Wer Susanne Krammer begegnet, spürt Frieden. Einen tiefen Frieden, den sie in sich trägt – und eine Schönheit, die sie damit ausstrahlt. Sie ist ganz bei sich und fühlt sich „Schön genug!“, wie ihr Buch heißt. Das war im Leben der Mitte 40-Jährigen lange nicht so. Zu sich und zu ihrem Schönheitsideal zu finden, war kein leichter Weg.
Sie ist „barfuß durch die Hölle gegangen“, sagt Susanne Krammer. „Da hat sich der liebe Gott oder wer auch immer das Drehbuch geschrieben hat, gedacht: In dieses Leben packe ich das volle Drama, den Emmy holen wir uns!“, beschreibt die Unternehmerin ihre Geschichte. Heute, als wir uns zum Gespräch treffen, umspielt dabei ein zartes Schmunzeln ihre Lippen. „Ich wollte wohl die ganze Klaviatur an Gefühlen einmal durchspielen.“
Susanne Krammer (aka fraubeauty) ist Journalistin, Influencerin, Hair- und Make-up-Artistin sowie Unternehmerin. Auf ihren Kanälen erreicht Susanne mittlerweile fünf Millionen Menschen. Besonders auf Instagram hat sie sich eine treue Community aufgebaut, die ihr auch bei ihrem Podcast „Trotzdem schön“ zur Seite stand. Hier schilderte sie ihre jahrelange gesundheitliche und psychische Krise, ausgelöst durch eine missglückte Beauty-OP. 2023 wurde sie vom Frauenmagazin „Glamour“ als „Content Creatorin des Jahres“ ausgezeichnet. 2024 launchte sie ihre eigene Kosmetiklinie „hautsache“.
Wie Susanne ihre wahre Schönheit fand
Schönheit war ihr Leben, kostete sie es beinahe, wurde es in anderer Form wieder.
Kurzer Zeitraffer: Aufwachsen in Frankfurt, Freunde an Drogen verloren, traumatisierte Mutter, Magersucht als Jugendliche, Streben nach Perfektion. Nach einer missglückten Schönheitsoperation mit Eigenfett in den Brüsten (Lipotransfer) hätte sie um ein Haar ihr Leben gelassen. Eine Not-OP mit einer Überlebenschance von 50:50 rettete sie vor einer tödlichen Sepsis. Auf die Nahtoderfahrung, den Verlust ihrer Brüste, folgte eine tiefe Depression.
Doch Susanne Krammer möchte nun nicht mehr nur darauf blicken. Sie lebt jetzt und in Selbstliebe.
Beauty ist für die Make-up-Artistin nach wie vor ihre Leidenschaft – trotz der Facetten, die sie in der Branche kritisiert. Für Susanne Krammer zählt es, den „Zauber aus jedem Menschen herausholen“. Und vor allem möchte sie Menschen, gerade die jungen, dazu ermutigen, sich nicht von den Schönheitsidealen, die in den sozialen Medien inszeniert werden, unter Druck setzen zu lassen. Nun mehr zu Susannes zweitem Leben und wie ihr die Heilung gelang.
FOCUS online: Schauen wir uns das Jetzt an. Ihr Buch heißt „Schön genug“. Wie ging es Ihnen heute Morgen, als Sie in den Spiegel geschaut haben?
Susanne Krammer: Das ist für mich schon lange kein Thema mehr, weder in die eine noch in die andere Richtung.
Was bedeutet das genau?
Krammer: Ich bewerte mich nicht mehr. Deswegen habe ich dieses „Schön genug“ als Überschrift über diesem ewigen „Sich nicht genügend fühlen“ oder „Zu viel“. Gerade Frauen haben oft das Problem: „Du bist zu laut. Du warst zu witzig." Es ist ein schmaler Grat des Richtig-Seins, dem wir oft ausgesetzt sind. Da habe ich mir irgendwann den Stress von den Schultern geklopft und mir gedacht: „Du kannst es nicht allen recht machen. Es geht einfach nicht." Aber ich kann es mir recht machen, und um es mir recht zu machen, bin ich in eine tiefe Selbstakzeptanz und Selbstannahme gegangen. Ich verzeihe mir Fehler. Denn die machen wir.
Haben Sie ein Beispiel?
