Der Ukraine-Krieg verändert die Wahrnehmung moderner Kriegsführung und entfacht einen Streit in der deutschen Rüstungsindustrie. Während Rheinmetall-Chef Armin Papperger auf Panzer und Raketen setzt, sieht der Drohnenhersteller Helsing den technologischen Wendepunkt gekommen.
"Drohnen sind das durchsetzungsfähigste System"
"Drohnen sind das durchsetzungsfähigste System in der Ukraine geworden", sagt Gundbert Scherf, Mitbegründer und Co-Vorstandsvorsitzender von Helsing gegenüber "N-TV". "Durch die enge Arbeit mit den Operateuren und auch die Transparenz der Ukraine in den Zahlen, sehen wir sehr klar: 80 bis 90 Prozent der Verluste auf beiden Seiten sind auf Drohnen zurückzuführen."
Helsing beliefert die Ukraine mit der Kamikazedrohne HX-2, die als sogenannte Loitering Munition gilt. Eine "herumlungernde Munition", die über dem Einsatzgebiet kreist, bis ein Ziel erfasst wird. Gesteuert wird sie von KI-Systemen, die Zielerkennung und Angriffssteuerung unterstützen.
Kritik an deutscher Ausrichtung
Scherf fordert, die Schlussfolgerungen der Bundeswehr aus dem Ukraine-Krieg zu überdenken: "Wir müssen hinterfragen, ob wir die richtigen Gewichtungen vorgenommen haben. Mein Eindruck ist sehr klar. Wir brauchen beide Arten von Systemen – konventionelle Systeme und autonome Systeme. Das sind die zwei Herzkammern der Rüstung."
Der Rüstungsmanager kritisiert die aktuelle Budgetverteilung: „Aktuell haben wir die Formel gefunden: Panzer und Drohnen. Das klingt paritätisch. Die Realität ist aber, wenn man in alle Planungen schaut, dann ist die Verteilung der Budgets noch 99 zu 1. Das bildet weder die Erfahrung der Ukraine, noch die Entwicklung der nächsten Jahre ab.“
Rheinmetall-Chef Papperger: "Unsinn"
Mit diesen Aussagen widerspricht Scherf direkt den Einschätzungen von Rheinmetall-Chef Armin Papperger, der sich im Handelsblatt skeptisch über eine kriegsentscheidende Rolle von Drohnen geäußert hatte. "Fakt ist, dass der aktuelle Krieg zeigt, dass Kriege immer noch mit Panzern und Raketen geführt werden. Das wird sich in Zukunft nicht ändern", sagte Papperger. "Aktuell gibt es eine Menge dieser Narrative, wonach der Krieg der Zukunft nur noch mit Drohnen geführt werde. Ich halte das für Unsinn."
Wettlauf um Milliardenaufträge
Für die Industrie geht es inzwischen um viel Geld. Das Verteidigungsministerium wies zwar Berichte über eine Vorentscheidung beim Kauf von Kamikazedrohnen zurück, bestätigte aber laufende Tests mit drei Anbietern: Helsing, Stark Defence und Rheinmetall.
Nach Informationen der dpa zeigten sich dabei deutliche Unterschiede: Helsing demonstrierte erfolgreich, während Stark Defence Probleme hatte und Rheinmetall ein System erst noch vorführen muss.
Ein Ministeriumssprecher stellte klar: "Es ist bisher keine Entscheidung für eine großvolumige Beschaffung getroffen worden und folglich wurden dafür keine Hersteller ausgewählt."
"Russland macht dasselbe"
Scherf warnt, Deutschland dürfe die technologischen Entwicklungen nicht unterschätzen: "Die Ukraine hat letztes Jahr über zwei Millionen Drohnen eingesetzt und will das dieses Jahr verdoppeln. Russland macht dasselbe, obwohl es das ganze Fähigkeitsspektrum zur Auswahl hat."
Er hält es für gefährlich, das Thema als kurzfristigen Trend abzutun: "Das Thema abzutun oder gar von einem Hype zu sprechen, halte ich bei der Klarheit, in der das sich dort ausprägt, für gefährlich. Die andere Seite, Russland, aber natürlich auch unterstützt technologisch durch China, kommt in diesen Systemen enorm voran."
Zwei Welten der Rüstung
Scherf sieht die Rüstungsindustrie künftig in zwei getrennten Sphären: "Etablierte Systemhäuser bauen komplexe Waffensysteme nach genauen Vorgaben des Kunden in geringer bis mittlerer Stückzahl. Unternehmen wie Helsing sind dagegen fokussiert auf digitale, autonome und massenproduzierbare Systeme."