"Dass mein Mann mich betrogen hat, war das Beste, was mir passieren konnte!"

Mia ist mir im Internet zugelaufen, auf Instagram. Ich würde doch Trennungsgeschichten suchen, schreibt sie. Da hätte sie was: "Dass mein Mann mich betrogen hat, war das Beste, was mir passieren konnte!" 

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch "Wir können doch Freunde bleiben" von Katja Lewina. Es erschien am 10. Oktober im Dumont Buchverlag.

Wie das sein kann, das will ich natürlich wissen. Ein paar Wochen später bin ich tatsächlich beruflich ganz in ihrer Nähe, wir verabreden uns auf einen schnellen Kaffee. Sie ist ein bisschen älter als ich, aufgedrehter, und lässt mich nicht bezahlen. 

"Was genau soll ich denn erzählen?", fragt sie mit einer Stimme, der man direkt anhört, dass man viel Spaß mit Mia haben kann. "Am besten alles", sage ich. "Und zwar von Anfang an." Und dann erzählt sie. 

"Ich komme aus einem winzigen Ort in Bayern. Katholische Mädchenschule, Mutter Hausfrau, Vater Handwerker – ein behütetes Elternhaus, aber auch eine Welt in Schwarz und Weiß, in der alle Wege vorgezeichnet sind. Als Jugendliche war ich eigentlich eine Wilde, mein Typ waren immer die Abenteurer, die Arschlöcher. Und dann? Lernte ich mit neunzehn Karl kennen – das genaue Gegenteil zu all den Männern davor, der perfekte Typ zum Kinderkriegen und Hausbauen. Meine Eltern fanden ihn Bombe. Ich war Bildungsaufsteigerin, er Akademikerkind, aus ihrer Sicht eine Traumpartie. Der Heiratsantrag kam in Venedig, alles schien perfekt. Nur innerlich hatte ich Zweifel." 

"Heiraten, Haus bauen, Kinder kriegen: Nichts davon hat mich glücklich gemacht"

Welche denn so?, will ich wissen. "Durch meine Arbeit war ich viel in großen Städten unterwegs und spürte insgeheim: Ich gehöre nicht in dieses Kaff. Also zogen Karl und ich nach München. Allein hätte ich mich das damals nicht getraut, heute bereue ich es, das Großstadtleben nicht als Single ausgekostet zu haben. Vielleicht hätte ich mir überhaupt mehr Zeit lassen sollen: Will ich überhaupt Kinder? Diese Frage habe ich mir nie bewusst gestellt. 

  • Dumont Buchverlag

    Bildquelle: Dumont Buchverlag

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Alle in meinem Umfeld haben das so gemacht: heiraten, Haus bauen, Kinder kriegen. Niemand ist ausgebrochen, erst recht keine Frau. Ich weiß noch, wie ich mich gescheut habe, die Hochzeit zu organisieren, wie es mir zuwider war, Hinz und Kunz einzuladen. Zum Glück war ich dann mit fünfundzwanzig auch schon schwanger, und wir konnten die Hochzeit ohne Tamtam nur standesamtlich über die Bühne bringen. Natürlich sind wir dann zurück ins Dorf und ich komplett rein ins Muttibusiness. Nach einem Jahr Pause bin ich für ein paar Stunden die Woche zurück in meinen alten Job gegangen, die Kinderbetreuung übernahm die Oma, denn 'man gibt kein Kind in Fremdbetreuung, dafür hat man es schließlich nicht bekommen'. 

Karl machte Karriere, während ich allein mit Kind und Hausbau war. In das Haus wollte ich überhaupt nicht einziehen, ich hatte kein gutes Gefühl dabei. Aber ich habe es nicht formulieren können, was mir im Nachhinein total leidtut, auch für ihn. Ein Jahr nach dem Einzug kam das nächste Kind. Von außen sah alles perfekt aus: Ich machte das Haus instagrammable, organisierte Kindergeburtstage, backte Kekse. Aber nichts davon hat mich glücklich gemacht."