Krammer: Ich verzeihe mir, wenn ich aus dem Raum gehe und erst denke: „Oh, ich glaube, dieser eine Witz war jetzt zu viel.“ Dann sage ich mir: „Ja, aber er ist ausgesprochen und so bist du. Du hast Stärken und du hast Schwächen.“ Es ist das Gegenteil von dem, wozu die Welt gerade wird, dieses „Ich kann nur lieben, was vollkommen perfekt und in Ordnung ist“. Nein! Ich kann genauso sagen, diese Seite mag ich nicht so gerne, aber ich liebe sie trotzdem. Wie zum Beispiel die Beauty-Welt. Ich mag nicht alles, was da passiert, aber ich liebe sie. Sie wird für immer meine große Liebe sein. Es wird für immer das Schönste für mich sein, mich mit Frauen hinzusetzen und sie aufzuhübschen.
Obwohl das Äußerlichkeiten sind.
Krammer: Ja, ich helfe ihnen dabei, ihre eigene Schönheit zu entdecken. Dazu braucht es manchmal auch Pigment. Doch der Blick in den Spiegel am Morgen, am Mittag, am Abend ist für mich schon lange kein bewertender mehr. Das habe ich losgelassen. Ich frage mich, wie ich mich fühle, und nicht mehr, wie ich aussehe.
Und was war die Antwort heute Morgen?
Krammer: Fantastisch. (lacht) Ja, wirklich. Ich versuche jeden Tag mit genau diesem Gefühl zu starten. Wenn mir dann das Leben erklärt, es ist vielleicht doch nicht so fantastisch, halte ich natürlich einen Moment inne. Aber für mich fühlt sich mein Leben als wundervolles Geschenk an. Wir wissen alle nicht, wie lange wir da sein werden. Ich lebe zwar nicht in einer konstanten Angst, aber ich lebe in dem Bewusstsein, dass jede Sekunde wertvoll ist. Wenn ich eine Herausforderung erlebe, bringt sie mich weiter. Wenn ich eine Niederlage erlebe, lerne ich daraus. Wenn ich Schönes erlebe, nehme ich es dankend an. Wie in einem Super-Mario-Spiel, wo man immer was einsammelt. (lacht)
Sie haben beschrieben, die Heilung ist ein bisschen wie Sport. Sie trainieren und entscheiden sich jeden Tag dafür.
Krammer: Genau, du musst dich jeden Tag dafür entscheiden, dass du dich lieben willst. Das ist nicht immer wie frisch verliebt sein. Wir leben ja schon ein paar Jährchen mit uns. Da ist es oft sehr leicht, dass wir uns selbst ablehnen. Es gibt viele Momente, in denen die Selbstablehnung um die Ecke schaut und fragt: „Wie wär's mit uns beiden?“ Meine Antwort lautet: „Nein“. Wenn ich die bewusste Möglichkeit habe, mich zu entscheiden zwischen „ich lehne mich ab“ oder „ich liebe mich“, werde ich mich immer für die Selbstliebe entscheiden.
Wie haben Sie das geschafft?
Krammer: Für mich war es in einem Moment tiefer Meditation, in dem mir klar geworden ist: Ich habe diese Wahl. Ich kann mich für mich entscheiden.
Das ist auch diese Freiheit, die Sie schildern.
Krammer: Ja, das ist eine unendliche Freiheit.
Der Weg dorthin war kein leichter. Das Thema Schönheit hat Sie früh begeistert, Sie magersüchtig und krank gemacht, Sie haben sich wieder geheilt.
Krammer: Es war definitiv kein leichter Weg. Ich glaube, Heilung ist für uns nie einfach. Jedes Familiensystem hat seine Geschichte. Bei mir war meine Mutter die schwierige Person. Es brauchte viel Mut, alles genau anzuschauen. Aber ich glaube zutiefst daran, dass alles auf dieser Welt heilen will, wenn wir es nicht davon abhalten.
Nehmen Sie uns noch einmal mit zurück und wie Sie dieses Beauty-Paradox, in dem Sie gefangen waren, durchbrochen haben?
Krammer: Mit Mitte 30 erlebte ich diesen Tiefpunkt. Mein Leben wurde für mich so unerträglich. Da war für mich der Tod verlockender als das Leben weiter auszuhalten. Das Groteske daran war: Was tief in mir ablief, hat niemand im Außen gemerkt. So viel an Maske, Show und gelernten Mustern eignen wir uns an, dass wir wie Roboter funktionieren. Als ich wirklich nicht mehr weiterwusste, war für mich in der Meditation die Gedankenleere im Kopf das Einzige, was mir am Anfang minutenweise geholfen hat. Dann ging es immer länger, ein Urlaub von mir selbst und meinen selbst zusammengezimmerten Monstern.
