Deutschlandweit klagen noch Tausende Beamte gegen zu niedrige Besoldung

Das deutsche Berufsbeamtentum fußt auf einem wichtigen Grundsatz: Beamte verpflichten sich, ihr Leben lang treu dem Staat zu dienen, im Gegensatz verpflichtet sich dieser, ihr Leben lang für ein Auskommen zu sorgen, dass dem Rang des Beamten angemessen ist. 

Dieses Alimentationsprinzip gehört schon seit 1794 zu den Grundsätzen des deutschen Berufsbeamtentums und wurde nach Gründung der Bundesrepublik 1954 vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Nun urteilte gestern dasselbe Gericht, dass das Bundesland Berlin zumindest von 2008 bis 2020 gegen dieses Prinzip verstoßen habe. Die in den meisten Fällen gezahlte Alimentation oder Besoldung sei zu niedrig gewesen.

Sieben Klagen von Berliner Beamten

Konkret ging es um sieben Klagen von Berliner Beamten, darunter etwa Richtern. Sie waren in den vergangenen zehn Jahren vor mehrere Gerichte gezogen, weil sie die Besoldung für zu gering hielten und bekamen fast durchweg Recht. 

Allerdings entschieden sowohl das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg als auch das Bundesverwaltungsgericht, dass die Fälle wichtig genug seien, um sie den Karlsruher Verfassungsrichtern vorzulegen. Ihr Verdacht war, dass hier nicht einfach nur ein bisschen zu wenig gezahlt, sondern das Grundgesetz verletzt wird.

Nicht nur Berlin ist betroffen

Berlin ist bei weitem nicht das einzige Bundesland, in dem Klagen gegen zu niedrige Besoldungen laufen. Tatsächlich sind die Besoldungen in der Hauptstadt zwar gerade für Beamte mit Kindern deutlich unter dem Bundesdurchschnitt, aber weit vom Schlusslicht entfernt. Auch Hamburg, das Saarland, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein zahlen durchweg unterdurchschnittlich, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt zumindest teilweise.

In Schleswig-Holstein haben in den vergangenen Jahren bereits mehr als 300 Beamte gegen die Besoldung geklagt. Das Verwaltungsgericht in Schleswig hat erst vor einer Woche entschieden, dass die Beamtenbesoldung dort gegen das Grundgesetz verstoße. In Hamburg laufen mehrere tausend Verfahren gegen das vom Land eingeführte „fiktive Partnereinkommen“. Auch Nordrhein-Westfalen hat so etwas, weswegen hier zahlreiche Widersprüche gegen die Besoldung eingereicht wurden. Der Beamtenbund will jetzt auch hier klagen. Auch in Thüringen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Bremen und dem Saarland gibt es Klagen. Teils richten die sich aber nur gegen sehr bestimmte Besoldungsstufen und -gruppen.

Wie viel Gehalt ist für Beamte denn angemessen?

Das Alimentationsprinzip legt fest, dass der Staat Beamten einen „angemessenen Lebensunterhalt“ zur Verfügung stellen muss – sowohl im Dienst, als auch im Alter und bei Krankheit. Der gilt nicht nur für den Beamten selbst, sondern auch für seine Familie. Doch „angemessen“ ist eben ein schwammiger Begriff. Wie viel Geld genau „angemessen“ ist, darüber lässt sich streiten. Wirkliche Vorgaben, wie das für Beamten zu berechnen sei, gab es bisher nicht. Entsprechend können der Bund sowie alle Bundesländer ihre eigenen Regeln aufstellen. Tatsächlich schwanken die Besoldungen entsprechend auch deutlich. In der Besoldungsgruppe A7 etwa – hier werden etwa Berufseinsteiger bei der Polizei, Justizbeamte oder Sachbearbeiter in Schulsekretariaten eingestuft – reicht der jährliche Sold für Alleinlebende von 40.920 Euro im Saarland bis 44.392 Euro in Bayern. Das ist immerhin ein Unterschied von 8,5 Prozent.

