Lukaschenkos nächste „Wahl“: Was Belarus für den Ukraine-Krieg bedeutet – und umgekehrt
Eine echte „Wahl“ gibt es in Belarus nicht. Aber wie wird Putin-Freund Lukaschenko weiter regieren? Zwei Fachleute beantworten die wichtigsten Fragen.
Zum ersten Mal seit den Großprotesten 2020 wählt Belarus wieder einen Präsidenten – wenn man den Vorgang denn so nennen will. Autokrat Alexander Lukaschenko hat keine echten Gegenkandidaten und nach massiven Repressionen auch keinen Widerstand wegen einer manipulierten Wahl mehr zu fürchten.
Relevant scheint also vor allem die Frage nach dem weiteren Fortgang im so fragilen Raum an Russlands Grenzen. Wie verändert sich das Verhältnis zwischen Lukaschenko und Wladimir Putin? Nach der Wahl 2020 war Lukaschenko wohl nur dank Hilfe aus Moskau im Amt geblieben. Aber auch: Wie entwickelt sich die Rolle Belarus‘ im Ukraine-Krieg? Ist auf Sicht ein Machtwechsel in Minsk doch denkbar? Eine Expertin und ein Experte haben dem Münchner Merkur vor dem „Wahl“-Sonntag (26. Januar) Antworten gegeben.
Lukaschenko auch nach der Wahl kein größerer Faktor im Ukraine-Krieg – ihm drohen aber Probleme
Hat Lukaschenkos neue Amtszeit direkte Auswirkung auf den Ukraine-Krieg? Christopher Forst, Repräsentant für Belarus der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, bezweifelt das. „Lukaschenko hat Putin nicht sehr viel mehr anzubieten“, sagt er unserer Redaktion. Mit Waffen und Munition helfe Minsk Russland bereits beim Überfall auf die Ukraine. Lukaschenkos Militär selbst sei schwach – und ein erneuter Marsch auf Kiew von belarusischem Territorium aus ohnehin „militärisch nicht sinnvoll“.
Auch innenpolitisch sei mehr belarusisches Eingreifen schwierig zu vermitteln: Den Status Quo verkaufe Lukaschenko in der Heimat als eine Art „Stabilitätsgarantie“, meint Forst. „Viele Belarusen sehen zwar angesichts der andauernden Propaganda der Staatsmedien den russischen Angriff auf die Ukraine positiv, ein Einsatz eigener Truppen an der Seite Russlands wird jedoch ganz klar abgelehnt.“
Hat der Fortgang des Ukraine-Kriegs Auswirkungen auf Lukaschenkos Regime? Je nach Ausgang des Ukraine-Kriegs oder der Situation bei Beginn eines Waffenstillstandes ergäben sich für Lukaschenko verschiedene Szenarien, sagt Belarus-Expertin Olga Dryndova von der Uni Bremen. Allerdings seien die für das Regime nahezu gleichermaßen problematisch.
So könne ein geschwächt aus dem Ukraine-Krieg hervorgehender Wladimir Putin seine Verluste in der Ukraine durch eine Einverleibung Belarus‘ kompensieren wollen – nicht etwa durch einen Krieg, sondern durch Ausbau des „Unionsstaates“, oder eine neue Kreml-Marionette an der Spitze des Regimes in Minsk. Ein gestärktes Russland wiederum könne das Interesse an Lukaschenko verlieren. Wohl auch angesichts dieser Perspektive habe Lukaschenko mit der Freilassung politischer Gefangener zuletzt testweise Signale gen Westen gesandt, meint Dryndova. Doch diese Beziehung bleibe wohl vorerst angespannt: Der Westen fordert mehr. Unter anderem freie Wahlen und ein Ende der Unterstützung für Russland im Ukraine-Krieg.
Belarus und die Ukraine: Neue Sicherheitsordnung könnte Lukaschenko vor seinem Freund Putin schützen
Wird Lukaschenko eine Rolle bei möglichen Friedensverhandlungen spielen? Forst und Dryndova sind sich einig, dass Lukaschenko das gerne tun würde. Schon um als von Russland unabhängiger Akteur, statt als vom Kreml abhängiger Co-Aggressor wahrgenommen zu werden, meint Dryndova. Die Abhängigkeit sei aber allzu offensichtlich.
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Bei zunächst wahrscheinlicheren Waffenstillstandsverhandlungen habe Belarus nichts anzubieten, schreibt Forst in einem Beitrag für das Journal für Internationale Politik und Gesellschaft. Der Experte wartet aber mit einer spannenden These auf: Sollten in fernerer Zukunft Friedensverhandlungen einmal Russlands Expansionsdrang begrenzen, könne dann ganz im Sinne Belarus‘ sein.

Russland sei für Belarus nicht nur ein Verbündeter, erklärt Forst unserer Redaktion. „Russland ist auch ein sehr viel größeres Nachbarland, mit einer sehr viel stärkeren Armee.“ Schrittweise Abrüstung oder ein Abzug des russischen Militärs aus dem Grenzgebiet zur Ukraine wären insofern wohl willkommen. „Momentan gibt es für den Kreml angesichts der guten Beziehungen mit Minsk und der schlechten Beziehungen Lukaschenkos mit westlichen Staaten keinerlei Grund für eine Einverleibung von Belarus. Aber es ist ja nicht gesagt, dass das für immer so bleibt.“
Gibt es trotz der manipulierten Wahl Aussichten auf einen Abgang Lukaschenkos? „Lukaschenko hat einerseits diverse Vorkehrungen für diesen Fall getroffen und sich volle Immunität gesichert“, erläutert Forst. Allerdings gehörten Rückzugsankündigungen zu Lukaschenkos „politischem Spiel“. Es gebe aktuell keinen Anlass „Taten“ zu erwarten. Auch Spekulationen über den Gesundheitszustand des Diktators seien „ohne konkrete Belege für eine schwere Erkrankung“ müßig.
Dryndova betont: Nach dem Schock der Großproteste nach der gefälschten Präsidentschaftswahl 2020 sei das Regime nun auf Kontrolle aus. „Man wird in Belarus jetzt sogar dafür verhaftet, dass man irgendetwas auf Facebook postet oder liket“, sagt sie. Das Tauwetter der Jahre 2015 bis 2020 – als Belarus in verstärktem Kontakt mit der EU war und sich zumindest um einen demokratischen Anstrich bemühte – ist also vorbei. Vorerst scheint die Aussicht auf große Proteste bei „null“ zu liegen, wie Dryndova erklärt. Aus Richtung der Zivilgesellschaft droht Lukaschenko also wohl keine Gefahr.
Lukaschenko – und dann? Russland könnte versuchen, die Situation zu nutzen
Gäbe es einen „Kronprinz“ für Lukaschenko? „Die kurze Antwort lautet: Nein“, so Forsts Einschätzung. Die formal erste Anwärterin sei Natallja Katschanawa als Vorsitzende des Rates der Republik. „Ob sie allerdings machtbewusst und intern stark genug wäre, um zu einer ‚Kronprinzessin‘ zu werden, ist unklar.“
„Lukaschenko hat ein System geschaffen, in dem es unter ihm keine klare Führungsfigur geben kann“, erklärt Forst. Insofern scheine auch eine gewisse Instabilität im Falle eines hypothetischen Abtritts Lukaschenkos möglich. „Russland könnte in dieser Situation im Übrigen versuchen, einen Moskau noch stärker wohlgesonnenen Kandidaten zu unterstützen“, warnt der Experte der Friedrich-Ebert-Stiftung.