„Wie Handtücher am Hotelpool“: Phantomspeicher gefährden die Energiewende

In einer ehemaligen Kiesgrube in Sachsen-Anhalt lässt sich beobachten, wie Deutschlands Energieversorgung in Zukunft aussehen soll. Auf rund 41 Hektar Gelände ist Mitte November in Zerbst ein gewaltiger Solarpark mit angeschlossenem Batteriespeicher eröffnet worden, Angaben des norwegischen Betreibers Statkraft zufolge kann die Anlage rund 14.000 Haushalte mit Strom versorgen. 

Insgesamt 88 Batteriespeicher mit jeweils 16 Lithium-Ionen-Akkus, ähnlich denen in Elektroautos, speichern einen Teil des produzierten Stroms und speisen ihn dann ins Netz ein, wenn er dringend benötigt wird – in Nachtstunden etwa, oder an sonnenarmen Tagen. 

Tsunami über Deutschland

Projekte wie in Zerbst sind ein kleiner Teil des sogenannten „Batteriespeicher-Tsunamis“, der derzeit über Deutschland rollt. In der ganzen Bundesrepublik schießen Speicher wie Pilze aus dem Boden, sei es als Teil eines Solarparks, einer Windkraftanlage oder als Soloprojekt. 

Durch die rasant gesunkenen Batteriepreise auf den Weltmärkten sind Speicher für Projektentwickler zum attraktiven Geschäftsmodell geworden. Der Besitzer eines Solarparks kann mit Hilfe einer Batterie einen Teil des tagsüber generierten Stroms speichern und ihn erst abends ins Netz einspeisen – wenn die Großhandelspreise auf dem Strommarkt höher sind. Windparks wiederum können den Strom einer turbulenten Nacht für folgende windarme Stunden vorhalten. Für die Energiewende nehmen Speicher daher eine zentrale Rolle ein: Sonne und Wind erzeugen nicht gleichmäßig verteilt ihren Strom, aber Speicher passen Angebot und Nachfrage aneinander an. 

88 Batteriespeicher stehen im neuen PV-Batteriespeicher-Hybridkraftwerk auf dem Gelände einer ehemaligen Kiesgrube in Zerbst (Sachsen-Anhalt)
88 Batteriespeicher stehen im neuen PV-Batteriespeicher-Hybridkraftwerk auf dem Gelände einer ehemaligen Kiesgrube in Zerbst (Sachsen-Anhalt) Jan Woitas/dpa

400 Gigawatt und ein Flaschenhals

Kein Wunder also, dass viele Akteure ein Stück vom Kuchen abhaben wollen. Nach Angaben der Bundesnetzagentur waren Ende 2024 insgesamt 921 größere Batteriespeicher deutschlandweit in Betrieb, mit einer Leistung von rund 2,3 Gigawatt und einer Speicherkapazität von etwa 3,2 Gigawattstunden. Zum Bau angemeldet wiederum waren zusätzliche 10.000 Projekte mit einer Leistung von 400 Gigawatt und einer Speicherkapazität von rund 661 Gigawattstunden. Der Tsunami, der auf Deutschland zurollt, ist also gewaltig. 

Christoph Müller hält die Zahlen sogar noch für zu niedrig. Der Stand von 2024 sei längst schon veraltet, schrieb der Chef des Netzbetreibers Amprion letzte Woche auf dem Karriere-Netzwerk Linkedin. Für 2025 könnte die Zahl „gut doppelt so hoch“ sein, vermutet Müller. Die Netzbetreiber wie Amprion sind die Leidtragenden des Tsunamis: Sie sind es, die die Anlagen ans Netz anschließen müssen. Doch die Kapazitäten hierfür sind begrenzt, der „Tsunami“ trifft auf einen Flaschenhals.

Denn der Netzanschluss ist aufwändig. Jeder Anschluss muss angemeldet und überprüft werden: Erfüllt der Speicher die Sicherheitsanforderungen? Sind überhaupt Kapazitäten im lokalen Stromnetz frei? Danach sind in der Regel noch Bauarbeiten nötig, für Kabel und Transformatoren. Ein Prozess, der Jahre dauern kann: Wer jetzt einen neuen Batteriespeicher beantragt, bekommt den Anschluss erst in den 2030er-Jahren, heißt es in der Branche. 

Wie ein Handtuch am Hotelpool

Besonders bitter aus Sicht der Netzbetreiber ist, dass ein großer Teil des Aufwands bei der Anmeldung und Überprüfung vermutlich für die Katz sein wird. Denn viele angemeldete Speicher werden vermutlich nie gebaut werden. In der Branche spricht man von „Zombie-Projekten“ und „Phantomspeichern“: Projekte, deren Finanzierung noch überhaupt nicht geklärt ist, aber die sicherheitshalber schon mal angemeldet werden. Oder Projektbetreiber, die noch nicht wissen, wo sie ihren Speicher hinbauen wollen und deshalb für fünf Orte gleichzeitig einen Antrag stellen. Oder Akteure, die nie einen Speicher geplant haben – aber die Anschlussgenehmigung weiterverkaufen wollen.

