Russlands Präsident Wladimir Putin soll US-Präsidenten Donald Trump beim Telefonat am vergangenen Donnerstag ein weitreichendes Angebot zur Beendigung des Krieges in der Ukraine unterbreitet haben. Wie die "Washington Post" unter Berufung auf zwei hochrangige US-Beamte schreibt, habe Putin am 16. Oktober erklärt, die Ukraine müsse den verbliebenen, noch nicht besetzten Teil der Region Donezk an Russland abtreten. Das sei die Bedingung für ein Kriegsende.
Im Gegenzug habe Wladimir Putin angeblich Bereitschaft signalisiert, Teile der besetzten Regionen Saporischschja und Cherson aufzugeben. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass Putin sich auf jene Gebiete in den Regionen Saporischschja und Cherson bezieht, die Russland 2022 völkerrechtswidrig annektiert, aber nie vollständig besetzt hat. Schon im August 2025 soll der Kreml-Chef gefordert haben, dass Kiew den gesamten Donbass an Russland abtritt. Damals ebenfalls als Voraussetzung für eine Waffenruhe.
ISW: Gebietsabgabe würde Russland strategisch stark begünstigen
Wie das Institute for the Study of War (ISW) schreibt, würde eine solche Abgabe Russland militärisch und politisch deutlich in die Hände spielen. Das Gebiet Donezk ist von zentraler Bedeutung für die ukrainische Verteidigung: Dort ist die sogenannte Hauptverteidigungsstellung, die über Jahre zu einem wichtigen logistischen und industriellen Zentrum ausgebaut wurde.
Der österreichische Oberst Markus Reisner sagte zu n-tv: "Trump hat namhaften Zeitungen zufolge Selenskyj aufgefordert, Putins Bedingungen zu akzeptieren. Andernfalls müsse er damit rechnen, dass Russland die Ukraine zerstört. Offenbar drängt Trump auf ein Einfrieren des Konflikts entlang des aktuellen Frontverlaufs."
Reisner weiter: "Trump hat seine grundsätzliche Herangehensweise nie verändert. Er möchte aus diesem Krieg herauskommen. Und es ist ihm egal, was die Ukraine hierfür aufgeben muss."
Russische Truppen verfügen derzeit weder über die personellen noch die materiellen Kapazitäten, um diese Stellung in absehbarer Zeit zu durchbrechen. Nach Angaben des ISW würde ein Vormarsch auf die „Festung Donezk“ bei der aktuellen Geschwindigkeit der russischen Offensive Jahre dauern. Sollte die Ukraine das Gebiet jedoch abtreten, könnte Russland ohne langwierige Kämpfe neue Ausgangspositionen entlang der Oblast-Grenze beziehen – mit direktem Zugang zu weniger befestigten Regionen wie Dnipropetrowsk, Saporischschja oder dem südlichen Charkiw.
Eine solche territoriale Verschiebung würde Russland die Möglichkeit eröffnen, von mehreren Frontabschnitten gleichzeitig Druck auf die Ukraine auszuüben. Das ISW warnt, dass Putin selbst nach einem formellen Gebietsdeal keine Garantie für ein dauerhaftes Ende der Kampfhandlungen bieten würde.
Markus Reisner sagt: "Mit einem Gebietsverzicht wären diese ukrainischen Verteidigungsanlagen mit einem Schlag überwunden - und es gäbe kein Hindernis mehr, das Russland auf dem Weg nach Westen aufhalten würde."
Russische Staatsmedien: Es sieht nicht nach Frieden aus
Während westliche Medien über Putins vermeintliches Angebot berichten, gehen die Kämpfe unvermindert weiter. Russische Beamte und staatsnahe Medien stellen kleinere Angriffe der russischen Seite im Süden als Großoffensive zur Rückeroberung von Cherson dar – eine Darstellung, die schwer mit der angeblichen Bereitschaft Putins zu territorialen Zugeständnissen vereinbar ist.
Chersons von Moskau eingesetzter Verwaltungschef Wladimir Saldo behauptete am 19. Oktober, russische Truppen hätten bereits „industrielle Teile“ der Stadt und mehrere Datscha-Gebiete im Dnipro-Delta eingenommen. Tatsächlich liegt das von ihm genannte Gebiet jedoch auf dem Ostufer des Flusses und damit außerhalb der administrativen Grenzen der Stadt Cherson. Nach dem erfolgreichen ukrainischen Gegenangriff im Herbst 2022 hatten sich russische Truppen vollständig vom Westufer zurückgezogen.
Die staatliche Nachrichtenagentur "TASS" deutete Saldos Aussage als Hinweis auf eine angebliche Großoffensive zur Rückeroberung Chersons. Eine solche Operation würde allerdings den gefährlichen Übergang über den Dnipro erfordern – ein logistisches Unterfangen, für das Russland derzeit weder genügend Truppen noch Material bereitgestellt hat. Auch Mitglieder des Verteidigungsausschusses der Duma erklärten, eine Rückeroberung Chersons sei zwar ein langfristiges Ziel, aber „nicht in absehbarer Zeit“ realistisch.
Moskau spielt Putins angebliches Angebot herunter
Parallel dazu bemühen sich russische Regierungsvertreter, das angebliche Gegenangebot zu relativieren. Alexei Tschepa, stellvertretender Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses der Duma, erklärte gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur "Lenta", die Regionen Cherson und Saporischschja seien „anerkannte Teile Russlands“. Sollten Aussagen über territoriale Zugeständnisse gefallen sein, seien diese „in einem informellen Kontext“ zu verstehen.
Beobachter werten solche Äußerungen als Versuch, die russische Bevölkerung darauf vorzubereiten, dass der Krieg noch lange andauern könnte – und um gleichzeitig das Bild einer unnachgiebigen Moskauer Führung aufrechtzuerhalten. Auch nationalistische Blogger und Kommentatoren reagierten empört. Ein einflussreicher Militärblogger bezeichnete den angeblichen Vorschlag Putins als „absurd“ und warnte, Russland würde damit freiwillig eine strategisch günstige Verteidigungslinie entlang des Dnipro sowie den Landkorridor zur Krim aufgeben.
Das ISW betont, dass Putin seine Kriegsziele und Gebietsansprüche seit Beginn der Invasion 2022 kaum verändert hat. Es gebe bislang keine Anzeichen dafür, dass der Kreml bereit sei, auf wesentliche Forderungen zu verzichten oder ernsthafte Friedensverhandlungen zu führen.