Krieg belastet ukrainische Wirtschaft immer mehr – doch ein Ass im Ärmel hat Kiew noch

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Der Krieg in der Ukraine geht ins dritte Kriegsjahr. Bisher zeigte das Land eine erstaunliche Widerstandskraft. Jetzt aber greift der Krieg die Wirtschaft an.

Kiew – Im Jahr 2022, kurz nachdem der Ukraine-Krieg begonnen hatte, brach die Wirtschaft des angegriffenen Landes um fast 30 Prozent ein. Ein Jahr später übertraf die Ukraine alle Erwartungen und legte ein erstaunliches Wirtschaftswachstum hin. Jetzt aber warnen Ökonomen vor den langfristigen Folgen eines Abnutzungskriegs – denn die Ukraine hat dieselben Effekte zu erwarten wie Russland.

Ukrainische Wirtschaft im Kreuzfeuer – Verteidigungsausgaben stützen das Land

Während die Ukraine im Jahr 2023 noch ein Wachstum von 5,3 Prozent zu verzeichnen hatte, sollen es 2024 lediglich noch 3,0 Prozent sein. Zu diesem Schluss kam jüngst der Wirtschaftsbericht der European Bank of Reconstruction and Development, die ursprünglich dafür geschaffen war, um den Oststaaten nach dem Zerfall der Sowjetunion beim Aufbau zu helfen. Im vergangenen Jahr halfen nicht nur die Rekordernten der Ukraine beim Ausbau der Wirtschaft, sondern auch die massiven Verteidigungsausgaben, die das Land derzeit tätigt. Die Nettoexporte gingen dabei weiter zurück.

Ukraines Präsident Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj in Kiew.
Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew (Symbolfoto). Der Krieg in der Ukraine geht ins dritte Kriegsjahr. Bisher zeigte das Land eine erstaunliche Widerstandskraft. Jetzt aber greift der Krieg die Wirtschaft an. © IMAGO / ZUMA Wire/ Ukraine Presidency

Zu den „unterstützenden Faktoren“ zählt die Bank außerdem der Erfolg ukrainischer Behörden beim Wiederaufbau der Stromversorgung nach den russischen Angriffen auf zivile Infrastruktur. Externe Finanzierungen stützten das Land weiter und ermöglichten eine Stabilisierung der Inflation auf rund fünf Prozent. Die offiziellen Währungsreserven stiegen auf Rekordniveau, die Staatsverschuldung stieg auf fast 90 Prozent des BIP.

Langzeitkrieg belastet ukrainische Wirtschaft

Ein Jahr später sorgen die Aussicht auf einen langen Zermürbungskrieg und Zweifel an der externen Finanzierung für neue Herausforderungen. Die Inlandsnachfrage ist begrenzt, außerdem mangelt es an Arbeitskräften (unter anderem, weil viele Menschen im wehrfähigen Alter eher in den Kriegsdienst ziehen) und inländische Investitionen bezeichnet die EBRD als „unzureichend“.

Allerdings gebe es auch Lichtblicke: Zum Beispiel ist es der Ukraine gelungen, einen Schwarzmeer-Exportkorridor entlang der Küste zu eröffnen, der dabei hilft, ein wirtschaftliches Ass auszuspielen. Konkret geht es hier um den Export von „umfangreichen“ landwirtschaftlichen Erzeugnissen sowie anderer Massengüter der Ukraine. Zum Beispiel spielt sie weit vorn mit, was Metall- und Erzproduktion angeht. Die Nutzung dieses Seekorridors nimmt langsam zu und belebt die Landwirtschaft, die Metallindustrie sowie den Bergbau.

Fachkräftemangel durch Kriegsdienst belastet ukrainische Wirtschaft

Zuletzt hatte Russland größere Anstrengungen in die Eroberung kleinerer ukrainischer Städte und Dörfer entlang der Donezk-Front unternommen. Nach der russischen Offensive gegen Charkiw, die zweitgrößte Stadt in der Ukraine, sprachen Experten davon, dass der Krieg sich verschärft habe. „Die Mobilisierung zusätzlicher Männer für den Kampf wird sich negativ auf die Wirtschaft auswirken“, zitierte der britische Guardian den Ökonomen Beata Javorcik. Der Ökonom erwartet außerdem einen negativen Effekt durch die Zerstörung der Stromerzeugung – die Situation beschrieb er als „herausfordernd“.

Javorcik warnt davor, was passieren könnte, wenn der Krieg sich wieder über ein größeres Gebiet erstrecken. 2022 hatten Kampfhandlungen in Gebieten stattgefunden, die zusammen 60 Prozent der Wirtschaftstätigkeit der Ukraine ausgemacht hatten. Je weiter die Ukraine Russland jedoch zurückgedrängt hatte, umso mehr schrumpfte das von Kriegshandlungen betroffene Gebiet. Eine erneute Ausbreitung würde „einen wirtschaftlichen Tribut“ fordern.

Das große Problem dabei: Zwar kann die Ukraine über eine verstärkte Produktion von Kriegsgütern die Wirtschaft ankurbeln, so wie es Russland auch mit seiner Umstellung auf Kriegswirtschaft tut. Allerdings haben Ökonomen bereits erkannt, dass damit die Investitionen in die Zukunft des Landes hintenüber fallen – wer die Produktion buchstäblich darauf ausrichtet, im Krieg verfeuert zu werden, muss in wichtigen Wachstumsbereichen wie Innovation oder Bildung Abstriche machen.

Ukraine braucht hunderte Milliarden

Wie geht es weiter? Nach Schätzungen des „Rapid Damage and Needs Assessment“ (RDNA3) werden sich die Kosten für Wiederaufbau und Wiederherstellung innerhalb des nächsten Jahrzehnts auf 486 Milliarden US-Dollar belaufen und eine Anstrengung von öffentlichen sowie privaten Mitteln verlangen. „Der aktuelle und zukünftige Finanzierungsbedarf der Ukraine ist immens“, schrieb die Weltbank dazu. Fast alle Sparten haben hierbei einen hohen Finanzierungsbedarf: Wohnen, Verkehr, Handel und Industrie, Landwirtschaft, Energie, Sozialschutz und Lebensunterhalt sowie Explosionsgefahrenmanagement.

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