Pannenserie in Russland: Sanktionen treffen wichtige Branche schwer
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VonLars-Eric Nievelsteinschließen
Triebwerkschäden haben mehrere russische Flugzeuge zur Umkehr gezwungen. Die Branche leidet unter Sanktionen. Es könnte zu Insolvenzen kommen.
Moskau – Russlands Wirtschaft befindet sich im Klammergriff westlicher Sanktionen. Auf der einen Seite sorgt eine massive Inflation dafür, dass die Zentralbank die Leitzinsen auf Rekordhöhen getrieben hat, auf der anderen leiden die Bürger unter massiven Preissteigerungen im Einzelhandel. Gleichzeitig bereiten die USA ein neues Sanktionspaket vor und die Ukraine sorgt für weitere Milliardenverluste, weil sie kein russisches Gas mehr nach Europa durchleiten will. Jetzt zeigen sich die Auswirkungen der Sanktionen in Russlands Flugsektor immer deutlicher.
Russlands Flugwirtschaft leidet unter Sanktionen – Maschinen müssen umdrehen
Kurz nach Jahresbeginn mussten zwei russische Passagierflugzeuge mitten im Flug umkehren und zu ihren Startflughäfen zurückkehren. An ihren Triebwerken habe es Schäden gegeben, hatten mehrere Medien übereinstimmend berichtet. Konkret habe es sich um ein Flugzeug der Ural Airlines (Start in Sharm El Sheikh, Ägypten) und eines der NordStar Airlines (Start in Wolgograd, Russland) gehandelt. Beide mussten wegen technischer Störungen umkehren. Eine Stellungnahme von Rosaviatsia, Russlands Flugbehörde, blieb laut dem Nachrichtenportal Newsweek aus.
Der erste Flug (Ural Airlines) hatte offenbar bereits am 2. Januar stattgefunden. Eine Boeing 737 der NordStar Airlines sollte von Wolgograd nach Jekaterinburg fliegen, hatte aber – bereits auf mehreren Kilometern Höhe – einen Maschinenschaden erlitten und musste umkehren. Die Passagiere verspäteten sich um rund sechs Stunden, weil sie in eine Ersatzmaschine umsteigen mussten.
Ganz ähnlich sei der zweite Flug einen Tag später abgelaufen. Ein Flugzeug des Typs Airbus A321 hätte ebenfalls nach Jekaterinburg fliegen sollen, musste aber mit nur einer funktionierenden Turbine umkehren und seine Passagiere an ein anderes Flugzeug übergeben. Newsweek berichtete außerdem von einem dritten Flug – vor Neujahr sei eine Maschine von UTair Airlines immerhin am Zielflughafen angekommen, hatte aber bei der Landung einen Maschinenschaden erlitten.
Putin umgeht Sanktionen – und schafft West-Ersatzteile ins Land
Es sind nur die jüngsten in einer Reihe von Problemen, mit denen Russlands Flugsektor derzeit kämpft. In ihren Bemühungen, Russlands Wirtschaft so viele Ressourcen wie möglich zu entziehen, hatten die West-Verbündeten der Ukraine russische Flugzeuge sanktioniert und wollten sowohl den Fluss von Ersatzteilen als auch von wichtiger Software nach Russland unterbinden. Einerseits musste der Sektor wegen westlicher Sanktionen auf viele Auslandsflüge verzichten (was auch daran lag, dass ein Großteil der Flotte ausländischen Unternehmen gehört und Putin sie per Dekret festgesetzt hatte), andererseits fehlen die Ersatzteile für wichtige Instandhaltung.
Zumindest auf Letzteres hat der russische Präsident Wladimir Putin bereits reagiert: Ein Netzwerk aus sogenannten Strohkäufern, oftmals mit Sitz im Mittleren Osten und Asien, sorgt dafür, dass trotzdem Teile aus dem Westen über mehrere Umwege nach Russland gelangen. Die New York Times hatte berichtet, dass Güter im Verkaufswert von mehreren Milliarden US-Dollar aus dem Westen an (eigentlich sanktionierte) russische Airlines gelangt seien. Allerdings sind diese Umwege kostspieliger als gedacht und haben, weil Putin solche Konstrukte auch für andere Branchen aufbauen musste, mit dafür gesorgt, dass die Einkaufspreise in Russland zuletzt drastisch gestiegen sind.
Eine weitere bereits bekannte russische Methode, um an Elektronik und Ersatzteile zu gelangen, ist die schlichte Kannibalisierung bereits im Land befindlicher Flugzeuge. Diese werden seit Monaten teilweise ausgeschlachtet, um Reparaturen durchführen zu können.
Flugsektor weiter unter Druck – Massen-Insolvenzen in Russland?
Das macht es schwer, die tatsächliche Zahl der noch einsatzfähigen russischen Flugzeuge zu bestimmen. Der Analysefirma Oliver Wyman zufolge soll sich die Flottenstärke von rund 1000 Flugzeugen (vor 2022) bis 2026 etwa halbieren. Anastasia Dagaeva, eine Expertin für den russischen Flugsektor beim Thinktank Carnegie Politika, ging 2023 davon aus, dass Russland die Luftfahrtbranche mit massiven Hilfsleistungen unterstützt hatte. 4,5 Milliarden US-Dollar sollen allein 2022 geflossen sein, das meiste davon sei in die Inlandsflüge geflossen.
Vor der Sanktionswelle im Jahr 2022 stand Russlands Luftfahrtsektor noch gut da. Russische Airlines hatten 2019 noch rund 128 Millionen Menschen befördert, 43 Prozent davon auf internationalen Flügen, 57 Prozent auf Inlandsflügen. Durch die Corona-Pandemie und später die Sanktionen war die Zahl der Fluggäste eingebrochen. Die ganze Branche ist schwer abhängig von Regierungszuschüssen. Für dieses Jahr steht eine weitere besondere Maßnahme bevor: Der Kreml will es den Fluggesellschaften erlauben, ihre Schulden abzuschreiben, auf diese Summe soll allerdings eine Einkommenssteuer von 25 Prozent anfallen.
Die russische Zeitung Izvestia warnte in diesem Rahmen vor einer zusätzlichen finanziellen Belastung, die viele Fluggesellschaften in die Insolvenz treiben könne. Im Jahr 2025 könnte für 30 russische Fluggesellschaften, die etwa 26 Prozent des heimischen Passagierluftverkehrs ausmachen, das Aus kommen. Die westlichen Staaten hatten auf genau so eine Entwicklung abgezielt und die Sanktionen entsprechend ausgestaltet.
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