Euro-Aus, Abschiebungen und ein Dienstauto: Bilanz des ersten AfD-Landrates

Als sich der AfD-Politiker Robert Sesselmann 2023 für das Amt des Landrates im Thüringer Landkreis Sonneberg bewarb, verhießen Wahlkampfplakate jede Menge Neuerungen: "Sofortige Abschiebung krimineller und abgelehnter Asylbewerber",  hieß es auf einem Plakat. Auf anderen Bannern stand: "Frauen vor dem Islam schützen“, "Gegen Windräder – für Diesel“, "Rundfunkbeiträge abschaffen“ und sogar "Euro abschaffen“.

CDU-Generalsekretär Linnemann greift AfD-Landrat an 

Vor wenigen Tagen hatte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann eine neue Offensive gegen die AfD angekündigt. Am Beispiel Sonneberg habe man die AfD einem Praxistest unterzogen: "Kaum ein Versprechen ist gehalten worden”, behauptete Linnemann.

FOCUS online wollte nun von Sesselmann erfahren, was er von seinen Wahlkampf-Aussagen in den ersten beiden Amtsjahren umsetzen konnte, und schickte eine ausführliche Anfrage. Bevor Sesselmann sich ans Antworten machte, reagierte er erst einmal gereizt. 

"Der Beantwortung Ihrer suggestiv und von vornherein negativ-wertend formulierten Fragen vorangestellt, ist für mich erkennbar, dass Sie mit Ihrer avisierten Berichterstattung bewusst das Ziel verfolgen, mich öffentlich zu diskreditieren.“ 

Sesselmann, der von Hause aus Rechtsanwalt ist, drohte vorsorglich mit rechtlichen Schritten, falls FOCUS online nicht den Tatsachen entsprechend berichte. Ein durchaus ungewöhnlicher Vorgang für einen Amtsträger, aber sein gutes Recht. 

1.Wahlkampfaussage: "Frauen vor dem Islam schützen"

Hierzu fragte FOCUS online: "Welche Maßnahmen hat der Landkreis ergriffen, um Frauen besser vor Übergriffen von Männern aus muslimischen Kulturkreisen zu schützen, z.B. Frauenhäuser, Beratung von Frauen, bzw. Aufklärung von männlichen Flüchtlingen?“  

Sesselmann antwortet: "Ihre Frage ist völlig verfehlt, da die Zuständigkeiten im Bereich des repressiven Schutzes der Bevölkerung behördlicherseits klar bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft liegen – und eben nicht bei einem Landkreis.“ 

Fazit: Unsere konkreten Fragen, was seine Behörden zum Schutz der Frauen veranlasst haben, ließ er unbeantwortet. 

2. Wahlkampfaussage: „Sofortige Abschiebung krimineller und abgelehnter Asylbewerber“ 

Hierzu fragten wir den Landrat: "Wie viele Abschiebungen von kriminellen Flüchtlingen gab es in den Jahren 2022, 2023, 2024 und im ersten Halbjahr 2025 aus dem Landkreis bzw., was hat der Landrat getan, um mehr solcher Personen abschieben zu können?“ 

Sesselmann antwortet, dass seine Ausländerbehörde "die Bemühungen zur Rückführung ausreisepflichtiger Asylbewerber verstärkt habe.“ So sei es gelungen, "in den letzten beiden Jahren die Anzahl der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen um das Vielfache zu steigern.“  

Auf Nachfrage teilte uns der Landrat auch die Zahlen mit: So habe es 2022 und 2023 jeweils nur 2 aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegeben, 2024 seien die Zahlen auf 7 Abschiebungen und 3 Überstellungen nach der Dublin-Verordnung gestiegen. Hinzu kamen 26 freiwillige Ausreisen. 2025 gab es bis Ende August bereits 5 Abschiebungen, eine Dublin-Überstellung und 15 Ausreisen. Die Zahl aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist tatsächlich stark angestiegen – allerdings auch im übrigen Thüringen, wenn auch nicht im gleichen Maße, wie der MDR berichtet.

Problem straffälliger Ausreisepflichtiger besteht fort 

Trotzdem besteht das Problem krimineller, ausreisepflichtiger Personen auch nach zwei Jahren Amtszeit Sesselmanns fort: 

"Derzeit ist unser Landkreis für 45 Ausreisepflichtige zuständig. Unserer Behörde wurden im Jahr 2025 fünf Ausreisepflichtige zugewiesen, von denen bekannt ist, dass sie bereits mehrfach straffällig in Erscheinung getreten sind. Diese fünf Mehrfachstraftäter befinden sich aktuell in einer JVA. Hinzu kommen vier Mehrfachstraftäter, welche bereits seit längerem unbekannten Aufenthalts sind.“ 

Fazit: Die Ausländerbehörde in Sonneberg hat ihre Maßnahmen offenbar verstärkt. Die Forderung, kriminelle Flüchtlinge sofort abzuschieben, konnte hingegen auch unter AfD-Landrat Sesselmann nicht realisiert werden. 

3. Wahlkampfaussage: „Gegen Windräder – für Diesel“ 

Hierzu fragten wir den Landrat, wie sich die Zahl der Windanlagen im Kreis Sonneberg entwickelt habe und welche Maßnahmen der Landkreis ergriffen habe. Er teilt mit, dass es im Landkreis keine großen Anlagen gebe und er sich weiterhin dafür einsetze, dass dies auch so bleibe. 

