"Wenn wir den gegenwärtigen Finanzkapitalismus nicht überwinden, dann fahren wir diesen wunderbaren Planeten gegen die Wand." Dieses Zitat stammt nicht von Heidi Reichinnek oder Greta Thunberg, sondern von dem AfD-Politiker Björn Höcke. "Höckes Antikapitalismus", so der Autor Frederik Schindler in seinem neuen Buch über Höcke "ist in der Berichterstattung über die AfD ein bislang selten beachtetes Phänomen."
"Welt"-Redakteur Schindler hat dem Thema zu Recht ein ganzes Kapitel in seinem Buch gewidmet, das mit "Der völkische Antikapitalist" treffend überschrieben ist. "Wir stehen nicht an der Seite der Reichen und Gierigen", sagt Höcke in seinen Reden und polemisiert gegen jene, "die morgens ein Meeting in Tokio haben, dann nachmittags zum Golfspielen in Singapur eintreffen, um am nächsten Tag am Abend im Liegestuhl auf der Sonnenterrasse in Sankt Moritz ihren Latte macchiato zu trinken". Der Thüringer AfD-Politiker meint, "dass die Superreichen versuchen, informell die Herrschaft in dieser Welt an sich zu reißen".
Internationale Investoren bezeichnet er, so wie sein Parteifreund Maximilian Krah, als "Heuschrecken". Der Begriff "Heuschrecke" für private Equity-Investoren wurde 2005 von dem damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering in die Diskussion eingebracht und ist seitdem fester Teil der linken Rhetorik.
Schindler meint, dass Höcke "nicht das Wirtschaftssystem als solches angreift", weil er sich verbal zur Marktwirtschaft bekenne. Das sehe ich anders. Auch Gregor Gysi und Heidi Reichinnek bekennen sich verbal zur Marktwirtschaft, aber das sind Lippenbekenntnisse.
Benedikt Kaiser – Vordenker des rechten Antikapitalismus
Das wird deutlich, wenn man sich mit dem Theoretiker hinter Höcke befasst, Benedikt Kaiser, dem Schindler auch einige Seiten widmet: "Innerhalb des Höcke-Lagers sagen ihm manche sogar nach, Kubitschek in dessen Status als wichtigster Denker des Partei-Vorfelds abzulösen", so Schindler. Er zeigt, dass Kaiser aus der Szene der ebenfalls antikapitalistisch gesonnenen Neo-Nationalsozialisten kommt. Leider befasst er sich in seinem Buch jedoch nicht ausführlicher mit Kaisers Schriften.
In der programmatischen Schrift "Solidarischer Patriotismus. Die soziale Frage von rechts" zitiert Kaiser zustimmend immer wieder linke Autoren – von Karl Marx und Friedrich Engels bis Sahra Wagenknecht. In der Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse stützt er sich auf die Bücher des französischen linken Ökonomen Thomas Piketty oder auf die Arbeiten von Christoph Butterwege, einem Politikwissenschaftler, der 2017 für die Linke für das Amt des Bundespräsidenten kandidierte.
Und in seinen Schriften fehlen auch nicht die für das linke Schrifttum typischen Zitate aus den Werken von Erich Fromm und Theodor Adorno. Feindbilder sind dagegen "Marktradikale", "Neoliberale", "Libertäre" – beispielsweise Ludwig von Mises, Milton Friedman oder Friedrich August von Hayek, die ausnahmslos negativ vorkommen.
Die sozialpolitischen Tagesforderungen Kaisers sind deckungsgleich mit denen der Linken beziehungsweise des linken Flügels der SPD. Beide Parteien fordern eine sogenannte Bürgerversicherung und auch die Rechten fordern eine Einbeziehung aller in die Sozialversicherungssysteme, Abschaffung von Beitragsbemessungsgrenzen und Ausdehnung auf alle Einkunftsarten, um Besserverdiener sehr viel stärker zu belasten.
Selbstverständlich soll auch die Einkommensteuer für Spitzenverdiener erhöht, die Vermögensteuer wieder eingeführt werden. Unterschiede zu entsprechenden Forderungen von Linken, SPD und Grünen sind kaum erkennbar.
Frederik Schindler Buch Höcke
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Bildquelle: Verlag Herder
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Höcke: Ein Rechtsextremist auf dem Weg zur Macht
Auch Verstaatlichungen werden gefordert
Teile der Wirtschaft sollen nach Vorstellung der rechten Antikapitalisten verstaatlicht werden. Götz Kubitschek, ebenfalls Höcke-Vertrauter und einer der Vordenker der antikapitalistischen Rechten, fordert, "dass der Staat die Grundversorgung in den Bereichen Verkehr, Bankwesen, Kommunikation, Bildung, Gesundheit, Energie, Wohnraum, Kultur und Sicherheit als Staat sicherzustellen hat, nicht nur als Ordnungsrahmen rund um private Anbieter, denen es vor allem um die Filetstücke geht". Die Aufgabe laute daher "Verstaatlichung bei gleichzeitiger Verschlankung der Bürokratie" – wobei er nicht zu erkennen scheint, dass die Bürokratie zwangsläufig umso mehr wuchert, je stärker sich der Staat in die Wirtschaft einmischt.
Kaiser findet, man solle nachdenken über die Verstaatlichung aller Bereiche der Wirtschaft, die für die Entwicklung des Landes von entscheidender Bedeutung sind, z.B. Schwerindustrie, Chemie und Transportwesen. Auch Elektrizitätswerke, Wasserwerke und so weiter sollten nicht privat betrieben werden. Großzügig wird dagegen zugestanden, dass die Leicht- und Konsumgüterindustrie "Betätigungsfeld für die genossenschaftliche und privatkapitalistische Initiative" bleiben könnten.
