die Transportwege stark in Mitleidenschaft gezogen. 9000 von 13.000 Schienen-Kilometer der Reichsbahn und 2000 Bahnhöfe waren unbrauchbar, zahllose Brücken lagen in Trümmern, Straßen waren unpassierbar.
Die industrielle Produktion brach ein
Die Stromproduktion war auf nur noch ein Fünftel des Vorkriegsniveaus gesunken, die für die Industrie so wichtige Kohleförderung lag weitgehend brach.
Das alles machte es schwer, die Industrie rasch wieder aufzubauen und die Menschen ausreichend zu versorgen. So betrug die industrielle Produktion noch 1946 nur etwa ein Drittel des Standes von 1936.
Viele Stadtbewohner litten schwer unter Nahrungsmittelenpässen und einer mangelnden medizinischen Versorgung, während zugleich Epidemien wie Typhus und Cholera ausbrachen. Nicht zuletzt litten viele Menschen auch unter den psychischen Folgen der schlimmen Erlebnisse der vergangenen Jahre.
Zwölf Millionen Flüchtlinge mussten integriert werden
Zusätzlich gab es eine weitere sehr große Herausforderung: Aus dem Osten des Deutschen Reiches hatten sich in den letzten Monaten des Krieges Millionen Menschen auf den Weg nach Westen gemacht, um vor der heranrückenden Roten Armee zu fliehen.
Die Flucht bedeutete kaum aussprechbares Leid für die Betroffenen, die sich zu Fuß unter äußerst widrigen Bedingungen auf den Weg machen mussten. Zehntauende kamen dabei um.
Der Zustrom hielt auch nach der deutschen Kapitulation an, als klar wurde, dass Deutsche aus bestimmten Gebieten wie Ostpreußen und Schlesien systematisch vertrieben wurden. Insgesamt ergoss sich ein Strom von zwölf Millionen Flüchtlingen in die von den Siegermächten gebildeten vier Besatzungszonen.
Es schien schier unmöglich, alle diese Menschen zu versorgen – dass es trotzdem gelang, ist eine heute fast unwirklich erscheinende Leistung. Nicht zuletzt müssen die kulturellen Verluste wie Gebäude, Kunstgegenstände und Archivalien, die Deutschland durch die Zerstörungen erlitt, erwähnt werden.
Die Lage in Syrien ist komplizierter
Die Situation im Syrien des Jahres 2025 ist komplexer als die des Deutschlands von 1945. Anders als das flächendeckend zerstörte Deutschland sind die Grade der Zerstörung in Syrien regional sehr unterschiedlich. Es gibt Regionen, wie Aleppo, Teile von Homs und Rakka, die nahezu vollständig zerstört sind.
Andere Gebiete dagegen blieben weitgehend von Schäden durch Kampfhandlungen verschont. Gleichwohl sind nach Schätzung der Vereinten Nationen rund sieben Millionen Wohnungen – das sind etwa 50 Prozent des Gesamtbestandes – zerstört. Damit lieg der Anteil prozentual etwa doppelt so hoch wie im Deutschland des Jahres 1945.
Die Zahl der im syrischen Bürgerkrieg umgekommenen Menschen beträgt etwa 618 000. Gemessen an der Gesamtbevölkerung von rund 24,7 Millionen liegt der Anteil bei 2,5 Prozent – und dabei deutlich niedriger als in Deutschland 1945 (zehn Prozent).
Schlimme medizinische Engpässe
Ebenfalls sind mindestens 50 Prozent aller Gesundheitseinrichtungen zerstört, was zu dramatischen Engpässen in der medizinischen Versorgung führt, die vermutlich denen in Deutschland 80 Jahre zuvor in nichts nachstehen.
Und ähnlich wie damals in Deutschland ist heute auch in Syrien die Wirtschaft zu großen Teilen eingebrochen. Laut einem Bericht der Weltbank schrumpfte das Bruttosozialprodukt (BIP) des Landes zwischen 2010 und 2020 um 50 Prozent. Ein Wert, der fast vergleichbar mit dem hierzulande vor 80 Jahren ist.