Grundsätzlich gab es bis gestern nur zwei Gebote, an die sich der Staat halten musste:

  • Das Mindestabstandsgebot sagte aus, dass die Besoldung selbst des niedrigsten Beamten noch einen deutlichen Abstand zum Niveau der Grundsicherung haben muss. Bereits 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht festgelegt, dass dieser Mindestabstand bei 15 Prozent liegen müsse. Um das mit echten Zahlen zu verdeutlichen: Das Grundsicherungsniveau – also der Bürgergeld-Anspruch – eines Alleinlebenden beträgt derzeit rund 1200 Euro, je nach Wohnort. Ein alleinlebender Beamter dürfte also entsprechend nicht weniger als 1416 Euro netto verdienen.
  • Das Abstandsgebot besagt, dass die einzelnen Besoldungsstufen ebenfalls einen ausreichenden Abstand zueinander haben müssen. Wer eine Stufe aufsteigt, muss dafür also auch mit deutlich mehr Gehalt belohnt werden. Hier gibt es keine feste Grenze, allerdings gilt es als kritisch, wenn die Unterschiede zwischen zwei Besoldungsgruppen innerhalb von fünf Jahren um mehr als 10 Prozent schrumpfen.

Diese neuen Regeln gibt es jetzt

Das Bundesverfassungsgericht hat gestern in seinem Urteil neue Regeln für die Berechnung angemessener Besoldung aufgestellt. Grundsätzlich gilt jetzt eine Prüfung in drei Stufen:

  • Stufe 1 – Mindestbesoldung: 

Das Gericht hat eine neue Schwelle eingeführt. Demnach darf eine Beamtenbesoldung nicht mehr weniger als 80 Prozent des Median-Äquivalenzeinkommens betragen. Diese Grenze wird neu als „Prekaritätsschwelle“ definiert und ersetzt die bisherige Orientierung am Niveau der Grundsicherung. Sie liegt 20 Prozentpunkte über der Schwelle für Armutsgefährdung, die 60 Prozent beträgt. Das Äquivalenzeinkommen ist eine rechnerische Größe. Es beschreibt, wie viel des Haushaltseinkommens auf jede Person im Haushalt angerechnet wird. Der erste Erwachsene im Haushalt zählt dabei als 1,0 Personen, jeder weitere Erwachsene als 0,5 Personen und jedes Kind unter 14 Jahren als 0,3 Personen. Eine Familie mit zwei Kindern wären also 2,1 Personen. Das Nettoäquivalenzeinkommen wäre dann das Haushaltsnettoeinkommen geteilt durch 2,1.

Für jedes Bundesland gibt es Statistiken, wie hoch dieses Äquivalenzeinkommen im Mittel liegt. Bundesweit waren es 2023 etwa 2079 Euro pro Monat, in Berlin 2064 Euro. Das bedeutet, dass ein Berliner Beamter als Alleinlebender mindestens 80 Prozent von 2064 Euro netto pro Monat erhalten müssten, also 1651 Euro. Alleinerziehende hätten ein Anrecht auf mindestens 2147 Euro, eine Familie mit zwei Kindern auf 3468 Euro – unabhängig davon, ob der Partner auch berufstätig ist.

  • Stufe 2: Die Fortschreibungsprüfung

Es reicht aber nicht, einfach einmal eine nach Stufe 1 angemessene Besoldung festzulegen. Sie muss dann – so steht es im Grundgesetz – auch fortgeschrieben werden, sich also wie alle Löhne im Land erhöhen. Um zu beurteilen, welche Erhöhungen angemessen sind, hat das Bundesverfassungsgericht vier Parameter festgelegt: Den Tariflohnindex, den Nominallohnindex, den Verbraucherpreisindex (also die Inflationsrate) und das Abstandsgebot. Weicht eine Besoldungserhöhung um mehr als fünf Prozent von der Entwicklung eines dieser vier Parameter ab, ist das ein Indiz für einen Verstoß gegen das Grundgesetz. Die Richter schrieben dabei fest, dass ein Verstoß gegen zwei Parameter eine zu geringe Alimentation bedeutet, und ein Verstoß gegen einen einzigen Parameter tiefer geprüft werden müsse. Landesgerichte könnten dann entscheiden, dass ein solcher Verstoß durch außergewöhnliche Umstände berechtigt sein könnte.

