Bürgermeister schreiben Brandbrief an Merz: Das steckt hinter dem Ärger der Kommunen

Die Kommunen sind sauer. 13 Bürgermeister aus den Hauptstädten aller Bundesländer mit Ausnahme der Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen haben diese Woche einen Brandbrief an Bundeskanzler Friedrich Merz und die jeweiligen Ministerpräsidenten geschrieben. Darin fordern sie nicht weniger als eine „Neujustierung der Grundsätze der kommunalen Finanzausstattung“. Was sperrig klingt, machen sie schnell in einfachen Worten deutlich: „Aufgaben werden übertragen, ohne dass ein angemessener finanzieller Ausgleich erfolgt. Dies führt zu immer größeren Belastungen der kommunalen Haushalte.“ Das Ergebnis: 2024 hatten die Städte und Gemeinden zusammengenommen eine Neuverschuldung von 24,8 Milliarden Euro, den höchsten seit der Wiedervereinigung. 

Das klingt angesichts von mehr als zwei Billionen Euro Schulden des Bundes nach wenig, belastet die Kommunen aber stark. Denn die Haushalte der meisten Städte und Gemeinden sind viel kleiner als der des Bundes. Die 24,8 Milliarden Euro machen deswegen ein Defizit von 6,2 Prozent der kommunalen Haushalte aus. Das ist nur etwa weniger als dem Bund aufgrund der Schuldenbremse und ohne die Sondertöpfe für Verteidigung und Infrastruktur erlaubt wäre. Nur zweimal zuvor nach der Wiedervereinigung überschritt das kommunale Defizit überhaupt die Fünf-Prozent-Marke – 1992 und 2003.

Doch es sind nicht die Schulden an sich, die die Bürgermeister aufregen, sondern die Gründe dafür – denn die sehen sie nicht im eigenen Verschulden, sondern darin, dass ihnen die Bundesregierung immer mehr Einnahmen wegnimmt und Ausgaben aufbürdet, ohne, dass die Städte sich dagegen wehren können. Um das zu verstehen, müssen Sie allerdings wissen, welche Einnahmen und Ausgaben Kommunen haben.

Wie verdienen Kommunen Geld?

Wie alle Entitäten der deutschen Verwaltung bekommen auch Kommunen Einnahmen aus Steuern. Manche Steuern werden dabei komplett von ihnen einbehalten. Dazu zählt etwa die Grundsteuer, die Gewerbesteuer und alle örtlichen Verbrauchssteuern – das sind etwa die Hundesteuer, die Zeitwohnungssteuer, Übernachtungs- und Bettensteuer sowie Vergnügungssteuer.

Zudem erhalten Kommunen Anteile von bundesweit eingetriebenen Steuern. Am wichtigsten sind ihr 15-prozentiger Anteil an den Einnahmen der Einkommensteuer, ein 12-prozentiger Anteil an den Einnahmen der Abgeltungsteuer und rund 3,7 Prozent der Einnahmen der Umsatzsteuer. Die Einnahmen werden dabei je nach Aufkommen verteilt. München zum Beispiel erhält 15 Prozent der Einkommensteuer, die die Einwohner von München jedes Jahr zahlen. Ausnahme ist hierbei die Umsatzsteuer, bei die Verteilung etwas komplexer ist.

Neben Steuern haben Kommunen auch Einnahmen über Gebühren, die sie als Hausbesitzer oder Mieter tragen. Das sind etwa Abgaben für die Wasserversorgung, die Müllabfuhr oder Straßenreinigung.

Wofür geben die Kommunen Geld aus?

Zuallererst sind Kommunen natürlich dafür zuständig, das Leben in der Stadt zu organisieren. Deswegen gehören die Stadtverwaltung mit Personal sowie alle lokalen Ämter zu den größten Ausgabenposten. Das beinhaltet die Wasserversorgung, Stromversorgung, die Reinigung von Müll und Abwasser, die Reinigung von Straßen, das Ordnungsamt und so weiter. Zudem sind Kommunen für den Unterhalt von Schulen und Kindergärten, den Unterhalt des ÖPNV, den Unterhalt von Sport- und Kultureinrichtungen sowie von Gemeindestraßen verantwortlich.

Während das alles im örtlichen Kosmos abläuft, gibt es aber einige Ausgabenposten, die den Kommunen von höherer Stelle aufs Ohr gedrückt werden. Dazu gehören vor allem die Unterkunftskosten für Bürgergeld-Empfänger. Auch die Kosten der Eingliederungshilfe für Arbeitslose werden von den Kommunen getragen. Zwar gibt es für beide Posten Zuschüsse der Länder und des Bundes, doch diese reichen nicht aus, um alle Kosten zu decken. Der Grund, dass diese Kosten den Kommunen übertragen wurden, liegt daran, dass der Bund logischerweise davon ausgeht, dass ein Amt vor Ort am besten abschätzen kann, welche Wohnung zu welchem Preis zum Beispiel für einen Bürgergeld-Empfänger angemessen ist.

