Deutschland gibt eine Milliarde: Die Rechnung für den Regenwaldfonds geht nicht auf

Deutschland wird eine Milliarde Euro für den neuen Tropenwaldfonds zur Verfügung stellen. Immer mehr Länder Erde folgen dem Vorschlag des Gastgebers der diesjährigen Klimawandelkonferenz im brasilianischen Belém und sichern zu, nennenswerte Geldsummen in einen neuen Fonds einzuzahlen, der Tropical Forests Forever Facility (TFFF) genannt wird

Brasilien und Indonesien sind mit jeweils einer versprochenen Milliarde Dollar in Vorleistung gegangen, um andere zum Mitmachen zu motivieren. Norwegen hat sogar drei Milliarden Dollar versprochen. Die ersten Geldgeber sollen mit langfristigen Krediten ein Sicherheitsnetz von 25 Milliarden Dollar aufbauen, damit später möglichst 100 Milliarden Dollar aus der Wirtschaft dazukommen.

Geld investieren für die Tropen

Damit es „Tropenwälder für immer“ geben kann, sollen also nicht nur Staaten Geld spenden. Auch Unternehmen und Anleger aller Art sollen Geld als Anlage einzahlen, um mit dem Tropenwaldschutz Geld zu verdienen. Dieses Geld soll in festverzinsliche Wertpapiere aus Schwellenländern sowie andere Staats- und Unternehmensanleihen – mit Ausnahme von fossilen Brennstoffen und anderen umweltschädlichen Sektoren – investiert werden.

Ein Teil der Rendite soll dann an Tropenwaldländer gezahlt werden, und zwar ungefähr vier Dollar für jeden Hektar Wald, der stehenbleibt. Bei Waldrodung droht Geldverlust. Die Einhaltung der Walderhaltungsversprechen soll mithilfe von Satellitenbildern überwacht werden, mit denen sich selbst kleinste Kahlschläge nahezu in Echtzeit aufspüren lassen. Eine Besonderheit des Vorschlags ist, dass 20 Prozent des Geldes an indigene Völker gehen sollen, die im und mit dem Tropenwald leben.

Besuch aus Kolumbien, und der Tropenwaldschutz hat ein Gesicht

Gerade hatten wir noch die globalen Pläne und internationalen Ankündigungen reflektiert, da bekam das abstrakte Thema plötzlich ein persönliches Gesicht. Soraida Chindoy, eine mutige Vertreterin der Inga aus der kolumbianischen Region Putumayo, gab den menschlichen und nichtmenschlichen Opfern im Seminarraum des Studiengangs „Sozialökologisches Waldmanagement“ in Eberswalde eine Stimme.

 Soraida Chindoy ist eine Vertreterin der Inga aus der kolumbianischen Region Putumayo.
Soraida Chindoy ist eine Vertreterin der Inga aus der kolumbianischen Region Putumayo. Pierre Ibisch

2017 überlebte Chindoy mit ihrer Familie eine Schlammlawine in Mocoa, einer Stadt in den bewaldeten Bergen am Rande des Amazonas. Sie interpretierte die Erdrutsche als Reaktion des Berges auf die Probebohrungen einer Minenfirma, die im kolumbianischen Regenwald eine bedeutsame Kupfermine einrichten will. Das entsprechende Unternehmen Libero Copper & Gold sieht sich durch die bisher entdeckten Ressourcen zum Giganten werden – und nennt sich folgerichtig Copper Giant Resources Corp. Der CEO Ian Harris wirbt bei Anlegern mit einem unmissverständlichen Versprechen: „Mocoa ist eine der größten unerschlossenen Kupfer-Molybdän-Lagerstätten der Welt.“

Mit insgesamt 14 Kilometern tiefen Bohrlöchern wurde der Berg durchstochen, der nicht nur den Inga als heilig gilt. Chindoy berichtet von mutmaßlicher Wasserverschmutzung, von Erdrutschen und dem drohenden Regenwald- und Lebensraumverlust. Hinzu kommen schon jetzt soziale Verwerfungen. Sie erzählt, wie das Unternehmen sich in der Region Unterstützung kauft. Angesichts des scheinbar unermesslichen Reichtums und der Umweltzerstörung, die hier Einzug halten sollen, zerstreiten sich Gemeinden und Familien. Sie selbst wird bedroht und diskriminiert.

