Zu viel des Guten? - An Ostern droht der Solar-Brownout - doch es gibt Lösungen
Stellen Sie sich Ostern vor: strahlender Sonnenschein, freie Tage, und überall in Deutschland glänzen Solaranlagen auf Dächern und Balkonen. Die blau-schwarzen Module laufen auf Hochtouren und speisen massenhaft Strom ins Netz. So viel, dass die Preise an der Börse - nicht die in Frankfurt, sondern die für Strom in Leipzig - regelrecht abstürzen. Der Börsenstrom kostet fast dann oft nichts mehr.
Ein perfektes Szenario? Auf den ersten Blick ja. Doch hinter dieser sonnigen Aussicht lauern Probleme, vor denen Experten dringend warnen. Bislang ist das deutsche Stromnetz nicht für den massiven Ausbau privater Solaranlagen ausgelegt, die im Gegensatz zu flexiblen Großanlagen starr bleiben. Subventionierte Kleinanlagen auf den Dächern mit fester Einspeisevergütung dominieren hierzulande – und ignorieren Marktpreise oder Netzsignale.
Das wird besonders an sonnigen Feiertagen, wie etwa der Ostersonntag einer sein könnte, zum Problem. Während der Energieverbrauch sinkt, steigt die Einspeisung unregulierbarer Solaranlagen drastisch an. Die Folge: Netzbetreiber stehen vor großen Herausforderungen, die Stabilität zu sichern.
"Das Stromnetz steht vor Stress"
Bereits im November hatten die beiden bekannten Solarunternehmen Enpal und 1Komma5 in einer gemeinsamen Erklärung vor dem Schlimmsten gewarnt. Wenn "nicht jetzt wichtige regulatorische Weichen im Energiemarkt gestellt werden, steht im allerschlimmsten Fall überhaupt kein Strom mehr zur Verfügung", hieß es in dem Aufruf.
Im schlimmsten Fall müssten die Netzbetreiber „gezielt Regionen vom Stromnetz trennen“ - ein Szenario, das als "Brownout" bekannt ist, im Gegensatz zum unkontrollierten "Blackout". Dieses Szenario werde „von Experten bereits an Ostern oder Pfingsten 2025 für möglich gehalten“, hieß es in dem Aufruf weiter.
Stürzt uns der Solar-Ausbau also in den Strom-Kollaps? Experten sehen keinen totalen Zusammenbruch am Horizont. "Das Stromnetz steht vor technischem und finanziellem Stress", warnte jedoch Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, im November in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Der Energieexperte Bruno Burger vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) betont gegenüber FOCUS online Earth wiederum, dass Netzbetreiber und Direktvermarkter durchaus Möglichkeiten hätten, Solaranlagen gezielt zu steuern und bei Bedarf abzuschalten, um das Netz zu stabilisieren.
Die sonnige Seite der Solarenergie
- Günstig und sauber: Solarenergie liefert den günstigsten und saubersten Strom weltweit, reduziert die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und senkt langfristig die Stromkosten.
- Dezentrale Erzeugung: Solarstrom wird lokal produziert, wo er gebraucht wird. Das spart lange Transportwege, reduziert Verluste und steigert die Effizienz.
- Weniger Energieimporte: Die lokale Erzeugung senkt die Abhängigkeit von Importen und stärkt die Energieautonomie.
Dass in Deutschland viel günstiger Solarstrom produziert wird, ist zunächst einmal eine gute Nachricht und kein Beleg für ein Scheitern der Energiewende. Doch die Überproduktion zeigt, dass die Energiewende nicht nur den Wechsel zu klimaneutralen Energieträgern erfordert, sondern auch flexiblere und intelligentere Stromnetze. Nur so bleibt das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage im Netz gewahrt – andernfalls überwiegen die negativen Folgen des billigen Stroms:
1. Nicht regulierbare Einspeisung
Das Problem: Die große Menge an nicht steuerbarem Solarstrom, die zu Spitzenzeiten ins Netz fließt, gefährdet die Netzstabilität. Wer sich eine Solaranlage aufs Dach schreibt, um Geld zu sparen, verschwendet naturgemäß kaum einen Gedanken an die Netzstabilität. Was für Anlagenbesitzer wirtschaftlich attraktiv ist, kann für die Allgemeinheit mit hohen Kosten verbunden sein.
Die Lösung: Neben dem Netzausbau sind auch intelligente, steuerbare Systeme nötig, um die Einspeisung zu regulieren, fordern zahlreiche Experten. Dynamische Stromtarife und Smart Meter könnten Preissignale aus dem Großhandel nutzen und so den Verbrauch an die Netzanforderungen anpassen. Dies würde die Belastung in Spitzenzeiten reduzieren. Doch Deutschland liegt beim Rollout von Smart Metern europaweit weit zurück, sodass bisher nur wenige Haushalte davon profitieren können.
2. Hohe Förderkosten
Das Problem: Betreiber von Solaranlagen erhalten vom Staat über 20 Jahre eine feste Einspeisevergütung pro Kilowattstunde, was den Haushalt erheblich belastet.
