85 Prozent: Warum Macht von Aldi, Edeka, Rewe und Lidl unsere Geldbörse bedroht

Edeka, Rewe, Aldi und Lidl sind zu mächtig geworden – das legt die Monopolkommission in ihrem aktuellen Sondergutachten offen, das FOCUS online exklusiv vorliegt. Nach Jahren der Fusionen beherrschen die vier Handelskonzerne inzwischen rund 85 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels (LEH). Monopolkommissions-Vorsitzender Tomaso Duso erklärt gegenüber FOCUS Online: „Die Konzentration des Lebensmitteleinzelhandels ist schon sehr weit fortgeschritten. Umso wichtiger ist es, den verbleibenden Restwettbewerb zu sichern, denn die vier größten Akteure werden den Markt voraussichtlich weiterhin dominieren.“

Macht von Edeka, Rewe, Aldi und Lidl: Folgen für Preise

Ein zentraler Beschleuniger dieser Entwicklung war die umstrittene Ministererlaubnis für die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka im Jahr 2016. Im Gutachten heißt es dazu: Die Entscheidung habe „den Wettbewerb im Lebensmittelhandel erheblich geschädigt“.

Die Monopolkommission ist ein unabhängiges Beratungsgremium, das die Bundesregierung und den Gesetzgeber in den Bereichen Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht und Regulierung berät. Die Monopolkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung ernannt werden. Professor Tomaso Duso ist seit 2024 Vorsitzender der Kommission.

 

Die Monopolkommission beobachtet zudem eine zunehmende Konzentration auf Herstellerebene. Die Marktmacht der großen Akteure ist dabei keine theoretische Gefahr: Die empirischen Analysen im Gutachten zeigen deutlich, dass die Konzentration im LEH und bei Herstellern zu Wettbewerbsproblemen führt. Im EU-Vergleich sind die Verbraucherpreise für Lebensmittel in Deutschland seit 2011 am stärksten gestiegen. Das Narrativ vom „Discount-Land“ wird damit entkräftet.

Ein zentrales Muster wird sichtbar: Preiserhöhungen werden schnell weitergegeben, Preissenkungen dagegen kaum. Besonders deutlich zeigt sich dies bei Molkerei- und Fleischprodukten: Die Handelspreise stiegen deutlich stärker als die Erzeugerpreise – und blieben hoch, selbst als die Erzeugerpreise wieder sanken. Parallel dazu steigen seit über zehn Jahren die Gewinnmargen im Handel und bei Herstellern, während Verbraucher und vor allem Landwirte kaum profitieren.

Die Analyse der Preisaufschläge (das Verhältnis von Preisen zu Grenzkosten) auf der Ebene der Lebensmittelhersteller zeigt, dass diese zugenommen haben, was zeitlich mit der steigenden Marktkonzentration zusammenfällt. Beispielsweise stiegen die Preisaufschläge der Molkereien zwischen 2012 und 2020 von 6 auf 16 Prozent über den Grenzkosten. Im Fleischsektor stiegen die Aufschläge bis 2020 auf circa 13 Prozent.

Vertikalisierung im Lebensmittelhandel: Händler als Produzenten

Eine zentrale Erkenntnis des Gutachtens: Der Lebensmittelhandel rückt zunehmend an die Produktion heran. Vor allem die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) betreibt eine massive vertikale Integration, ebenso wie Edeka. Für die Monopolkommission ist diese Entwicklung hochproblematisch: Je weiter der Handel in die Produktion vordringt, desto größer wird seine Verhandlungsmacht gegenüber Herstellern und Landwirten.

Die Konzentration auf der Seite des Handels führt zu Konzentration auf Seiten der Hersteller, was wiederum eine weitere Konzentration auf Seiten des Handels zur Folge hat. Dieser wechselseitige Konzentrationsprozess wird als „Spiraleffekt“ bezeichnet und kann nicht sinnvoll sein, da er am Ende zum Kollaps des Wettbewerbs führen würde. Deshalb erklärt Duso: „Der Konzentrationsprozess des Lebensmitteleinzelhandels darf sich nicht auf Herstellerebene fortsetzen.“

Gefährdete Branchen: Milch, Fleisch, Zucker und Getreide

Fünf Bereiche der Lebensmittelherstellung gelten laut Gutachten als besonders kritisch: Milch, Fleisch, Getreide, Zucker und Kartoffelprodukte. Bei Molkereiprodukten steigen die Handelspreise schneller als die Erzeugerpreise – vor allem bei den größten sechs Playern (DMK, Müller, Hochland, Hochwald, Arla, Fude). Preissenkungen kommen kaum bei den Verbrauchern an. Gleichzeitig gewinnt der Handel zunehmend Einfluss auf die Verarbeitungsstrukturen.

