Nouripour fordert AfD-Verbot: „Erdrückende Beweislast gegen die Partei“– Ex-Bundespräsident dagegen

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Politische Radikalisierung befürchtet: Grünen-Chef Nouripour plädiert für ein AfD-Verbotsverfahren. Ex-Bundespräsident Gauck weist auf die Gefahren einer solchen Entscheidung hin.

Berlin – Das Verbot einer Partei in Deutschland ist ein komplexer juristischer Prozess und folgt strengen Kriterien. Ob ein Verbotsverfahren gegen die in Teilen gesichert rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg haben könnte, ist unklar. In den vergangenen Tagen wurde jedenfalls eine geplante fraktionsübergreifende Initiative von Bundestagsabgeordneten für einen Antrag zu einem AfD-Verbotsverfahren diskutiert. Grünen-Chef Omid Nouripour spricht sich dafür aus, der frühere Bundestagspräsident Joachim Gauck hingegen warnt vor dieser Idee.

AfD-Verbotsverfahren: Welche Argumente laut Nouripour dafür sprechen

Eine wehrhafte Demokratie könne ihrer eigenen Zersetzung durch Antidemokraten nicht folgenlos zuschauen, sagte Nouripour der Welt am Sonntag. „Alleine das, was an öffentlicher Beweislast gegen die AfD vorliegt, ist erdrückend groß“, meint der Grünen-Chef und zog im Interview auch einen Vergleich mit der Vergangenheit. Kürzlich habe er ein Buch über die Weimarer Republik gelesen und den Versuch des damaligen bayerischen Innenministers, gegen die NSDAP vorzugehen. Dieser Versuch sei allerdings gescheitert – und die Folgen für Deutschland und die Welt seien bekannt.

Die NSDAP hatte unter Adolf Hitler mit demokratischen Mitteln die Macht ergriffen, schaffte danach aber innerhalb kürzester Zeit die Demokratie ab. „Im Thüringer Landtag konnte man doch letzte Woche sehen: Sobald die AfD auch nur ein bisschen Macht in den Händen hält, ist sie wild entschlossen, diese Macht gegen sämtliche demokratische Gepflogenheiten zu missbrauchen“, mahnte Grünen-Chef Nouripour. Der Alterspräsident der AfD, Jürgen Treutler, weigerte sich stundenlang, über einen Antrag der Geschäftsordnung abstimmen zu lassen. Verfassungsrechtler sprachen sogar von einem „Verfassungsbruch“.

Was braucht es für ein Parteiverbot in Deutschland?

Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgelegt sind, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen, zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig, heißt es vom Bundesverfassungsgericht in einer Erklärung. Alleine die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen reicht für ein Parteiverbot allerdings nicht aus.

Hinzukommen müsse „eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung, auf deren Abschaffung die Partei abzielt, sowie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheint“, so das oberste Gericht Deutschlands weiter. Um als „kämpferisch“ zu gelten, genügt laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Januar ein „planvolles und qualifiziertes Vorgehen“.

Auch ein ethnischer Volksbegriff ist laut Bundesverfassungsgericht demnach verboten. „Das Grundgesetz kennt einen ausschließlich an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes nicht“, so das höchste deutsche Gericht. Völkische Ideologie ist allerdings ein zentraler Bestandteil der AfD-Politik. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hält in einer Analyse ein Verbot der AfD gemäß Artikel 21 GG für rechtlich möglich und notwendig, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen.

In der Geschichte der Bundesrepublik wurden bereits zwei Parteien verboten: 1952 die Sozialistische Reichspartei (SRP) und 1956 die Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Ein Parteiverbotsverfahren gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NDP) scheiterte indes im Jahr 2017. Damals konnte nicht nachgewiesen werden, dass es Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung der politischen Ziele der NDP gab.

„Mehrheit der AfD-Wähler keine Nazis“: Wie die Gesellschaft laut Gauck gegen die AfD vorgehen kann

Der frühere Bundespräsident Gauck räumte im Gespräch mit der Funke Mediengruppe am Samstag ein, dass sein „Bauchgefühl der Partei das Verbot herzlich gönnen“ würde. Doch die Ratio sage ihm, dass „wir mit einem Verbotsverfahren die Wählerschaft der Partei ja nicht einfach abschaffen würden. Vielmehr würden wir noch mehr Wut und noch mehr Radikalität erzeugen - und das wäre politisch schädlich.“ Die Mehrheit der Wähler der AfD seien keine Nazis, „sie sind einfach demokratiefern. Darum brauchen wir Beispiele für das Gelingen der Demokratie, die wir ihnen immer wieder unter die Nase halten müssen“, meint Gauck.

Bei einem AfD-Verbot würden verunsicherte konservative Bürger den Staat als Feind erleben. „Das brauchen wir nicht“, ist sich der Politiker sicher. Zudem würden von Verfassungsrechtlern und Politikwissenschaftlern sowohl die Sinnhaftigkeit als auch ein Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht bezweifelt. Statt staatlichen Eingriffen solle Deutschland die Fähigkeiten stärken, die Demokratie zu verteidigen. Es brauche eine aktivere Zivilgesellschaft und einen engagierten Kampf gegen Nationalpopulismus, forderte der frühere Bundespräsident.

Grünen-Chef Omid Nouripour (links) und der frühere Bundespräsident Joachim Gauck (rechts) haben unterschiedliche Ansichten zu einem AfD-Verbot. © Montage von IMAGO / Metodi Popow und IMAGO / teutopress

Auch Stimmen aus der Union und der SPD äußerten sich zuletzt teils kritisch zur Initiative eines AfD-Parteiverbotsverfahrens. „Wir müssen das schon sehr, sehr sorgfältig vorbereiten, wenn man solche Dinge macht, deshalb steht das jetzt nicht auf der Tagesordnung“, sagte etwa Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch. „Wir dürfen nicht vergessen, dass alle Verbotsverfahren gegen Parteien in letzter Zeit nicht so erfolgreich waren“, kommentierte der Jurist mit Blick auf das gescheiterte NPD-Verbot (bme/AFP).

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