Als Julian Nagelsmann das Feld der gemütlichen AOK-Arena in Wolfsburg für das anstehende Auftakttraining der deutschen Nationalmannschaft präpariert, läuft im Hintergrund für die rund 4.000 Fans ein Werbeclip auf den Bildschirmen. So presst der Bundestrainer unter der musikalischen Begleitung von Howards Carpendale "Ti amo" Trainingsdummies in den grünen Rasen.
Ganz so liebevolle Worte gab es zuvor auf der Pressekonferenz in den Räumen der Volkswagen-Arena nebenan nicht. Hier setzt Nagelsmann den Ton für die anstehenden letzten beiden WM-Qualifikationsspiele. Keine Ausreden, keine Ausrutscher.
Nagelsmann mit Boss-Ansagen an seine DFB-Stars
Dementsprechend klar und scharf formuliert der Bundestrainer auch seine Erwartungen an die Mannschaft. Für die Zusammensetzung gab es aus der versammelten Presse-, Experten und Fanwelt nämlich mächtig Kritik, auch bei manch einem Verein sorgte sie für Irritation.
Groß verteidigen wollte sich Nagelsmann nicht, vielmehr nutzte er die kritischen Nachfragen, um den Druck auf seine Spieler zu erhöhen.
So im Fall Leroy Sané. Der Flügelstar werde nicht mehr "unzählige Chancen" bekommen, sich in der Nationalmannschaft zu beweisen. Das stellte Nagelsmann unmissverständlich klar. Wenn Spieler wie Jamal Musiala oder Kai Havertz zurückkehren, sei es für den 29-Jährigen nicht mehr so leicht, dabei zu sein. Die Botschaft habe Sané auch persönlich so offen und transparent bekommen.
Ultimatum für Sané, Anspruchshaltung für El Mala
Apropos Transparenz. Die habe Nagelsmann auch gegenüber DFB-Neuling Said El Mala. Für seine Nominierung gab es einen ebenso lauten Aufschrei. Erst neun Bundesliga-Partien hatte der Kölner bestritten, ehe die frühe Einladung folgte. Zu früh für einige. "Es ist sehr, sehr früh, einen Spieler mit den Bundesliga-Minuten einzuladen", sagte etwa – ja, Sie ahnen es – nun Nagelsmann selbst.
Er hatte schon früher bei anderen Personalien diese Ansicht vertreten. "Ich bin kein Freund von frühem Hypen und Hochpushen", betonte er nochmals und erklärte seine widersprüchliche Nominierung.
Allein vom Scouting könne er solche Spieler nur schwierig bewerten. "Vom Profil ist er einer, von dem wir nicht viele haben", erklärte er. Daher könne El Mala in Richtung WM eine wichtige Rolle einnehmen und erhalte nun die Chance, "sich im Training zu zeigen". Nagelsmann müsse "spüren" können, wie sich der 19-Jährige bewegt und ob er "für das Turnier infrage" kommt, so der Coach. Zudem sei das Gefühl fürs Teamgefüge wichtig.
Auch hier ist die Botschaft für den Spieler klar: beweisen! Ansonsten: "Daran halte ich fest, dass ein Hypen nicht gesund ist, sondern der Spieler muss klar die Kommunikation verstehen, warum er hier ist und was seine Aufgabe ist. Aber es kann auch sein, dass er das zweite Spiel schon wieder bei der U21 ist."
Eine knallharte Vorgabe in Richtung El Mala, eine deutliche Warnung mit Ultimatum für Sané. Es sind Boss-Ansagen des Bundestrainers – so unmissverständlich wie selten zuvor.
Nagelsmann zeigt neue Facette, baut sich aber selbst eine Fallhöhe
Damit zeigt Nagelsmann eine neue Facette, die die Dringlichkeit der unmittelbaren WM-Vorbereitung betont. Er erwartet das Maximum und stellt klare Erwartungen. Der Druck ist da, für die Spieler – aber vor allem auch für Nagelsmann selbst. Denn an seinen Worten wird er sich in Zukunft messen lassen müssen. Insbesondere im Fall Sané.
Was passiert, wenn er seine Chance jetzt nicht nutzen kann, aber im Frühjahr in fantastischer Form ist und – Vorsicht, Übertreibung! – seinen Klub Galatasaray zum Champions-League-Titel schießt?
Wie schnelllebig das Fußballgeschäft ist, erlebt Nagelsmann im Nationalelf-Turnus. Sich selbst nun eine gewisse Fallhöhe zu schaffen und mögliche Fallen zu stellen, ist ein großes Wagnis. Wollen wir als Fußballnation hoffen, dass er auf dem Weg zur WM nicht in diese tappt.