Die Lösung: Die Einspeisevergütung sollte abgeschafft oder reformiert werden, um Subventionskosten zu senken, fordert Christoph Maurer, Geschäftsführer des Energieberatungsunternehmens Consentec. „Alle Solaranlagen, auch kleine, sollten künftig auf Preissignale aus dem Energiemarkt reagieren“, sagt Maurer zu FOCUS online Earth. Dazu seien Anpassungen im Fördersystem notwendig. Statt fester Vergütungen sollte der Markt bestimmen, wie viel eingespeister Strom wert ist. Der Übergang kleiner Anlagen in die Direktvermarktung sei ein wichtiger Schritt, um den Solarstrom besser in das Energiesystem zu integrieren.
3. Überschuss bei negativen Strompreisen
Das Problem: Überschüssige Solarenergie kann negative Strompreise verursachen, bei denen Solarstrom „verramscht“ wird. Großverbraucher und Bürger mit dynamischen Tarifen profitieren davon, doch der Steuerzahler trägt die Last. Der Staat gleicht die Differenz zur garantierten Vergütung aus, was 2024 allein 18,5 Milliarden Euro kostete.
Die Lösung: Der Ausbau von Batteriespeichern könnte helfen, überschüssigen Solarstrom aufzunehmen und Schwankungen auszugleichen. Entscheidend ist, diese Speicher effizient einzusetzen – etwa durch Laden zu Zeiten, die das Netz entlasten, statt die Mittagszeit weiter zu überlasten. Die Kosten der Batteriespeicher rasen mittlerweile nach unten, viele Großprojekte sind bereits angekündigt. Das würde dazu beitragen, überschüssigen Strom besser zu nutzen und negative Strompreise zu vermeiden.
4. Unflexibler Einsatz von Heimspeichern
Das Problem: Auch die Heimspeicher, oft durch staatliche Förderung finanziert, werden primär für den Eigenverbrauch genutzt und tragen wenig zur Netzstabilität bei. Meist werden sie frühmorgens geladen und sind mittags voll - der überschüssige Solarstrom fließt dann ins ohnehin überlastete Netz.
Die Lösung: Heimspeicher sollen stärker mit dynamischen Stromtarifen und intelligenten Messsystemen verknüpft werden, um flexibel zu reagieren. Ein Kapazitätsmarkt würde die Kapazitäten von Kraftwerken und Speichern gezielt dorthin lenken, wo sie im Stromnetz gebraucht werden. Das sei eine Forderung von Tennet, erklärt der Netzbetreiber gegenüber FOCUS online Earth. Damit könnten gezielt Lastspitzen abgefedert und das Netz stabilisiert werden.
Zudem sollte der Ausbau großer, netzdienlicher Batteriespeicher priorisiert werden. Diese könnten mittags überschüssigen Solarstrom speichern und abends bei höherer Nachfrage ins Netz einspeisen, erklärt Jannik Schall, Mitgründer des Solarunternehmens 1Komma5, gegenüber FOCUS online Earth.
"Alle Lösungen sind da"
„In der ersten Phase des Ausbaus der erneuerbaren Energien haben diese Rahmenbedingungen noch funktioniert, um den Ausbau voranzutreiben und Akzeptanz zu schaffen", sagt Schall. "Inzwischen sind wir aber in der zweiten Phase angekommen. Jetzt geht es um die Verteilung der Energie.“
Dafür, so Schall, brauche es nicht nur Smart Meter, sondern vor allem marktwirtschaftliche Anreize und massentaugliche Prozesse. "Das Schöne ist: Alle Lösungen sind da", sagt Schall. Jetzt müssen wir nur noch in die Umsetzung kommen.“
Rettendes Gesetz steckt im Wahlkampf fest
Die Bundesregierung ist sich der Problematik bewusst und diskutiert derzeit das sogenannte Stromspitzenpaket (EnWG-Novelle). Der Entwurf sieht unter anderem eine Ausweitung der Direktvermarktung, Anpassungen bei negativen Strompreisen und strengere Anforderungen an die Steuerbarkeit von PV-Anlagen vor.
SPD und Grüne drängen auf eine Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode, doch nach dem Ampel-Aus verfügt die Regierung über keine Mehrheut im Bundestag mehr. Ohnehin möchten sich die Parteien im Wahlkampf gegenseitig nicht mehr Gefälligkeiten erweisen als nötig. Ein Schnellschuss vor der Wahl werde den komplexen Herausforderungen nicht gerecht, kritisierte Andreas Jung, energiepolitischer Sprecher der Unionsfraktion, im "Spiegel". Eine gründliche Beratung nach der Wahl sei sinnvoller.
Die Union bemängelt, dass das Paket den Handlungsbedarf nicht ausreichend abdeckt und wichtige Themen wie die Steuerung und Digitalisierung von Solaranlagen außen vor bleiben. Verbände und Experten begrüßen hingegen die Novelle und fordern eine schnelle Verabschiedung. Ob die Reform noch vor der Bundestagswahl im Februar verabschiedet wird, ist allerdings unklar. Der Netzbetreiber Tennet fordert die Verabschiedung noch vor Ende der Legislaturperiode. Sonst stiegen nicht nur weiter die Kosten der Energiewende, sondern auch die Stromnetze würden noch mehr belastet werden. Bis dahin würde es zumindest helfen, wenn die Ostertage wenigstens ein bisschen wolkig ausfallen.