Bei drei Punkten hinkt Nagelsmann gegen Kompany hinterher – für einen kann er nichts

Der FC Bayern ist in dieser noch jungen Saison die beste Mannschaft Europas. 16 Siege in Serie, alle Topgegner wie PSG, den BVB oder Chelsea geschlagen, selbst das Remis gegen Union kratzt keinerlei an Bayerns Aura der Unbesiegbarkeit.

Trainer Vincent Kompany wird daher – vollkommen zurecht – von allen Seiten des Lobes überschüttet. Ein Gefühl, dass auch Bundestrainer Julian Nagelsmann wieder verspüren möchte. Denn bei der deutschen Nationalelf herrscht eine gegenteilige Situation. Das DFB-Team sucht nach seiner Form, das verpatzte Final Four der Nations League hat die Mannschaft aus dem Tritt gebracht. Es folgte der Fehlstart in die WM-Qualifikation.

Nagelsmann und Kompany im Vergleich

Dieser wurde zwar mittlerweile korrigiert, dennoch braucht die Nationalelf auch in den letzten beiden Quali-Spielen in Luxemburg am Freitag und drei Tage später gegen die Slowakei dringend Erfolgserlebnisse. Für das WM-Ticket, aber auch für ein positives Gefühl.

Für Nagelsmann würde sich also ein Blick nach München lohnen. Welche erfolgreichen Ansätze kann er im DFB-Team implementieren? Was macht Kompany anders? Was macht er besser?

Eines vorab: Natürlich sind die beiden Situationen nicht unmittelbar zu vergleichen. Schon die Jobbeschreibung eines Bundestrainers ist eine andere. Es geht daher vielmehr um die beiden unterschiedlichen Trainertypen und Ansätze im Umgang mit den Spielern.

Erster Unterschied zwischen Nagelsmann und Kompany: Auftreten

Der offensichtlichste Unterschied besteht im öffentlichen Auftreten der beiden Trainer. Der eine zurückhaltend, vorsichtig, introvertiert. Der andere laut, offensiv, extrovertiert. Es ist eine Stilfrage.

Das hat Nagelsmann zuletzt eindrucksvoll gezeigt. Am Montag sorgte er mit seinen deutlichen Ansagen in Richtung Leroy Sané für ein ordentliches Medienecho.

Inhaltlich mag Nagelsmann in vielen Punkten recht haben, die Art seiner scharfen Rhetorik sorgt aber zwangsläufig für zusätzliche Schlagzeilen und Unruhe. Schon in München gelang es ihm nicht immer, Brandherde schnell genug oder überhaupt zu löschen, beim DFB-Team agierte er nun gar als Brandbeschleuniger.

Matthias Sammer hat ihn für diese Art zuletzt bei Sky kritisiert. "Julian ist noch ein junger Trainer – und junge Trainer neigen in gewissen Phasen dazu, wenn sie etwas bewegen wollen, Reizpunkte zu setzen", so der Ex-Coach. 

Bundestrainer Julian Nagelsmann auf der Pressekonferenz
Bundestrainer Julian Nagelsmann auf der Pressekonferenz Imago

"Manche Dinge sollte man ruhiger angehen, auf manche gar nicht reagieren. Er hat auch wieder gesagt: Die reden alle und darüber und darüber. Entschuldigung – das ist sein Los. Also reagiere da gar nicht drauf, treffe in Ruhe deine Entscheidung, stabilisiere diese Mannschaft", sagte Sammer.

Kritik, die Rekordnationalspieler Lothar Matthäus teilt. "Julian macht sich zu viele Baustellen auf, er schafft sich viele unnötige Themen. Möglicherweise denkt er, dass er mit seiner Art zu kommunizieren alles richtig macht – ich kenne das, bei mir war es früher oft nicht anders, ich wollte nicht auf andere hören", sagte Matthäus gegenüber RTL und ergänzte: "Aber einige Punkte sollte er überdenken, auch auf seine Berater hören, die hier auf ihn Einfluss nehmen sollten. Nagelsmann muss den Rat annehmen, sich hinterfragen."

Bayern-Trainer entschuldigt sich bei Reportern für Langeweile

Absolute Ruhe herrscht derweil in München, weil Kompany die Ruhe selbst ist. Immer freundlich, antwortet er kontrolliert und besonnen auf Fragen der Medien. 

So entschleunigt der Coach den Verein und löscht Brandherde, bevor sie überhaupt entstehen. Fast schon zum Frust der vielen Bayern-Reporter, die andere Zeiten gewohnt sind. Gegenüber Journalist Tobias Altschäffl habe sich Kompany sogar schon dafür entschuldigt, immer so "nichtssagende Antworten" zu geben, erzählte Altschäffl im „Bild“-Podcast "Bayern-Insider". 

