„Eine Stahlfaust ins Gesicht“: Wieder ein deutscher Soldat an der Front getötet

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„Keine militärische Ausbildung bereitet einen darauf vor, wie es ist, wenn man unter Feuer steht“, sagt ein ehemaliger deutscher Kriegsteilnehmer. Jetzt ist wieder eine Deutscher in der Ukraine gefallen. (Symbolbild) © Efrem Lukatsky/AP

Erneut soll ein deutscher Soldat in ukrainischer Uniform im Ukraine-Krieg gefallen sein. Er stammt aus einer Einheit, die aus Freiwilligen verschiedener Länder besteht.

Kiew – „Ich war immer vom Militär fasziniert“, sagt er. Erst war Jonas Kratzenberg Bundeswehrsoldat in Afghanistan, dann ging er in die Ukraine. Heute zieht sich eine gezackte Narbe vom linken Ohr über den gesamten Schädel. Unendlich viele Schrapnelle entfernten die Chirurgen aus seinen Füßen, Beinen und Eingeweiden. Der Splitter im Auge sei geblieben, sagt Kratzenberg, eine Operation hätte den Ärzten zufolge mehr Schaden anrichten können, als die Verwundung zu belassen. Diese Geschichte schrieb der Spiegel Ende 2023 – über einen jungen Menschen, der freiwillig sein Leben riskiert hat. Im Ukraine-Krieg, zu dem ihm der persönliche Bezug gänzlich gefehlt hat; zu Russland genauso wie zu dem Land, für das er zu sterben bereit war.

Jetzt ist wieder ein Freiwilliger gestorben, ein Deutscher, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) aufgrund von Informationen aus der Internationalen Legion berichtet. Dabei handelt es sich um eine Einheit, die aus Freiwilligen verschiedener Länder besteht, quasi aus Söldnern in den Diensten der von Wladimir Putins Truppen überfallenen Nation. Der 37-jährige Gefallene, der sich Stefan nannte, sei am Donnerstag (14. März) in der Ostukraine durch einen russischen Artillerieangriff getötet worden, berichtete die Legion. Dort hieß es, Stefan habe mit einer Drohnen-Aufklärungseinheit aus einem Unterstand heraus gearbeitet, der einen direkten Treffer abbekommen habe und daraufhin eingestürzt sei. „Als es gelang, ihn auszugraben, war er bereits tot. Er war eine Held“, endet die Meldung.

Internationale Legion: Freiwillige haben sich schnell aus den Gefechten zurückgezogen

Die Zahl ausländischer Freiwilliger in ihrer Armee hatte die ukrainische Regierung kurz nach dem russischen Überfall mit 20.000 angegeben. Das größte Kontingent bildete und bildet weiterhin der internationale Freiwilligenverband „Legion Freies Russland“, der aus russischen Soldaten hervorgegangen war, die in die Ukraine übergelaufenen waren. Laut Informationen des amerikanischen Online-Magazins Vice soll von der Gesamtheit der Freiwilligen nach etwas mehr als einem Jahr Krieg noch ein Zehntel übrig gewesen sein; die aktuelle Zahl ist unbekannt. Vice hatte vor einem Jahr bereits zur Erklärung der gesunkenen Zahlen anonym einen ukrainischen Militär zitiert: „Die Romantiker vom Beginn des Krieges sind verschwunden.“

Stefan sagte in einem früheren Interview mit dem RND, er sei fünf Jahre bei der Bundeswehr und dreimal im Einsatz in Afghanistan gewesen. In Süddeutschland habe er ein Fuhr­unternehmen gehabt, bevor er im April 2022 in die Ukraine gegangen sei. Genau wie der 26-jährige Panzergrenadier Jonas Kratzenberg habe er in einer Aufklärungseinheit gedient.

Aber gerade das Gefecht und das unter Feuerstehen ist das, was mich so reizt. Vielleicht bin ich ein Adrenalinjunkie.“

Zeit Online schreibt, der Großteil der ukrainischen Fremdenlegion habe aus Ländern wie Belarus und anderen ehemaligen sowjetischen Republiken bestanden, 50 Nationen sollen ursprünglich vertreten gewesen sein, mehrere Tausend waren aus den USA gekommen; so wie der ehemalige Bundeswehr-Soldat Jonas Kratzenberg überwiegend ehemalige Angehörige der regulären Streitkräfte ihrer Ursprungsländer. Als Buchautor über seinen mehrmonatigen Alltag an der Front („Schützenhilfe“) wurde Kratzenberger zum gefragten Gesprächspartner: „Es ist vielleicht schwer nachvollziehbar. Aber gerade das Gefecht und das unter Feuerstehen ist das, was mich so reizt. Vielleicht bin ich ein Adrenalinjunkie“, sagte Kratzenberg dem Sender n-tv. Im ZDF hat er erklärt, das Leid der Ukraine habe ihn so tief berührt, dass er sich zum Handeln gezwungen gesehen hatte.