Maximilian Krah gegen "Marktradikalismus"
Im vergangenen Jahr war Maximilian Krah Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl. In einem "Manifest" mit dem Titel "Politik von rechts" hatte er seine Vorstellungen ausgebreitet, unter anderem von der Wirtschaft. Auch Krah bekennt sich plakativ zum Privateigentum und zur Marktwirtschaft. Aber wichtiger als diese plakativen Bekenntnisse sind die Einschränkungen.
Rechte Politik befinde sich damit immer in einer Spannung zum Markt, schreibt Krah. Der Markt kenne eben "keine Rücksicht auf Tradition, Natur und Identität" und auch keine "menschliche Würde". Deshalb solle sich rechte Politik dezidiert gegen den "Marktradikalismus" stellen.
"Marktradikalismus" ist ein Begriff, der von linken Kapitalismuskritikern gerne gebraucht wird. Und so wie die Linke betont auch Krah "das Primat des Politischen" über den Markt. Auch sonst findet man viele Begriffe der antikapitalistischen Konsumkritik, so etwa, wenn gegen den "Schund und Schmutz der Wegwerfgesellschaft" polemisiert wird. Skeptisch ist Krah generell, ob nicht der Wohlstand der "westlichen, liberalen Ökonomie" schädlich sei, denn durch diesen Wohlstand sei die politische Rechte marginalisiert worden.
Gegen "Heuschrecken" und "Plutokratenkapitalismus"
Natürlich darf bei Krah nicht die Polemik gegen den "Ausverkauf nahezu aller Dax-Konzerne" an die US-Heuschrecke "Blackrock" fehlen, betrieben durch Friedrich Merz. Auch die Globalisierung wird kritisch gesehen, denn sie gehe "mit dem extremen Liberalismus Hand in Hand".
Beim Thema Freihandel ist es ähnlich. Nach dem grundsätzlichen Bekenntnis zum Freihandel kommen sofort zahlreiche Einschränkungen. Handelsbeschränkungen seien notwendig, weil "Produkte politische und kulturelle Botschaften" transportierten. Als Beispiel nennt Krah Coca Cola, das für den "American Way of Life" stehe und damit "kulturelle Transformationen" begünstige.
Anstelle von weltweiten Plattformen wie Google sollten nationale oder regionale Plattformen treten. Auch dürfe sich die politische Rechte nicht scheuen, "der Elitenmigration" entgegenzutreten, so Krah. Gemeint sind damit Vorstände von Unternehmen, die nicht deutscher Abstammung sind. Russischer Wodka statt Coca Cola und Arbeitsverbot für Manager ohne deutschen Pass?
Krah polemisiert gegen den "Plutokratenkapitalismus". Es gelte, den Superreichen entgegenzutreten, und zwar insbesondere dann, wenn der Vermögensaufbau – wie etwa bei den Internet-Pionieren – in einer Generation erfolgt sei. Die Ziele dieser Superreichen seien "zumeist undurchsichtig und letztlich finster". Schlimm sei auch, wenn Unternehmen "potenziell die ganze Welt als Kunde" gewinnen wollten, denn:
Rechte Ökonomie basiert aber auf der Idee, dass Staaten eine Wirtschaft haben, und nicht, dass eine globale Wirtschaft Staaten als Standorte hat.
Konflikt in der AfD
Schindler meint, dass in der Gesamtpartei AfD und der Bundestagsfraktion bislang eher wirtschaftsliberale Positionen dominierten – er rechnet auch die Parteivorsitzende Alice Weidel dieser Richtung zu.
"Momentan schwelt der Konflikt unter der Decke", so Schindler. Doch spätestens mit der Verabschiedung eines neuen Grundsatzprogramms, das für 2027 geplant sei, werde der Konflikt zwischen Antikapitalisten und Marktwirtschaftlern in der AfD erneut ausbrechen. In der Tagespolitik ist die AfD widersprüchlich – so finden sich viele vernünftige Dinge im Steuerprogramm und andererseits überholt sie mit Forderungen wie "70 Prozent Rente" sogar noch die Linke in wirtschaftspolitischer Weltfremdheit.
Der Erfolg bei Wahlen und Umfragen hält derzeit in der AfD Gegensätzliches zusammen: Da gibt es Weidel, die stolz auf ihren Kontakt mit Musk ist und ihre Partei ihm gegenüber sogar als "libertär" bezeichnet und Höcke, der gegen Superreiche und den Kapitalismus polemisiert oder die Parteifreunde in Brandenburg, die gegen Musks Tesla-Fabrik demonstrieren.
Da gibt es Politiker wie Co-Parteichef Tino Chrupalla, dessen Reden wirken, als seien sie im Kreml geschrieben, und andere, die mehr oder minder vorsichtig versuchen, auf Distanz zu gehen. Noch halten sie zusammen. Und man darf nicht vergessen, dass die AfD gerade dort stark ist, wo sich antikapitalistisch gibt und scharenweise ehemalige Linke- und SPD-Wähler gewonnen hat.
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Bildquelle: Langenmüller
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Rainer Zitelmann ist Historiker und Soziologe und war selbst ein erfolgreicher Unternehmer. Demnächst erscheint sein Buch WELTRAUMKAPITALISMUS. Mehr zum Inhalt und Leseauszüge: https://weltraumkapitalismus.de/