Prof. Dr. Pierre Ibisch, Biologe und Professor für Sozialökologie der Waldökosysteme, ist Experte für Naturschutz und nachhaltige Entwicklung. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Die offenen Adern Lateinamerikas und sehr viel „Kupfergeld“

Es ist die alte Geschichte, von der man fast glaubt, man habe sie schon einmal gehört. Da sind sie wieder, „die offenen Adern Lateinamerikas“, wie Eduardo Galeano sie 1971 in seinem berühmten Buch beschrieben hat. Das Land blutet aus Bohrlöchern und Erdrutschen. Letztlich rollt die Kolonisierung Lateinamerikas und anderer tropischer Regionen unter immer neuen Vorzeichen in die letzten verbliebenen Waldgebiete und Täler. Im Namen des Fortschritts werden die angestammten Völker, ihr Lebensraum und lebenswichtige Ökosysteme zerstört.

Chindoy, das Volk der Inga und die Tropenwälder stehen nicht nur einem Kupfergiganten, sondern regelrecht der Zukunft der Zivilisation im Wege.

Wir alle benötigen in unserem Konsumleben große Mengen Kupfer für Kabel und Elektrotechnik, für die Verkehrs- und Energiewende. Während 2006 weltweit 17 Millionen Tonnen Kupfer benötigt wurden, werden es 2025 wohl schon mehr als 27 Millionen Tonnen sein. Nach einem steilen Anstieg überschreitet der aktuelle Preis für eine Tonne Kupfer inzwischen die 11.000-US-Dollar-Marke. Multipliziert man diesen Preis mit der jährlichen Kupfermenge, ergibt sich ein Betrag von 187 Milliarden Dollar, mit steigender Tendenz.

Wir sind bereit, sehr viel Geld für nur einen Rohstoff auszugeben – sehr große Mengen Geld, mit denen dann unter anderem sogenannte Kupfer-Giganten den Regenwald durchlöchern. Und dabei ist hier nur von Kupfer die Rede, und nicht von all den anderen Rohstoffen, die unsere Wirtschaft wachsen lassen.

Die Rechnung geht nicht auf

Damit sind wir wieder beim Tropenwaldfonds. Sollten tatsächlich in etlichen Jahren 125 Milliarden Dollar zusammenkommen und das Geld gut angelegt werden, soll der Ertrag für den Erhalt der globalen Tropenwälder 3 bis 4 Milliarden Dollar pro Jahr betragen. So wenig?!

Glauben wir im Ernst, dass diese Summe ausreichen wird, um Länder wie Kolumbien, die Demokratische Republik Kongo oder Papua-Neuguinea davon abzuhalten, ein Vielfaches dieser Summe für waldzerstörende Rohstoffgewinnung zu investieren?

Die Rechnung geht nicht auf. Das ist nicht die Schuld des neuen Tropenwaldfonds, dessen Erfinder dafür gelobt werden könnten, dass sie sich bemühen, überhaupt frisches Geld in neuen Größenordnungen aufzutreiben. Die scheinbar guten Nachrichten zur Zusicherung Deutschlands von einer Milliarde Euro für den Tropenwaldschutz könnten uns jedoch den Blick für die tatsächliche Herausforderung vernebeln.

Eine böse Geschichte: Die zierliche Chindoy, Mutter von drei Kindern, die von der Intelligenz der gesamten Natur überzeugt ist, den Brillenbären als Gärtner des Waldes schätzt und sich um Mutter Erde sorgt, kämpft gegen den Berge versetzenden Kupferriesen. Ein paar wenige Milliarden Dollar – wenn sie denn überhaupt zusammenkommen – sollen Soraida und andere indigene Menschen in Tropenwäldern unterstützen und ihren Lebensraum retten, während jährlich Aber-Billionen bewegt werden, die zur Tropenwaldvernichtung beitragen.

Ein paar Euro machen uns nicht zu Weltenrettern

Dieser Trick wird nicht funktionieren, wir täuschen uns selbst. Wir geben lieber ein paar Euro für den Regenwald aus und fühlen uns dabei wie Weltenretter, anstatt ein eigentlich schon beschlossenes Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten wirklich umzusetzen.

Die bittere Wahrheit ist allerdings ebenso: Jeder Euro für den Erhalt der Tropenwälder zählt, wenn er die Vernichtung irgendwo, sei es in Putumayo oder Punia, in Peru oder in Papua, auch nur ein wenig aufhält. Damit kaufen wir dem Tropenwald und uns selbst vielleicht etwas Zeit, bis wir doch noch zur Besinnung kommen.

Wenn die Kupfervorräte aus der Erde geholt und die Waldböden zu Tal gespült sind, wenn alle von Menschen gemachten Dinge verkabelt und vernetzt sind, die fließenden und fliegenden Flüsse aber versiegen und die Tiere den Wald nicht mehr erhalten, dann werden wir feststellen, dass uns all die Elektronik und Stromquellen kein gutes Leben geben können.