Wie wurden Sie diese Monster los?
Krammer: Es ist verdammt schwer, diese Gedanken und Stimmen im Kopf abzustellen. Anfangs waren es zwei Sekunden Pause, die mir Kraft schenkten. Das ist unfassbar, wie viel Kraft in dieser Leere steckt. Wenn wir es schaffen, die für ein paar Minuten am Tag herzustellen, merken wir, wie sich das, was in uns so verschlossen und eng ist, plötzlich aufdehnt und wir uns aufrichten.
Ganz generell: Wenn ich den Fokus auf das lege, was alles gut ist, ist zwar der Schmerz immer noch nicht weg, aber ich gehe ganz anders damit um.
Es geht also um die veränderte Sichtweise des Ganzen.
Krammer: Lange haben die Stimmen mir immer eingeredet, dass, wenn ich nur ein kleines bisschen schöner werde, nur ein kleines bisschen mehr leiste, dann werde ich geliebt. Ich habe nicht verstanden, dass die purste und schönste Form des Geliebtwerdens in uns selbst anfängt. Wenn wir uns selbst lieben, kann uns das niemand nehmen. Natürlich können wir immer noch schlimme Schicksalsschläge erfahren, aber wir sind nicht mehr so angreifbar.
Heute lasse ich sämtliche Kommentare einfach so stehen. Was ich alles bei Instagram an Kopf geknallt bekomme, bösen Sachen, das perlt an mir ab, weil es nichts mit mir und meiner Liebe zu tun hat.
Aber das ist schon eine große Kunst, dahin zu kommen.
Krammer: Richtig, aber ich bin barfuß durch die Hölle gegangen.
Dieser Satz aus Ihrem Podcast ist bei mir auch hängengeblieben. Es ist extrem, was Sie nach dieser Brust-OP, gefolgt von der lebensbedrohlichen Sepsis mitgemacht haben. Jetzt wissen Sie, das ist eine der gefährlichsten der Welt.
Krammer: Ja, sie war Blödsinn. Das kann ich nur jetzt aus der Retrospektive so sehen. Aber ich habe mir oft die Frage gestellt, was wäre gewesen, wenn das alles geklappt hätte. Das wäre der Startschuss in die ultimative Selbstablehnung gewesen. Ich hätte mir danach wahrscheinlich das Gesicht machen, die Nase kleiner und die Augen liften lassen. Ich hätte das immer wieder als Lösungsansatz für meine Selbstablehnung erlebt. Wie ein Pflaster, das kurz diese Wunde abdeckt, und dann kommt das nächste und das nächste. So etwas bekomme ich im Freundeskreis mit. Das fängt mit Botox an, es geht mit Fillern und Facelifts weiter.
Es geht mir gar nicht darum, dass ich Schönheits-OPs verteufeln möchte. Überhaupt nicht. Das ist der freie Wille von jedem Menschen. Was ich verteufle, ist die Selbstablehnung.
Ein Wendepunkt, den Sie in Ihrem Buch beschrieben haben, war vor der Not-OP, der alles auf den Kopf gestellt hat...
Krammer: Ja, falls Sie jetzt auf die Abschieds-Szene mit meinem Sohn zum Beispiel anspielen.
Genau, als Sie wussten, dass Sie ihn vielleicht nicht wiedersehen.
Krammer: Erst einmal wusste ich nicht einmal, ob ich falle oder ob ich schwebe. Konfrontiert mit der Schuld ihm gegenüber und dem Gedanken, dass ich vielleicht sterbe, hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich habe meinen Dreijährigen umarmt, ihn festgehalten und versucht, all meine Liebe in diesen Augenblick zu packen. In der Hoffnung, dass er für immer darauf zurückgreifen kann.
Unvorstellbar.
Krammer: Vielleicht hat mein Kind in vierundzwanzig Stunden keine Mutter mehr und alles nur wegen so einem Unsinn. Dann stehst du da vor diesem kleinen Kind und versuchst, irgendwie noch was zu retten. Das geht überhaupt nicht. So wie du nicht vorschlafen kannst, kannst du nicht vorlieben.
Die Chancen standen 50:50. Sie haben die OP überlebt. Was Sie anschließend erlebt haben, war kein Gefühl von „Juhu, geschafft! Jetzt kann’s weitergehen“, was man von außen betrachtet, natürlich meinen könnte…
Krammer: Gar nicht. Da ist ein Körpergedächtnis, das wir mit dem Kopf nicht so schnell steuern können. Alle Menschen, die ein posttraumatisches Belastungssyndrom haben, werden bestätigen können: Das fliegt dir um die Ohren. Du kannst nichts machen. Es ist plötzlich nicht möglich, dass du entspannt irgendwo sitzt. Du musst raus, du musst rennen. Du bist gefühlt auf der Flucht.