"Es war mein Plan, mein Traum, es konnte keinen anderen Weg geben."

"Karl musste so weit pendeln, dass er sich irgendwann eine kleine Wohnung in der Nähe seines Arbeitsplatzes nahm, in der er von Montag bis Freitag blieb. Wenn er dann Freitagabend nach Hause kam, stand ich natürlich nicht im Negligé in der Tür, sondern war fix und fertig von der Woche, in der ich alles allein gemanagt hatte. 

Unser Sexleben brach ab, nach fünfzehn gemeinsamen Jahren war alles, worüber wir noch sprachen, die Kinder. Und auch Karl ging es nicht gut: Er hatte ständig Migräne, war belastet im Job, dazu kam der Druck, die Familie zu ernähren, das Haus abzubezahlen."

Der Klassiker eigentlich, ein ganz normales Hamsterrad, in dem die Leute ihr ganzes Leben verbringen können. Aber Mia wollte das nicht. 

"Als er mal wieder richtig fertig war, sagte ich: 'Wir müssen etwas ändern. Die werden dir schon nicht kündigen, wenn du etwas kürzertrittst.' Doch er meinte, der Job sei nicht das Problem. Er habe sich in eine Kollegin verliebt. 

Ich verstand die Welt nicht mehr. In meiner Vorstellung kam das überhaupt nicht vor, dass man seine Frau betrügt. Erst war ich verletzt und habe rumgebrüllt, aber dann bin ich sofort in Aktion getreten, habe uns eine Paartherapie gesucht, wollte das unbedingt wieder hinbiegen. Gleichzeitig habe ich mir gar keine Gedanken darüber gemacht, ob ich ihn überhaupt noch will. Das hier war mein Plan, es war mein Traum, es konnte keinen anderen Weg geben."

Er machte auf heile Familie – "es war komplett würdelos"

Alles bricht zusammen, und man will einfach nur weitermachen wie bisher. Normale Reaktion 
eigentlich. Und? Hat das geklappt? 

"Er versprach, das mit der Kollegin zu beenden. Ich glaubte ihm, bis ich irgendwann doch misstrauisch wurde. 'Vertraust du ihm wirklich?' hatte eine Freundin gefragt. Da wusste ich es nicht mehr. Also fuhr ich heimlich in seine Arbeitswohnung. Als ich Teelichter und Kondome neben dem Bett fand, war alles klar. Zu Hause sprach ich ihn drauf an, aber er flüchtete sich in Lügen, behauptete, jetzt würde er sich wirklich trennen. 

Schon wieder folgte ich ihm, versteckte mich hinter Büschen, stellte die beiden zur Rede… Es war komplett würdelos. Ein halbes Jahr, nachdem er mir von der Affäre erzählt hatte, musste ich mir eingestehen, wie es wirklich war: In der Woche war er bei ihr, am Wochenende machte er mit uns auf heile Familie. Weihnachten hielt ich es nicht mehr aus und forderte eine Entscheidung. Als die nicht kam, habe ich es selbst beendet." Aber dann sei das Drama erst so richtig losgegangen. 

Es habe ja keinen Plan B gegeben: "Wir hatten keinem außer meiner Freundin von unseren Problemen erzählt, also mussten wir das jetzt nachholen. Beim Gespräch mit unserem älteren Kind haben wir alle drei geweint, das war einfach nur schrecklich. Und meine Eltern sind natürlich aus allen Wolken gefallen. Er hat sich bei ihnen nicht mehr blicken lassen können, sie waren schließlich sehr enttäuscht von ihm. Und ich stand dazwischen."

"Ich war ja das 'arme Opfer'. Dabei ging es mir blendend" 

Ich finde das fast schon rührend, dass sich Mia Sorgen um die Beziehung zwischen ihrem Ex und ihren Eltern macht – etwas, das ich wurzellose Pflanze überhaupt nicht kenne. Meine Eltern lebten schon immer Hunderte Kilometer von mir und meinen Partnern entfernt. Ich habe es nie erlebt, wie es ist, eine große Familie zu bilden. Schade eigentlich. Aber vielleicht auch ganz okay, so blieb mir zumindest diese Art von Kummer erspart. 

