FOCUS online Earth: Herr Schels, Sie haben mit Ratisbona über Jahrzehnte noch klassische Supermärkte gebaut. Vor sechs Jahren kam dann der Sinneswandel zu nachhaltigen Discountern. Warum?
Sebastian Schels: Das hatte ganz ursprünglich weniger mit ökologischen Aspekten zu tun. Der eigentliche Auslöser war der Fachkräftemangel auf dem Bau. Es wurde für uns immer schwieriger, Menschen zu finden, die draußen bei Wind und Wetter Steine stapeln wollten. Deswegen haben wir 2019 probeweise den ersten Markt aus Holz gebaut. Dabei lassen sich ganze Wände und Decken im Werk vorproduzieren, die man dann vor Ort nur noch montieren muss. Das hat hervorragend funktioniert, Personal und Zeit gespart. Und es war nicht einmal teurer – was uns im ersten Moment zugegebenermaßen selbst überrascht hat. Dass die Märkte aus Holz auch noch CO₂sparen, war zunächst ein willkommener Nebeneffekt.
Viele verbinden nachhaltiges Bauen mit Mehrkosten.
Schels: Das ist oft ein Trugschluss. Um zwei Beispiele zu geben: Ein klassischer Lebensmittelmarkt in Massivbauweise benötigt 25 Prozent mehr Stahl als unsere Märkte in Holzbauweise. Holz ist leichter, deswegen reicht eine kleinere Fundamentierung. Das spart bis zu 50 Prozent im Vergleich zur Massivbauweise, da kommen schon hohe fünfstellige Beträge zusammen. Außerdem nutzen wir eine Zellulose-Dämmung aus recyceltem Zeitungspapier. Die ist günstiger als herkömmliche Mineralwolle und mehrfach wiederverwendbar. Durch diesen regenerativen Dämmstoff sparen wir bis zu 40 Prozent an Kosten. Insgesamt liegen die Baukosten für einen Markt aus Holz fünf bis sieben Prozent unter denen eines herkömmlichen Marktes. Außerdem sind die Märkte wartungsärmer und können zu einem großen Teil rückgebaut werden. Wir müssen unsere Gebäude schon aus kaufmännischer Vernunft so bauen, dass sie – etwas überspitzt – zwei Personen mit Akkuschrauber wieder abbauen können. Alles andere ist nicht nur unwirtschaftlich, sondern darüber hinaus ein organisiertes Zerstören von Rohstoffen.
Hat sich die Umstellung auf Nachhaltigkeit auch für Ratisbona selbst wirtschaftlich ausgezahlt?
Schels: Auf jeden Fall. Wir haben momentan eine handfeste Immobilienkrise. Einer Pleite folgt die nächste. Aber im Vergleich zu unseren Mitbewerbern kommen wir relativ gut durch. Wir haben zum richtigen Zeitpunkt diesen Kurs eingeschlagen und sind heute heilfroh darüber. Nicht nur, weil wir günstiger bauen können, sondern auch, weil wir für unsere nachhaltigen Märkte einfacher Anlegergelder gewinnen können.
Auf welchen Ihrer Märkte sind Sie persönlich besonders stolz?
Schels: Auf unseren Nettomarkt in Lappersdorf bei Regensburg. Das war 2019 unser erster Markt aus Holz – und zugleich der letzte, den mein Vater noch eröffnen konnte, zwei Monate vor seinem Tod. Er war selbst sein Leben lang Unternehmer – Anfang der 1980er-Jahre hat er den Grundstein für Netto gelegt – und war sofort von der Idee der Holz-Discounter begeistert. Deswegen bedeutet mir dieser Markt persönlich sehr viel. Und natürlich, weil er Ausgangspunkt war für eine ganz neue Art von Märkten, die wir seitdem kontinuierlich weiterentwickeln.
Wie sieht die neueste Generation Ihrer Märkte aus?
Schels: Gerade arbeiten wir im bayerischen Haimhausen an einem fast vollständig rückbaubaren Edeka. Wir nennen ihn den Loop-Markt, ein Gebäude als Rohstoffdepot. Cradle to Cradle nennt sich das Prinzip, das uns dazu inspiriert hat. Im Schnitt erreichen unsere Märkte bisher Zirkularitätswerte von etwa 46 Prozent.
Das heißt, dass sie 46 Prozent der Baumaterialien weiterverwerten können?
Schels: Genau. Das ist schon gut, geht aber noch besser. Mit dem Markt in Haimhausen wollen wir zeigen, wie weit wir heute gehen können. Ich sage immer: Einer muss ja mal so verrückt sein, das Wissen aus 40 Jahren Klimaforschung in konkrete Taten umzusetzen.