50 Prozent der Syrer sind auf der Flucht
Zudem hat auch Syrien ein massives Flüchtlingsproblem. Im Land selbst befinden sich rund 6,7 Millionen Menschen auf der Flucht. Das macht ein gutes Viertel der Gesamtbevölkerung aus. Zum Vergleich: In Deutschland waren nach Kriegsende zwölf Millionen von 69 Millionen Einwohnern auf der Flucht (rund 17 Prozent).
Zählt man indes die sechs Millionen Flüchtlinge hinzu, die sich außerhalb des Syriens unter anderem in Deutschland, aufhalten, steigt der Anteil auf 50 Prozent.
Andererseits zeigt gerade das deutsche Beispiel, dass die Geflüchteten für den Wiederaufbau eine wichtige Funktion haben. Denn nachdem es anfangs große Schwierigkeiten bei der sozialen und wirtschaftlichen Integration dieser Menschen gab, spielten sie für den erstaunlich raschen Wiederaufstieg der westdeutschen Bundesrepublik eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Unterschiedliche Perspektiven
Blickt man auf die Perspektiven, die Deutschland 1945 hatte und die sich für Syrien heute zeigen, gibt es – Stand November 2025 – einen großen Unterschied. Deutschland lag 1945 völlig am Boden – militärisch, wirtschaftlich und moralisch. Die Fronten waren klar: Hitler-Deutschland hatte den Zweiten Weltkrieg mit insgesamt rund 60 Millionen Toten angezettelt und bezahlte dafür nun sehr teuer.
Es gab Siegermächte, die das Land aufteilten und ihre Teile nach ihren Vorstellungen formten. Im Westen entstand die Bundesrepublik Deutschland – demokratisch und wirtschaftlich sowie sozial bald wieder sehr erfolgreich.
Politisch aber spielte sie eine untergeordnete Rolle. Im Osten gingen die Menschen in eine neue Diktatur unter sowjetischer Führung, die wirtschaftlich bald immer mehr zurückblieb. Beide Teile Deutschlands wurden zu Frontstaaten des Kalten Krieges.
In Syrien ist die Lage komplizierter. Das Land führte keinen Krieg gegen andere Länder, sondern ist durch einen Bürgerkrieg, in den ausländische Mächte wie Russland eingriffen, innerlich zerrissen. In der Folge fühlt sich niemand wirklich für das Land verantwortlich.
Syrien hat eine schlechtere Ausgangslage
Klar ist: Das westdeutsche „Wirtschaftswunder“ wäre so schnell ohne die massive Unterstützung durch die USA mit dem Marshallplan nicht möglich gewesen. Genau daran fehlt es aber in Syrien: Kein Unterstützer ist bereit, eine vergleichbare Hilfe zu leisten. Die Ausgangslage Syriens für die Zukunft ist daher schwieriger.
Allerdings konnten auch die Deutschen kurz nach dem Krieg nicht erahnen, dass es nach einer schweren Zeit überraschend schnell wieder aufwärts gehen würde. Es grassierte – wie heute in Syrien – eine weit verbreitete und schlimme Hoffnungslosigkeit, die viele Menschen lähmte.
Wadephul contra Merz: Wer hat Recht?
Wer hat also Recht im unionsinternen Streit um die Frage, ob die syrischen Flüchtlinge zügig in ihr Heimatland zurückkehren sollen? Außenminister Wadephul weist zurecht auf die großen Zerstörungen in Syrien hin, die eine rasche Rückführung von Millionen Flüchtlingen unmöglich zu machen scheinen und die sicher mit denen in Deutschland 1945 grob vergleichbar sind.
Kanzler Merz dagegen hat einen Punkt, wenn er fordert, die Syrer müssten in erster Linie selbst ihr Land wieder aufbauen – also über kurz oder lang dorthin zurückkehren. Die Kunst dürfte darin liegen, den richtigen Weg zu finden, um beides zu vereinbaren.
Ohne massive Hilfe von außen wird das nicht funktionieren. Genauso, wie es in Deutschland nach 1945 nicht funktioniert hätte.