Deutschland steckt mitten in einer Phase großer Ungewissheit, wenn es um Klimaschutz und Energiewende geht. Innerhalb der Bundesregierung herrschen unterschiedliche Auffassungen darüber, wie stark diese Themen priorisiert werden sollten – ein Konflikt, der schon mehrfach öffentlich zwischen Umweltminister Carsten Schneider und Wirtschaftsministerin Katharina Reiche ausgetragen wurde.
Doch die politische Debatte ist nicht die einzige Herausforderung. Parallel prüft das Bundesverfassungsgericht aktuell vier Klimaklagen gegen die Bundesregierung. Und plötzlich rückt ein Gesetz wieder in den Fokus, das lange kaum Beachtung fand: die Novelle des Klimaschutzgesetzes von Juli 2024.
Das alte Ampel-Gesetz – ein Stolperstein für Merz?
Die Novelle hat die verbindlichen Sektorziele abgeschafft und den Nachsteuerungsmechanismus angepasst. Sektorziele legten bislang fest, wie viel CO2 einzelne Bereiche wie Verkehr oder Gebäude jährlich ausstoßen dürfen. Nun wird jedoch nur noch die gesamte Jahresemissionsmenge aller Sektoren betrachtet. Das bedeutet: Ein ambitionierter Energiebereich, der seine Klimahausaufgaben erfüllt, kann nun den Verkehrssektor ausgleichen, der bei der Dekarbonisierung hinterherhinkt.
Zudem hat die Novelle des Klimagesetzes den Fokus vom Rückblick auf den Ausblick verschoben. Früher galt: Wenn ein Sektor seine jährlichen Klimaziele verfehlte, musste das zuständige Ministerium einen Plan vorlegen, wie diese Lücke geschlossen werden kann. Jetzt steht der Blick nach vorn im Mittelpunkt – entscheidend ist, ob die geplanten Maßnahmen aus heutiger Sicht ausreichen, um die künftigen Klimaziele zu erreichen.
Lange schwieg der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) zu dieser umstrittenen Änderung. Doch auf Anfrage des Bundesverfassungsgerichts hat der SRU nun Stellung bezogen – und das alte Ampel-Gesetz scharf kritisiert.
Denn: Die abgeschafften Sektor-Ziele erschweren das Erreichen der Klimaziele erheblich, kritisieren die Experten.
Warum die SRU-Stellungnahme jetzt so wichtig ist
Die Einschätzung des Umweltrats ist besonders wichtig, weil sie direkt in die Bewertung der Klimaklagen beim Bundesverfassungsgericht einfließt. Vier NGOs hatten die Regierung verklagt, um strengere Klimamaßnahmen durchzusetzen. Als „sachkundige Dritte“ liefert der SRU dem Gericht nun eine fundierte Grundlage: Die zentrale Frage lautet, ob die Bundesregierung ihre Pflichten zum Klimaschutz ernst genug verfolgt.
Die SRU-Experten warnen eindringlich, dass "die Novelle das Erreichen der gesetzlichen Klimaziele voraussichtlich erschwert." Wenn die Emissionsziele nicht klar genug festgelegt sind, droht Deutschland die Klimaziele zu verfehlen. Das Gericht könnte die Regierung dann zu zusätzlichen Maßnahmen verpflichten – und die Novelle selbst könnte in diesem Prozess eine Schlüsselrolle spielen.
Das schrumpfende CO2-Budget
Aktualisierte Berechnungen des SRU zeigen, wie knapp es um Deutschlands CO2-Budget steht: Für die 1,5-Grad-Grenze ist es bereits aufgebraucht. Selbst das Budget für maximal 1,75 Grad Erwärmung – mit 67-prozentiger Wahrscheinlichkeit, diese Grenze nicht zu überschreiten – wäre bei linearer Reduktion der Emissionen schon 2033 erschöpft.
Klimapolitik unter Druck
Die Kombination aus schrumpfendem CO2-Budget, abgeschafften Sektor-Zielen und laufender Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht setzt die Bundesregierung unter enormen Druck.
In den kommenden Monaten wird das Gericht seine Prüfung fortsetzen. Gibt es den Klimaklagen recht, muss die schwarz-rote Regierung unter Merz konkrete Maßnahmen liefern, um die Klimaziele verbindlich einzuhalten. Das Urteil könnte die Politik in Deutschland deutlich unter Zugzwang setzen – und zeigen, wie ernst es der Regierung wirklich mit dem Klimaschutz ist.