Ähnlich berichtete auch Tobias Schweinsteiger in seiner Funktiona als DAZN-Experte. "Es ist natürlich nicht immer super interessant, weil von ihm relativ wenig kommt. Er stellt sich immer vor die Mannschaft und bietet keine Angriffsfläche. Darüber habe ich auch mal privat mit ihm gesprochen", so der Bruder von Weltmeister Bastian Schweinsteiger.

FC Bayern hat aus Fehlern mit Nagelsmann gelernt

Über Langeweile oder inhaltslose Aussagen kann man sich bei Nagelsmann wahrlich nicht beschweren. Er versteht zum einen das Spiel mit den Medien, schießt aber häufig über das Ziel hinaus und schafft so neue Themen – über die er sich dann wieder aufregen kann.

Klar ist aber auch: Zumindest in strategischen Fragen bekommt Kompany in München deutlich mehr Unterstützung seitens des Vereins als noch Nagelsmann oder Vorgänger Thomas Tuchel. Die saßen auf Pressekonferenzen allein auf dem Podium und mussten sich auch klubpolitischen Thematiken stellen.

Nagelsmann wurde hier insbesondere vom damaligen Führungsgespann Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic erst allein- und dann fallengelassen. Der Verein scheint aber aus diesen Fehlern gelernt zu haben. Kompany hat vor Spielen entweder Sportvorstand Max Eberl oder Sportdirektor Christoph Freund an der Seite, die ihm knifflige Fragen abfangen können.

Bundestrainer Nagelsmann muss sich diesen Fragen qua Amt weiterhin stellen. Die Verantwortung ist um ein Vielfaches größer, die Tragweite seiner Entscheidungen weitreichender, die Anzahl an Menschen, die meinen, es besser zu wissen: konstant steigend. 

Zweiter Unterschied zwischen Nagelsmann und Kompany: Standing

Viel wichtiger als die öffentliche Meinung ist für einen Trainer sowieso die Chemie in der Kabine. Eberl beschrieb Kompanys Umgang mit den Spielern so: "Vinny zeichnen Ruhe und Besonnenheit aus, Lockerheit und Klarheit - und ein hohes Maß an Empathie." Dies heiße aber nicht, dass "er nicht auch mal lauter und emotional werden kann, wenn ihm Dinge nicht gefallen. Entscheidend ist: Er ist immer authentisch. Vinny hat als Spieler auf höchstem Niveau alles selbst erlebt. Er weiß, worauf es ankommt – und das spüren die Spieler."

Kompany spielte über Jahre auf Elite-Level in der Premiere League bei Manchester City, war dort sogar Kapitän. Er erzeuge bei den Spielern "eine natürliche Autorität und Respekt", wie es Präsident Herbert Hainer formulierte.

Es läuft: Harry Kane und Vincent Kompany beim FC Bayern
Es läuft: Harry Kane und Vincent Kompany beim FC Bayern Getty

"Bei Kompany spüre ich, dass er auf meiner Position gespielt hat", berichtete zuletzt auch Verteidiger Dayot Upamecano: "Manchmal nimmt er mich beiseite, sagt: 'Dayot, komm mit in mein Büro', und zeigt mir Videoclips, in denen er mir aufzeigt, was ich verbessern muss." 

Sommer-Neuzugang Tom Bischof war anfangs sogar "genervt" von seinem neuen Lehrmeister. "Die ersten drei Wochen waren echt verrückt. Da hat er mir quasi zu jeder Aktion irgendwas gesagt. Ich dachte fast: 'Bitte, es reicht.'"

Geholfen habe es aber "extrem", so Bischof, der mittlerweile auch als echte Alternative für die Linksverteidigerposition eingesetzt wird. "Ich denke in meinen Aktionen ständig an seine Worte: 'Hinterherrennen, immer Anschluss halten!' Das hat er mir eingetrichtert in meinen Kopf. Und da bleibt es jetzt auch für immer drin."

Die Aura eines einstigen Weltklassespielers kann Nagelsmann gar nicht haben

Nagelsmann hingegen musste seine aktive Karriere bereits beenden, als sie noch gar nicht richtig begonnen hatte. Verletzungen zwangen ihn zum frühen Wechsel in die Trainerlaufbahn. Dort wurde er mit nur lediglich 28 Jahren bei der TSG Hoffenheim zum jüngsten hauptamtlichen Cheftrainer in der Bundesliga. Ein steiler Aufstieg, der auch seine Tücken beinhaltet.

Nagelsmann war jünger als manche Spieler, hatte nicht dieselbe Erfahrung auf dem Rasen und schon gar nicht auf dem Niveau, auf dem er dann später RB Leipzig oder den FC Bayern in der Champions League coachte.

Die Aura eines einstigen Weltklassespielers kann er gar nicht haben. Aber: Weltklassespieler bedeutet ja nicht gleich Weltklassetrainer. 