Fazit: Der Landrat hält in diesem Punkt offenbar Wort. 

4. Wahlkampfaussage: „Rundfunkbeiträge abschaffen“ 

FOCUS online wollte wissen, was Sesselmann als Landrat unternommen hat, darauf hinzuwirken, den Rundfunkstaatsvertrag dahingehend zu verändern, dass die Rundfunkbeiträge abgeschafft werden. 

Sesselmann verweist dazu auf seine mangelnde Zuständigkeit: "Auch im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, des Rundfunkstaatsvertrags und der Rundfunkbeiträge ist ein Landkreis bzw. ein Landrat nicht zuständig. Deshalb habe ich dies auch nie zu meiner Aufgabe gemacht – weder im Landratswahlkampf, noch nach Amtsantritt.“ Selbstverständlich aber sehe und unterstütze er als Mitglied der AfD "die Notwendigkeit der zuständigen Bundes- und Landesebene, diesen Bereich dringend zu reformieren.“ 

Fazit: Offenbar wurden im Wahlkampf Plakate eingesetzt, ohne dass sich Sesselmann als Kandidat ihren Inhalt aktiv zu eigen gemacht haben will. Auf Nachfrage teilt er mit, es sei zum Landratswahlkampf von seiner Partei "ein Repertoire verschiedener Wahlplakate eingesetzt“ worden – teilweise noch aus früheren Bundestagswahlkämpfen. 

5. Wahlkampfaussage „Euro abschaffen“ 

Politisch bedeutet diese Forderung das große Rad. Also fragten wir den Landrat, welche Maßnahmen er ergriffen habe, um Einfluss darauf auszuüben, dass Deutschland aus der Euro-Zone herausgeführt wird.

Sesselmann antwortet, er habe niemals gefordert oder sich „angemaßt“, als Landrat Deutschland aus der Euro-Zone zu führen: "Hier ist ein Landrat im Grunde für jedermann klar erkennbar nicht zuständig und auch nicht befähigt.“ Aber wie konnte es dann zu den Wahlplakaten kommen? Sesselmann: "Im Landratswahlkampf wurden durch einen meiner Wahlkampfhelfer leider punktuell ältere Wahlplakate aus dem zurückliegenden Bundestagswahlkampf aufgehangen, die unsere Euro-kritische Haltung thematisierten.“ 

Fazit: Als Landrat will Sesselmann mit den Plakaten nichts mehr zu tun haben. Die Plakatierung will er als ein "Fauxpas“ darstellen. Die Antwort wirkt wie eine schlechte Ausrede.  

Sesselmann:  Allgemeinpolitische Forderungen im Wahlkampf legitim 

Sesselmann schreibt FOCUS online überdies, insbesondere im Vorfeld demokratischer Wahlen sei es legitim, auch als gegebenenfalls nicht zuständiger Kommunalpolitiker klar seine persönlichen Einstellungen und Forderungen zu politischen Fragen zu äußern, für welche die EU, der Bund oder das Land zuständig sind. Das ermögliche den Wählerinnen und Wählern, sich eine umfassende Meinung zu bilden. 

Beschäftigung für Flüchtlinge und Dienst-Chauffeur abgeschafft 

Zudem übersandte Sesselmann FOCUS online eine eigene stichwortartige Bilanz seines bisherigen Wirkens von fast 40 Punkten. Unter den aus seiner Sicht wichtigsten Entscheidungen führt er die Ausweitung der Beschäftigung von Asylbewerbern in Gemeinschaftsunterkünften und Erfolge bei der Vermittlung von Flüchtlingen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf. Hier habe der Landkreis Sonneberg die höchste Vermittlungsquote. Außerdem habe er Bürgersprechstunden eingeführt sowie regelmäßige Schulbesuche durch den Landrat.  

Last but not least verkündet Sesselmann, auf den traditionellen Fahrer für die Dienstlimousine des Landrates verzichtet zu haben. Auch habe er von einem "Dienstwagen der Premiumklasse auf einen kleineren, kostengünstigeren und umweltfreundlicheren Dienstwagen als Selbstfahrer“ umgestellt.  

Was also bleibt von den großen Vorhaben des Robert Sesselmann?  Wie kommt sein Wirken in seinem Landkreis an?

"Sesselmann ist in den Niederungen der Kommunalpolitik angekommen."

Robert Ebert ist einer der lokalen CDU-Politiker, die schon immer offen Haltung gegen die AfD gezeigt haben. Was Sesselmann angeht, ist er eher unaufgeregt. Der sei jetzt auch in den "Niederungen der Kommunalpolitik“ angekommen, sagt Ebert: "Und ganz ehrlich: Wer im Landkreis weiß schon, wie der Landrat heißt?“ Das habe sich mit Sesselmann nicht geändert.

Und doch gibt es diesen Unterschied: Wäre Sesselmann nicht Deutschlands erster AfD-Landrat, würde der Landrat von Sonneberg niemanden kümmern. Solange aber das Thema einer "Entzauberung der AfD“ politisch im Raum steht, bleibt auch Sesselmann unter Beobachtung.