Nach einer Auswertung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) machten die Sozialausgaben mit rund 20 Prozent zuletzt den größten Anteil an den kommunalen Kosten aus. Es folgen die Kosten für Jugendarbeit, die bei etwa 17 Prozent liegen. Die Kosten für die Verwaltung und die Gestaltung der Umwelt mit je rund 20 Prozent. Zur „Gestaltung der Umwelt“ gehört etwa die Wohnraumförderung oder der Bau und Unterhalt von Parks, Spielplätzen und so weiter. Schulen und Kultur machen rund 10 Prozent der Kosten aus, Finanzleistungen sowie Ausgaben für Gesundheit und Sport liegen am Ende.

Was ist jetzt das Problem?

Was den Bürgermeistern Sorgen macht, ist vor allem die Entwicklung der einzelnen Ausgabenposten. So sind die Kosten für Sozialleistungen in den vergangenen Jahrzehnten stets gestiegen. 1991 lag ihr Anteil noch bei rund 25 Prozent, heute sind es eben 37 Prozent. Das geht zu Lasten anderer Projekte. Für die „Gestaltung der Umwelt“, was maßgeblich Investitionen in die Lebensqualität eines Ortes beinhaltet, wurden 1992 noch fast 35 Prozent aufgewendet. Der Wert hat sich mittlerweile fast halbiert. Auch die Ausgaben für Schulen, Gesundheit und Sport sind mit der Zeit gesunken, allerdings jeweils nur leicht.

Die Kommunen beschweren sich darüber, dass sie diese höheren Kosten gar nicht selbst verursacht haben. Sie fordern, dass das Prinzip „Wer bestellt, muss bezahlen“ gelten sollte. Sprich, wenn die Bundesregierung neue Gesetze beschließt, die Kommunen höhere Kosten aufdrücken, dann müssten dafür auch entsprechende Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt gezahlt werden.

Um welche Kosten geht es genau?

Zwar machen Sozialleistungen den Großteil der städtischen Ausgaben aus, doch sie sind es nicht, die Probleme bereiten. Schließlich übernehmen die Kommunen hier größtenteils nur die Unterkunfts- und Heizkosten. An denen wiederum hat der Bund in den vergangenen Jahren nichts geändert. Zwar lässt sich diskutieren, ob die Bundesregierung durch ihre Wohnungsbaupolitik und Energiepolitik steigende Mieten und Gaspreise mitverursacht hat, aber zumindest sind damit keine direkten Kosten vom Bund auf die Kommunen übertragen worden.

Doch gerade aus diesem Jahr gibt es viele Beispiele, bei denen die Bundesregierung die kommunalen Finanzen direkt beeinflusst. Tatsächlich hatten sich die Ministerpräsidenten der CDU-regierten Bundesländer schon im Sommer an Merz gewandt und davor gewarnt, waren aber scheinbar auf taube Ohren gestoßen.

So hat die Bundesregierung etwa die Senkung der Umsatzsteuer in der Gastronomie ab Januar beschlossen. Da die Kommunen einen Anteil der Steuereinnahmen bekommen, sinken ihre Einnahmen durch dieses Vorhaben also. Die ebenfalls geplante Erhöhung der Pendlerpauschale senkt die Einnahmen aus der Einkommensteuer. Auf der anderen Seite warten neue Ausgaben: Der bereits geltende Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz muss ebenso von den Kommunen bezahlt werden wie der ab 2026 geltende Rechtsanspruch auf einen Platz in der Offenen Ganztagsschule für Grundschüler. Für beides erhalten die Städte nicht ausreichend Zuschüsse von Ländern und Bund. Auch die Bezahlung des Deutschlandtickets geht zu ihren Lasten, weil es eben die Kommunen sind, die den ÖPNV so ausgestalten müssen, dass er der Nachfrage gerecht wird.

Wie ließe sich das Problem lösen?

Die Bürgermeister selbst haben – wie schon die Ministerpräsidenten – zwei Anliegen. Erstens sollen künftige Gesetze, die Kommunen Einnahmen entziehen oder zusätzliche Ausgaben aufbürden, nur dann beschlossen werden, wenn die Städte auch entsprechend finanziell entschädigt werden. Im Sommer hatten das die Bundesländer etwa beim Investitionsbooster im Bundesrat durchgesetzt. Als zweites fordern die Bürgermeister nachträgliche Entschädigungen für die bereits beschlossenen Maßnahmen wie eben Pendlerpauschale und Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie.

Doch es gibt weitere Ideen, die nicht im Brandbrief stehen: „Aus unserer Sicht brauchen wir einen echten Ruck für die kommunale Ebene“, sagt Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer des Landkreistags, gegenüber dem Handelsblatt. Er fordert damit, einen höheren Anteil der Gemeinschaftssteuern an die Kommunen zu vergeben. Die Bundesregierung zeigt sich demgegenüber aber überhaupt nicht offen.

Die Bertelsmann-Stiftung schlägt eine Reform der Gewerbesteuer vor. Bisher wird die Steuer nur auf Unternehmensgewinne fällig, weswegen ihre Einnahmen entsprechend stark mit der Konjunktur schwanken und für Kommunen oft schwer planbar sind. Eine Idee wäre, zur Berechnung der Steuerlast auch wieder Löhne und Mieten einzubeziehen. Beides war bis 1980 beziehungsweise 1998 der Fall. Eine Reform ließe sich so ausgestalten, dass die realen Einnahmen gegenüber heute nicht steigen, aber planbarer gezahlt werden würden. So würden auch Unternehmen keine zusätzlichen Kosten aufgebürdet.