Bei Molkereiprodukten steigen die Handelspreise schneller als die Erzeugerpreise
Bei Molkereiprodukten steigen die Handelspreise schneller als die Erzeugerpreise Getty Images / Robert Nickelsberg / Kontributor

Dennoch sagt Duso: „In der Milchverarbeitung besteht derzeit noch funktionierender Wettbewerb. Genau deshalb sollte diese Wettbewerbssituation nicht als Begründung dienen, weitere Konzentration – wie die geplante Fusion von DMK und Arla – zuzulassen. Von einer solchen Fusion hätten die Milcherzeuger nicht unbedingt einen Vorteil. Eine höhere Konzentration auf Herstellerebene führt nicht zwangsläufig zu höheren Milchpreisen für die Landwirtinnen und Landwirte.“ Mit der Fusion von "Deutschem Milchkontor" (DMK) und "Arla" würde Europas größte Molkereigenossenschaft entstehen. Branchenkenner wie Andreas Gayk, stellvertretender Hauptgeschäftsführer im Markenverband, erwarten, dass die EU-Kommission das Vorhaben durchwinkt.

Warnungen vor neuer Marktmacht in der Fleisch- und Zuckerindustrie

Duso warnt jedoch: „Die Strukturen, die sich in der Fleischlieferkette etabliert haben, sollten sich in der Milchwirtschaft nicht wiederholen. Eine Beschränkung weiterer Konzentration auf Herstellerebene ist ein zentraler Ansatzpunkt, um das zu verhindern.“ In der Fleischwirtschaft bestimmen wenige große Unternehmen den Markt – allen voran die "Premium Food Group" (vormals Tönnies Holding) und "Westfleisch". Zudem besitzt der Handel eigene Schlacht- und Verarbeitungsbetriebe, sodass unabhängige Strukturen kaum existieren. Auch die Zuckerproduktion ist extrem konzentriert und wird von vier Unternehmen in Deutschland dominiert: "Cosun Beet Company", "Nordzucker", "Pfeifer & Langen" und "Südzucker".

Die Preise für Getreide sind vom Weltmarkt abhängig. Auffällig ist, dass die Back- und Teigwarenindustrie sowie der LEH diese Schwankungen kaum an die nachgelagerten Stufen weitergeben. In der Kartoffelverarbeitung, insbesondere bei Chips und Pommes frites, dominieren wenige Anbieter: Im Chipsgeschäft fünf, bei Pommes frites vier Unternehmen. Der Marktzutritt für neue Anbieter ist schwierig. Zu der Konzentration in der Nahrungsmittelindustrie macht Duso klar: „Wenn auf Herstellerebene weitere Konzentration zugelassen wird, ist damit zu rechnen, dass der Lebensmitteleinzelhandel mit zusätzlicher Vertikalisierung reagieren könnte.“

Unvollständige Kostenüberwälzung: Die Analyse zeigt, dass Hersteller Kostenänderungen nur teilweise an die Kunden weitergeben (Kostenüberwälzungsrate von 0,62). Im LEH liegt diese Rate bei 0,76. Da die Rate in beiden Fällen unter 1 liegt, deutet dies darauf hin, dass Unternehmen Kostenänderungen (sowohl steigende als auch sinkende) nicht vollständig weitergeben und vorhandene Preissetzungsspielräume nutzen – ein Hinweis auf Marktmacht.

Forderungen der Monopolkommission an Politik und Behörden

Die Hauptlast der Marktkonzentration tragen die Landwirte. Händler und große Hersteller üben so viel Marktmacht aus, dass kleine Lieferanten aus Angst vor wirtschaftlichen Nachteilen wie der Auslistung oft nicht gegen missbräuchliche Praktiken vorgehen.

Der Vorsitzende der Monopolkommission fordert: „Wir brauchen eine effektivere Missbrauchsaufsicht. Die zuständigen Behörden, also das Bundeskartellamt und die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, sollten ihren Fokus verstärkt auf Lieferverhältnisse legen, in denen Landwirtinnen und Landwirte sowie kleine Lieferanten beteiligt sind. Sie können sich häufig nicht selbst gegen missbräuchliche Praktiken wehren. Unseres Erachtens ist es die Aufgabe der Behörden, in genau solchen Fällen einzugreifen, in denen der sogenannte Angstfaktor am höchsten ist – und das betrifft vor allem die Kleinlieferanten.“

Dann fügt Duso hinzu: „Wenn man der Landwirtschaft finanziell helfen will, muss man auf der Kostenseite ansetzen, denn die Preise werden stark durch den Weltmarkt bestimmt.“ Konkret heißt das Bürokratieabbau, Förderung effizienter Technologien wie Precision Farming und leistungsorientierte Subventionen. Mindestpreise lehnt die Kommission ab, da sie Inflation und Importe anheizen würden.

Klare Botschaft: Ohne Eingreifen droht weiterer Machtzuwachs

Die Monopolkommission spricht sich zudem für strengere Fusionskontrollen entlang der gesamten Lieferkette aus und ein Ende der Vertikalisierung durch den Handel. Evaluationen früherer Fusionsentscheidungen, etwa der Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka, sollen künftig Fehler vermeiden. Die Botschaft ist klar: Wenn die Politik nicht handelt, wird die Konzentration im Lebensmittelmarkt weiter zunehmen – zulasten von Landwirten und Verbrauchern.