Weltweit größte Studie checkt Mittel gegen Erektionsstörungen – welche wirklich helfen

Kaum ein medizinisches Thema ist gleichzeitig so verbreitet und schambesetzt wie Erektionsstörungen. Millionen Männer sind betroffen – aber nur ein Bruchteil spricht offen darüber. Dabei erzählt eine Erektion überraschend viel über unsere Gesundheit. Und sie zeigt vor allem eines: Der Körper ist ehrlich. Und manchmal gnadenlos direkt.

Eine neu veröffentlichte Studie, an der ich als Mediziner mitwirken durfte, liefert dazu erstmals Real-World-Daten in einer Größenordnung, wie wir sie bisher noch nie hatten: 132.000 Männer, die über die digitale Gesundheitsplattform "GoSpring" behandelt wurden, haben ihre Erfahrungen mit den Potenzmitteln Sildenafil, Tadalafil und Vardenafil geteilt. 

An der Studie waren auch Kollegen der Universitäten Heidelberg und Freiburg sowie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein beteiligt. So entstand ein Blick in den männlichen Alltag, wie ihn klassische klinische Studien schwer erfassen können – ungeschönt und deshalb enorm wertvoll.

Über den Experten

Christian Wülfing ist Chefarzt der urologischen Abteilung der Asklepios Klinik Altona in Hamburg und seit 2005 APL-Professor der Westfälischen Wilhelms Universität Münster. Der Facharzt für Urologie ist außerdem verantwortlicher Arzt für die Gesundheitsplattform „GoSpring“ .

Oft stecken viele Ursachen hinter Erektionsstörungen

Warum diese Daten so spannend sind: Erektile Dysfunktion (ED) ist selten ein isoliertes Problem. Oft steckt dahinter:

  • eine Gefäßerkrankung
  • Diabetes
  • Bluthochdruck
  • Stress oder psychische Belastung
  • ein ungünstiger Lebensstil

Darum betrachten wir Urologen eine ED längst nicht mehr als "Peinlichkeit", sondern als Frühwarnsignal des Körpers, ähnlich wie es Kardiologen beim Brustschmerz sehen.

Und weil Potenzmittel so weit verbreitet sind wie kaum ein anderes Medikament im Männerbereich, ist die Frage extrem relevant: Welches wirkt wie – und welches verträgt man am besten?

Welche Potenzmittel wie wirken

Die Studie zeigt sehr klar: Die drei gängigen PDE5-Hemmer unterscheiden sich spürbar. Vor allem die Kombination aus Wirksamkeit, Verträglichkeit und Alltagstauglichkeit macht den Unterschied.

1. Sildenafil (Viagra) wirkt am stärksten – besonders bei schwereren Fällen

Männer mit moderater bis schwerer ED berichteten unter Sildenafil von der größten Verbesserung – sowohl bei:

Der Wirkungseintritt war zudem am schnellsten: 30–45 Minuten, im Vergleich zu 45–60 Minuten bei Tadalafil.

Für Männer, die eine verlässliche, gut steuerbare Wirkung suchen, kann das ein entscheidender Vorteil sein.

2. Tadalafil (Cialis) ist der "Verträglichkeits-Champion"

Die tägliche 5-mg-Dosis brachte keinen zusätzlichen Wirkvorteil, aber deutlich weniger Nebenwirkungen – gerade Kopfschmerzen und Gesichtsrötungen traten seltener auf.

Für Männer, die spontane Intimität oder Sex ohne Vorausplanung wollen, ist das oft die angenehmere Option.

3. Vardenafil (Levitra) hat die meisten berichteten Nebenwirkungen 

Hier fanden wir:

  • die höchste berichtete Nebenwirkungsrate (47,4 Prozent)
  • mehr Meldungen von Herzrhythmusstörungen (Tachykardien)

Auf Basis dieser Daten können wir daher keine endgültige Empfehlung für dieses Präparat aussprechen. 

Die häufigste Nebenwirkung von Viagra überrascht

Während klassische Studien häufig Gesichtsrötung und Kopfschmerzen betonen, zeigten unsere Real-World-Daten ein anderes Bild:

  • verstopfte Nase war die häufigste Nebenwirkung aller Präparate
  • Reflux kam unter Sildenafil seltener vor
  • Gesichtsrötungen traten unter Tadalafil deutlich seltener auf

Warum ist das wichtig? Männer leben nicht unter sterilen Laborbedingungen. Sie arbeiten, feiern, reisen, schlafen schlecht, essen spät – und genau diese Realität taucht in klassischen Studien kaum auf. Eine weitere Erkenntnis lautet: Es gibt nicht das eine beste Potenzmittel. Es gibt nur das individuell am besten passende – für den jeweiligen Menschen, sein Beschwerdebild und seinen Alltag.

Sildenafil passt oft gut, wenn

  • eine stärkere Wirkung gebraucht wird
  • Refluxbeschwerden ein Thema sind
  • der Sex kurzfristig planbar ist

Tadalafil ist häufig ideal, wenn

  • Kopfschmerzen oder Gesichtsrötungen ein Problem sind
  • Spontaneität über einen bestimmten Zeitraum wichtig ist
  • geringere Nebenwirkungen gewünscht sind

Vardenafil sollte zumindest basierend auf dieser Studie eher zurückhaltend gewählt werden.

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen auch, welchen Mehrwert digitale Medizin haben kann. In anonymen Online-Abfragen äußern sich Patienten oft offener zu Wirkung und Nebenwirkungen als im Praxisgespräch. Dadurch entstehen Daten, die wir im klassischen System so nicht erfassen würden.

Erektionsstörungen liefern wertvolle Hinweise auf Gesamtgesundheit

Erektionsstörungen sind kein Tabuthema – sie sind ein medizinisches Thema. Und eines, das uns wertvolle Hinweise auf die Gesundheit des gesamten Körpers geben kann.

Die neue Real-World-Analyse liefert dafür eine wissenschaftlich robuste, aber gleichzeitig alltagsnahe Grundlage. Sie hilft uns Ärztinnen und Ärzten, bessere Therapieentscheidungen zu treffen – und sie hilft Männern, offener und informierter über ihre Gesundheit zu sprechen.

Ein Potenzmittel ist kein Wundermittel. Aber es kann ein Türöffner sein – zu einem ehrlicheren Blick auf die eigene Gesundheit.

Statement einer nicht an der Studie beteiligten Expertin

Urologin Sabine Brookman-May: „Diese große Real-World-Analyse ist für die tägliche Versorgung enorm wertvoll. Zum ersten Mal sehen wir an über 130.000 Betroffenen, wie sich die verschiedenen PDE5-Hemmer unter echten Alltagsbedingungen unterscheiden – also jenseits der idealisierten Situation klinischer Studien.

Entscheidend ist für mich die klare Trennung zwischen Wirksamkeit und Verträglichkeit. Viele Männer schauen vor allem auf die Stärke der Wirkung, doch im realen Leben bestimmen Nebenwirkungen wie verstopfte Nase, Kopfschmerzen oder Reflux oft, ob ein Präparat wirklich passt. Solche Daten ermöglichen eine Beratung, die näher an der Lebenrealität und persönlicher ist. Denn eine Therapie funktioniert eben nur dann gut, wenn sie auch im Alltag funktioniert.“