Freiwillig gegen Russland: Soldaten wollen Fehler der Politik ausbügeln

„Ich wollte etwas gegen den Krieg tun, ich war der Meinung, dass mein Land und die Nato nicht genug getan hatten und weiterhin taten, um die Ukraine zu unterstützen“, hat er dann dem Südwestrundfunk erzählt – für ihn hatte sein Einrücken eine moralische Komponente gehabt, und die politischen Reden vom Bewahren von Frieden erschienen ihm durchgehend weltfremd; Putin hatte sich längst öffentlich als Aggressor dargestellt und niemand habe das wahrhaben wollen. Erstmals habe er dann als Soldat einen Krieg gesehen, der ihn in seinem Beruf noch nie begegnet war. Trotz seiner Erfahrungen, beispielsweise in Afghanistan.

Allerdings kehrte er dann auch der ukrainischen Armee den Rücken wie schon zuvor der Bundeswehr, als er sich in den teils chaotischen Strukturen der ersten Kriegsmonate nicht wiedergefunden habe. Die Zuneigung zu den freiheitsliebenden Ukrainern sei geblieben. Kratzenberg, der inzwischen längst wieder in Deutschland lebt, will nach dem Krieg aber wieder in die Ukraine zurückkehren, wie er dem Südwestrundfunk gegenüber geäußert hat.

Schweizer Fremdenlegionär: Nach der Rückkehr aus der Ukraine droht Gefängnis

Einen ähnlichen Bericht erzählt aktuell das Online-Magazin swissinfo: „Die einzige Sprache, die die Russen verstehen, ist eine Stahlfaust ins Gesicht. Man muss ihnen die Birne verhauen und ihnen zeigen, dass das so nicht geht“, sagt der Schweizer Jona Neidhart. Seine tiefe Abneigung gegen die Russen sei auch mit seiner eigenen Vorgeschichte verbunden, denn die Russen hatten im Zweiten Weltkrieg seinen polnischen Großvater umgebracht. „Ich konnte nicht sitzen bleiben. Ich musste handeln“, sagt er dem Magazin. Jetzt im März ist er in die Ukraine eingerückt und verstärkt eine Armee, die im dritten Kriegsjahr steht und ausgezehrt ist.

Erschwerend kommt für den 36-jährigen gläubigen Christen ohne militärische Ausbildung hinzu, dass er nach Schweizer Gesetz illegal in den Krieg zieht. Ihm drohen mehrere Jahre Gefängnis. Doch das sei ihm sein Engagement wert. „Ich werde mit diesem Volk leiden und nötigenfalls mit ihm untergehen, wenn es sein muss“, sagt er swissinfo. „Moralisch aber gibt es für mich keine Alternative zu meinem Handeln. Keine!“

Ein Navy Seal zieht gegen Putin – aus Angst vor der heimischen Justiz

Strafbar machen sich die freiwilligen deutschen Kämpfer nicht zwingend. Zumindest, wenn sie sich den staatlichen Streitkräften anschließen, also auch die Hoheitszeichen des jeweiligen Staates tragen. Etwas anderes ist es, wenn die Freiwilligen einer privaten Kampfgruppe beitreten. Das könnte als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gelten. Laut dem Völkerrechtler Simon Gauseweg aus Frankfurt ist diese internationale Legion der Territorialverteidigung der Ukraine eingegliedert in die regulären ukrainischen Streitkräfte, wie der Mitteldeutsche Rundfunk berichtet.

In den USA war vor rund einem Jahr der Tod eines ehemaligen Soldaten der Navy Seals, einer Marine-Spezialeinheit bekannt gegeben worden: Daniel W. Swift war allerdings davor vier Jahre auf der Flucht gewesen wegen unerlaubten Verlassen seiner Truppe. Er hatte sich möglicherweise in die Ukraine abgesetzt, um dem Gefängnis zu entgehen. Die Motive für die Teilnahme am Ukraine-Krieg scheinen für Ausländer also vielschichtig zu sein und in einer Flucht genauso zu liegen wie in einer vermeintlichen Sehnsucht.

Was im Krieg trotz aller Technisierung zählt, ist die Wertschätzung des Individuums, die beispielsweise die russische Militärdoktrin komplett ignoriert; wie das der Politikwissenschaftler Herfried Münkler in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in seiner Rezension des Buches Soldaten des Militärhistorikers Sönke Neitzel zusammenfasst: „Nicht politische Ideologien, sondern Kleingruppenerfahrungen sind entscheidend für die Kampfkraft von Soldaten, ihre Tötungsbereitschaft wie ihre Durchhaltefähigkeit. Neben dem Vertrauen in die Kompetenz der Offiziere ist es vor allem die Erfahrung von Kameradschaft, die eine Truppe zusammenhält und sie auch dann noch weiterkämpfen lässt, wenn die politisch-militärische Lage aussichtslos geworden ist.“

Es geht also nicht nur um eine gute und moderne Ausrüstung, sondern auch um klare Antworten auf die Sinnfrage des militärischen Auftrags. Mentale Einsatzbereitschaft – übersetzt in Kampfmoral – kann über Sieg oder Niederlage auf dem Gefechtsfeld entscheiden, dabei sogar personelle und materielle Unterlegenheit ausgleichen, schreibt die Bundeswehr zu Moral und Verantwortungsbereitschaft des einzelnen Soldaten. Allerdings sieht die Welt im Schützengraben anders aus, als im Alltag einer Armee, die den Krieg noch nie erlebt hat, wie der Ex-Soldaten Jonas Kratzenberg bestätigt: „Keine militärische Ausbildung bereitet einen darauf vor, wie es ist, wenn man unter Feuer steht.“ (kahin)

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