Verdeutlichen wir auch das wieder an einem Rechenbeispiel: Sagen wir, ein Beamte bekommt monatlich ein Nettogehalt von 3000 Euro. Zum kommenden Jahr steigen die Tariflöhne in Deutschland um durchschnittlich 4,5 Prozent, alle Löhne um 3,5 Prozent und die Inflation um 2,5 Prozent. Nun müsste ein Bundesland seine Besoldung entsprechend anheben, darf aber nicht mehr als fünf Prozent unter einer dieser drei Parameter bleiben. Das bedeutet, dass die Beamtenbesoldung um mindestens 4,275 Prozent steigen müsste, und zwar in allen Gruppen gleichmäßig, weil sonst der Parameter des Abstandsgebotes verletzt werden könnte. Der Beispielbeamte würde also nächstes Jahr mindestens 128,25 Euro mehr erhalten.

  • Stufe 3: Die Rechtfertigung

Verstößt die Beamtenbesoldung nach Stufe 2 gegen das Grundgesetz, hat der Staat die Möglichkeit, diesen Verstoß zu rechtfertigen und somit eine Ausnahme geltend zu machen. Das wäre zum Beispiel bei einer außergewöhnlichen Notlage möglich.

So verstößt Berlin gegen die Regeln

 Im Prozess ging es um die Beamtenbesoldungen von 2008 bis 2020, weil die vorgelegten Fälle aus dieser Zeit stammten. Allerdings hat sich seitdem wenig an der Berliner Beamtenbesoldung verbessert. Das Bundesverfassungsgericht bemängelte vor allem, dass sich der Sold immer weiter von der allgemeinen Lohn- und Tariflohnentwicklung abgekoppelt habe. Als Beispiel: In der niedrigsten Besoldungsgruppe A5 haben die jährlichen Erhöhungen von 2011 bis 2024 sechsmal gegen die neuen Regeln des Bundesverfassungsgerichts verstoßen. Da 2026 der Sold nur um 0,4 Prozent steigen wird, dürfte dies das siebte Mal werden.

Aber auch das Mindestabstandsgebot wird verletzt. So bekommen Alleinlebende und Alleinerziehende in der Besoldungsstufe A5 derzeit noch deutlich mehr als die Prekaritätsschwelle ausgezahlt. Doch bei Paaren und Familien dreht sich der Wind, vor allem mit Kindern wird das Mindestabstandsgebot deutlich verletzt. Viele Bundesländer umgehen das, indem sie tatsächliches oder fiktives Einkommen des jeweiligen Partner mit anrechnen und so die Mindestschwelle herunterrechnen. Auch diese Praxis wird bereits vor Gerichten verhandelt. Das Bundesverfassungsgericht nannte sie in seiner gestrigen Begründung nicht.

Das können Sie als Beamter jetzt tun

Das Bundesverfassungsgericht hat Berlin aufgegeben, bis Ende 2027 ein neues Besoldungsrecht zu schaffen, dass die neuen Anforderungen erfüllt. Mutmaßlich wird das eine deutliche Sold-Erhöhung für alle Beamten bedeuten. Die neuen Richtlinien gelten aber bundesweit. Bundesländer, die sie bisher nicht erfüllen, müssten also auch ihre Besoldungstabellen korrigieren, um nicht vor Gericht dazu verdonnert zu werden.

Zu niedrige Besoldung in der Vergangenheit muss aber nicht nachträglich korrigiert werden. Eine Nachzahlung dürfen nun nur die Beamten erwarten, deren Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt wurden. Um sich eine solche möglicherweise zu sichern, müssen Sie als Beamter Widerspruch gegen Ihre Besoldung einlegen, und zwar für jedes Jahr, in der Sie diese als unangemessen empfanden. Die Frist dafür ist der 31. Dezember eines jeden Jahres.