Dass Nagelsmann diese Erfahrung selbst nicht braucht, hat er über die Zeit bewiesen. Den vermeintlichen Nachteil musste er mit Fachwissen, taktischer Raffinesse, exzellentem Scouting und vor allem durch motivierende Ansprachen kompensieren. Er hat sich den Respekt der Kabine hart erarbeiten müssen.

All das ist ihm gelungen, ohne als "Laptop-Trainer" abgestempelt und diskreditiert zu werden. Der Begriff, der zu seiner Anfangszeit gerade in Mode kam, konnte Nagelsmann schnell abschütteln.

Dritter Unterschied zwischen Kompany und Nagelsmann: Kadermanagement

Kompany hat in München seine Mannschaft fest im Griff. Dabei hilft allerdings eine Tatsache, die noch vor der Saison für viel Kritik sorgte: die Kadergröße. 

Kompany hat kaum unzufriedene Stars, die er moderieren muss. Sportdirektor Freund sprach bereits von einem "wohlwollenden Kader für den Trainer". Derzeit fehlen in Jamal Musiala und Alphonso Davies zwei mögliche Stammspieler, in Hiroki Ito zumindest jemand für die Rotation. Lösungen fand Kompany intern.

Bayern-Trainer Vincent Kompany mit seinen Talenten Tom Bischof und Lennart Karl
Bayern-Trainer Vincent Kompany mit seinen Talenten Tom Bischof und Lennart Karl Imago

Serge Gnabry ist mit seiner neuen Rolle im Zentrum, in der er voll aufgeht, wie ein Neuzugang. Bischof entpuppt sich als echte Option, und Allzweckwaffe Konrad Laimer stopft sowieso jede Lücke, die im hinteren Mannschaftsteil entstehen kann. Die Folge: kein Murren, kein Gemecker.

Murren und Gemecker gibt es rund um die Nationalmannschaft immer dann, wenn Nagelsmann seinen Kader verkündet. Für die kommenden Länderspiele war das Getöse wieder besonders laut, weil Sané immer polarisiert und Nagelsmann in anderen Fällen – wie manche meinen – keine nachvollziehbare und stringente Strategie verfolgt. 

Nagelsmann steckt in einer kniffligen Situation, die seinen Ton verschärft

Aber hier hat der Bundestrainer keinen leichten Job. Er muss auf der einen Seite einen Generationswechsel (Rücktritte von Neuer, Kroos, Müller, Gündogan) einleiten und wichtige Schlüsselspieler (Musiala, Havertz, Rüdiger) ersetzen; auf der anderen Seite muss er in Richtung WM eine Struktur schaffen, die schnellstmöglich wieder erfolgreich ist.

Weil im Kader kaum Säulen vorhanden sind, ist Nagelsmann gezwungen, viel auszuprobieren. Das ist bei einer Trainingswoche alle paar Monate kaum umzusetzen. Der Faktor Zeit läuft dabei auch in Richtung WM ab. Spielraum für Fehler ist nicht mehr vorhanden. Eine knifflige Situation, die seinen Ton verschärft.

Leroy Sané und Bundestrainer Julian Nagelsmann bei der Nationalmannschaft
Leroy Sané und Bundestrainer Julian Nagelsmann bei der Nationalmannschaft Getty

Dabei hatte Nagelsmann erst vor einem Jahr gesagt, im Vergleich zu seinen Zeiten als Klubtrainer "empathischer" gegenüber den Spielern zu sein. Er sieht die Nationalelf als seine Mannschaft, weil er sie komplett nach seinem Gusto zusammenstellen kann. "Du kannst den Kader so nominieren, wie du glaubst, dass er zu deiner Idee passt, wie er charakterlich zusammenpasst", sagte er 2024. 

Die richtige Balance scheint Nagelsmann noch nicht gefunden zu haben. Nach dem Hire-and-Fire-Prinzip holte er schon Mats Hummels zurück, um ihn dann wieder auszusortieren. Leon Goretzka und Gnabry waren phasenweise abgemeldet, sind jetzt aber wieder wichtige Anker. Es gibt viele weitere Beispiele.

Nagelsmann braucht Kompanys Ruhe

Wir meinen: Wie anfangs beschrieben, wäre jeder Eins-zu-Eins-Vergleich der beiden Trainer hinkend und unfair. Allein ihre jeweilige Amtszeit in München hätte kaum unterschiedlicher sein können. Der Job des Bundestrainers beinhaltet viel mehr Politik, viel mehr Kadersteuerung und eine viel größere Abhängigkeit von äußeren Einflüssen.

Dennoch wurde insbesondere in den vergangenen Monaten deutlich, wie sehr der FC Bayern von Kompanys Ruhe profitiert. Und wie sehr das DFB-Team unter Nagelsmanns Impulsivität zuweilen ihren Faden verliert. Ein wenig Zurückhaltung würde ihm und der Mannschaft guttun – so sehr wir Medien uns auch über jede knackige Schlagzeile freuen.