Katja Lewina (Autorin)
In "Wir können doch Freunde bleiben" berichtet Autorin Katja Lewina von kuriosen Trennungsgeschichten. Julija Goyd

Und wie ging es dann weiter? 

"Nach einem halben Jahr habe ich gedacht: Ich kann jetzt jeden Sonntag heulend zu Hause hocken, während meine Kinder bei ihrem Vater sind und sie ihre Familienzeit haben, oder ich kann gucken, wie es weitergeht. Und dann habe ich mich ins Dating Life geschmissen. Mit neunzig werde ich sagen: 'Das war die Zeit meines Lebens', da bin ich sicher. Wenn man eine feste Beziehung sucht, ist Tinder ein furchtbarer Ort, aber ich wollte ja nix dergleichen

Und so war es einfach nur super. Für jede Lebenslage hatte ich jemand anderes: Wenn ich Ski fahren wollte, konnte ich einen Typ in seinem Chalet in den Bergen besuchen. Für Konzerte hatte ich einen Musikliebhaber. Und wenn ich mal wieder beruflich in Dresden war, wartete da auch einer auf mich. Schlechte Dates kann ich an einer Hand abzählen, ich hatte echt ein Händchen für großartige Begegnungen. Im Dorf musste ich natürlich alles geheim halten – ich war ja das 'arme Opfer', die Geschädigte. Dabei ging es mir blendend! 

"Jetzt bin ich happier als je zuvor"

Mit meinen alten Freundinnen habe ich nicht mehr viel geteilt. Die wollten mir doch ernstlich einreden, ich würde schon noch jemanden finden, mit dem ich ein drittes Kind bekommen konnte! Dabei wollte ich nichts weniger als ein drittes Kind. Alles, was ich wollte, war, eine coole Single Mom zu sein." 

Und Karl? "Der hat seine Affäre geheiratet und noch ein Kind mit ihr bekommen. Unsere Elternbeziehung ist super, die Kinder sind jedes Wochenende bei ihm. Mir hat es gutgetan, mich auch ein bisschen von den Kindern zu lösen und Zeit für mich zu haben. Das hätte ich niemals eingefordert, wären wir zusammengeblieben. Noch immer hänge ich wegen der Kinder in dem Kaff fest, aus dem ich schon so viele Jahre ausbrechen will. Aber ich nehme mir trotzdem meine Freiheiten: Seit drei Jahren bin ich in einer tollen Beziehung. Mein Freund und ich machen alles richtig, was Karl und ich falsch gemacht haben." 

Weder Kinder kriegen noch Haus bauen, zum Beispiel? Ich meine, das sind doch zwei wirkliche Beziehungskiller! Mia lacht. "Wie gesagt, ein drittes Kind kommt für mich nicht infrage! Wir reden viel miteinander, gehen vorsorglich zur Paartherapie. Er ist geschieden, genau wie ich. Wir beide haben das mit der perfekten Familie schon einmal in den Sand gesetzt und sehen Liebesbeziehungen lockerer. Zum Beispiel wollen wir nicht zusammenziehen. Ich definiere mich nicht mehr über meinen Partner, konzentriere mich auf meinen Job, fahre allein in Urlaub. Inzwischen habe ich verstanden, dass ich viel Zeit für mich brauche, um glücklich zu sein. Wäre Karl nicht fremdgegangen, hinge ich vermutlich für immer in dieser Beziehung fest. Aber jetzt bin ich happier als je zuvor." 

Nun muss Mia aber weiter, sie ist noch zum Tanzen verabredet. Und jetzt verstehe ich es: Dass dieser Typ fremdgegangen ist, war wirklich das Beste, was dieser lebenshungrigen Frau passieren konnte.

Cover Katja Lewina
Das Buch umfasst insgesamt 29 Trennungsgeschichten. Dumont Buchverlag