Denn für die Antragssteller gibt es keine Pflicht, das angemeldete Projekt auch tatsächlich durchzuziehen. Die Netzbetreiber hingegen müssen jedes Projekt gleich behandeln – und in der Reihenfolge bearbeiten, in der sie eingegangen sind.

Dieses sogenannte „Windhund“-Prinzip führt zu einem Wettrennen: Je früher der Speicher angemeldet wird, desto besser. Auch wenn er am Ende gar nicht gebaut wird. Denn die Anschlüsse sind ja begrenzt. „Das ist so, als würde man am Hotelpool morgens vor dem Frühstück die Liege mit dem Handtuch reservieren“, sagt ein Vertreter der Speicherbranche. „Aber dann beim Frühstück entscheidet man spontan, dass man sich heute doch lieber die Stadt anschaut.“

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Kampf gegen die Glücksritter

Die „Phantomspeicher“ werden dadurch für die gesamte Energiewende zum Problem. Denn jedes Phantomprojekt verschiebt automatisch den Bau eines ernsthaft geplanten Speichers. Auch wichtige Neubauten wie Rechenzentren oder Industrieanlagen müssen warten. „Phantomprojekte beanspruchen Ressourcen, die dann für ernsthafte Projektierer nicht zur Verfügung stehen“, schreibt Müller. Er gehe davon aus, dass von den angemeldeten 400 Gigawatt nur 140 Gigawatt tatsächlich „echt“ seien – immer noch sehr viel, aber wesentlich weniger als angenommen.

Die Netzbetreiber üben daher schon seit Monaten Druck auf die Politik aus. Ihre Forderung: Das einfache, aber unscharfe „Windhund“-Prinzip muss weg – und ersetzt werden durch ein System, das seriöse Projekte von Glücksrittern unterscheidet. „So eine Differenzierung wäre gut“, schreibt Müller, „denn jeder Anschluss an das Höchstspannungsnetz ist ein technisch aufwendiges Projekt und braucht eine individuelle, technische und aufwendige Betrachtung.“

„Das halte ich für ganz schwierig“

In der Vergangenheit stieß diese Forderung aber stets auf Ablehnung der zuständigen Bundesnetzagentur. Die will nur ungern entscheiden müssen, welches Projekt sinnvoll ist und welches nicht. Denn nicht immer seien die Kriterien sonnenklar, so das Argument. „Wenn wir die Projektreife entscheiden, müssen wir sehr in die Tiefe einsteigen“, sagte Barbie Haller, Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur, bei einer Tagung des „Handelsblatts“ im Oktober. „Das machen die Betreiber, nicht wir in Bonn. Das halte ich rechtlich für ganz schwierig.“

Ohnehin seien die Netzbetreiber nicht an das Windhundprinzip gebunden, argumentiert die Behörde. Sie könnten auch andere Kriterien anwenden, solange diese genauso fair und transparent seien. Die Branche bevorzugt jedoch eine einheitliche Lösung, auch um rechtlichen Ärger zu vermeiden.

Die 50.000-Euro-Gebühr

Unterstützung erhalten die Netzbetreiber jetzt von der Politik. Bereits Ende September forderte der Bundesrat eine Änderung der sogenannten Kraftnetzwerksanschlussverordnung (KraftNAV), die den Anschluss neuer Projekte regelt. Und auch Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) schaltet sich nun in die Debatte ein. Batteriespeicher sollen kurzfristig noch in diesem Jahr aus der KraftNAV herausgenommen werden, kündigte die ehemalige Energiemanagerin Reiche am Dienstag auf einem parlamentarischen Abend ihres Ex-Arbeitgebers Eon in Berlin an. 

Der „Ausverkauf der Netze“, wie Reiche es formulierte, werde auch 2026 anhalten, sagte die Ministerin. Mittelfristig soll daher eine neue Regelung entwickelt werden, die Qualitätskriterien und Systemdienlichkeit berücksichtigt. Das Ministerium wolle im ersten Quartal 2026 dazu Vorschläge machen.

Derweil haben die überlasteten Netzbetreiber eigene Strategien entwickelt, um die Flut an Phantom-Anfragen zu bewältigen. Bei Amprion habe man vor ein paar Monaten entschieden, eine Bearbeitungsgebühr von 50.000 Euro einzuführen, schreibt Unternehmenschef Müller auf Linkedin. Für seriöse Projekte sei das „kein ernsthafter Betrag“. Das Ergebnis sei überraschend gewesen: „Rund 65 Prozent der an uns herangetragenen Projekte werden nicht weiterverfolgt!“ So geht's also auch.

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