Was ist dann geschehen?
Krammer: Das ist natürlich ein wahnsinniger Stress für den Körper, für die Psyche, für alles. In einem Alltag, der funktionieren muss, weil du Kinder hast, weil du in einer Beziehung bist, weil du Freunde hast. Und vor allem: weil keiner mit dir in dieser Version was anzufangen weiß.
Das war noch nicht die bessere Version von Ihnen.
Krammer: Richtig. Gleichzeitig wollte ich überhaupt nicht mehr die Person werden, die ich einmal war. Aber die anderen wollten es so gerne. Für mich keine Option. Es war, als wäre ich dem Teufel entkommen und dann würden Leute fordern: „Geh doch wieder zurück zu ihm." Nein, danke. (lacht)
Gegen diese Widerstände sind Sie Ihren Weg weitergegangen – und finden auch, mehr Menschen sollten „dem Schönheitsideal den Stinkefinger zeigen“.
Krammer: Ja, und sich auf das verlassen, was sie haben, nämlich die Schönheit ihrer Seele und das Spannende. Mit Ecken und Kanten. Ich habe mir irgendwann gedacht: „Gott ist ein guter Art Director, der hat das hervorragend gemacht mit mir. Wenn ich ab und an nicht in eine Schublade passe, dann ist das einfach so.“ Natürlich gibt es Stimmen, die meinen, ich hätte vielleicht früher zu mir finden können. Ich glaube es nicht. Da ist eine tiefe Gewissheit in mir, dass es ganz wichtig für mich war, genau das alles zu erleben.
Serie „Mein zweites Leben“ – wie Susanne Krammer Hoffnung schenkt
Die Geschichte von Susanne Krammer ist nicht nur sehr bewegend, sondern sie lehrt uns auch zweierlei: Erstens ist der Druck der Gesellschaft auf den einzelnen Menschen, was als schön, erfolgreich und erwünscht gilt, extrem hoch – für manche so hoch, dass sie krank werden. Soziale Medien verstärken das oft. Zweitens steckt doch in uns allen eine große Kraft, uns selbst zu helfen. Dass die Meditation wirkt wie Antidepressiva, haben schon Studien gezeigt.
Was wir alle aus Susanne Krammers Geschichte mitnehmen können: Öfter mal die Pause-Taste im hektischen Alltag drücken! Das hilft, um Kraft zu tanken und bei sich zu bleiben.
Wer mit der Meditation bisher noch nicht in Berührung kam, kann mit kleinen Schritten anfangen:
- Eine Minute am Tag die Augen schließen und einfach nur die eigene Atmung wahrnehmen.
- Susanne Krammer hat sich ihre Gedanken als Seifenblasen vorstellt, die nach oben steigen. Konzentrieren Sie sich einfach auf die Leere dazwischen.
- In Yogastunden ist Meditation Teil der Übungen.
- Es gibt viele geführte Meditationen im Netz, zudem Apps wie „Balloon“ oder „7mind“, die manche Krankenkassen sogar bezahlen.
Letztlich kann jede Person die Form finden, die am besten zu ihr passt. So wie mit den Schönheitsidealen – die äußere wie auch die innere Schönheit ist etwas ganz Persönliches. Sie zu finden, braucht oft Zeit. Seien Sie geduldig mit sich!
Die Auswirkungen von Schönheitsidealen
Bild- und videobasierte Plattformen wie Instagram oder TikTok bergen die Gefahr gesundheitlicher Beeinträchtigungen für Kinder und Jugendliche. Studien deuten auf einen Zusammenhang mit Ängsten, Depressivität, Essstörungen oder Stress hin.
- Niedriges Selbstwertgefühl durch unrealistische Körperbilder und Vergleiche mit anderen.
- Essstörungen nehmen zu: Bei 12- bis 17-jährigen Mädchen stieg die Zahl der Fälle von Magersucht, Bulimie und Binge Eating zwischen 2019 und 2023 um fast 50 Prozent.
- Social-Media-Druck verstärkt Schönheitswahn und kritische Selbstwahrnehmung, besonders bei Jugendlichen.
Buchtipp
-
Bildquelle: Rowohlt Verlag
Susanne Krammer
Schön genug!