SPD-Politiker Roth nach Kühnert-Rücktritt: „Man sollte nicht den Eindruck erwecken, Politiker hätten Superkräfte“

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Kevin Kühnert tritt aus gesundheitlichen Gründen zurück. SPD-Politiker Michael Roth nahm sich auch einst eine Auszeit – wegen Burnout. Nun spricht er über seine Erfahrungen.

Berlin – Die Nachricht kam für viele überraschend: Kevin Kühnert zieht sich weitgehend aus der Politik zurück und gibt sein Amt als SPD-Generalsekretär ab. „Die Energie, die für mein Amt und einen Wahlkampf nötig ist, brauche ich auf absehbare Zeit, um wieder gesund zu werden“, so Kühnert. 

Kühnert tritt zurück – auch Michael Roth nahm sich Auszeit

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth hat ähnliche Erfahrungen gemacht. 2022 hatte sich der Außenpolitiker und ehemalige Staatsminister zeitweise ebenfalls aus der Politik zurückgezogen. Damals hatte er öffentlich über eine Burnout-Diagnose gesprochen. „Das war ein langer, schmerzhafter Prozess. Ich neige zu einem protestantisch geprägten Arbeitsethos und es fiel mir schwer, Terminanfragen abzusagen, mal einen Schritt zurückzutreten, zur Ruhe zu kommen. Man macht einfach weiter im Hamsterrad”, so Roth im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.

Michael Roth ist seit 1998 Mitglied des Bundestages.

Von 2013 bis 2021 war er Staatsminister für Europa im Außenministerium, seit 2021 ist er Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.

Zur kommenden Bundestagswahl will er nicht mehr antreten.

Schließlich habe er gemerkt, dass er nicht mehr weitermachen konnte: „Die Zeit zwischen den Jahren, die eigentlich eine traditionelle Ruhephase ist, war bei mir damals ein sehr schwieriger Moment. Und in dieser Woche, in der man im wahrsten Sinne des Wortes zur Besinnung kommen kann, habe ich dann gespürt: So geht es nicht mehr weiter.“

Betroffene sollen sich professionelle Hilfe suchen: „Über diese Brücke muss man gehen“

Wichtig sei für Betroffene, sich professionelle Hilfe zu holen. „Viele denken, es reicht, wenn sie ein offenes Gespräch mit Freunden oder der Familie führen. Aber damit überfordern sie Ihr Umfeld. Ich weiß, dass es gerade für Partnerinnen und Partner sehr schwer zu akzeptieren ist, erst einmal nicht Teil der Lösung zu sein.“ Man müsse den Mut aufbringen, aus dem vertrauten Umfeld herauszutreten und sich an Profis zu wenden. „Über diese Brücke muss man gehen.“

Jetzt wirbt er für eine „Kultur der Nachsicht“ und mehr Achtsamkeit im politischen Betrieb. Auf die Frage, ob Spitzenpolitik ein besonders hohes Risiko für Erschöpfungszustände wie Burnout berge, sagte Roth: „Es gibt eine Reihe von Hochleistungsberufen. Zum Beispiel im Pflegebereich oder Lehrkräfte in einer Brennpunkt-Schule. In der Politik wird erwartet, dass man omnipräsent ist und zu jedem Thema immer etwas zu sagen hat. Man muss sich als Politiker in den Sturm stellen. Denn Politik beruht in einer Demokratie auf Streit. Der wird allerdings auch immer persönlicher geführt.“

„Völlige Enthemmung“ auf X: „Das hinterlässt Spuren“

Die sozialen Medien trügen dazu in erheblichem Maße bei, so der Spitzenpolitiker: „Man ist permanent auf Sendung. Wir machen als Politiker heutzutage mehr Fehler, vor allem, weil wir einfach viel mehr sagen und verbreiten.“ Die Reaktionen darauf seien oft nicht sachlich, sondern sehr persönlich und hart. „Es gibt eine völlige Enthemmung. Vor allem X ist seit der Übernahme durch Elon Musk immer toxischer geworden“, so Roth. „Man kommt kaum mehr hinterher, jede Beleidigung, jede Bedrohung zur Anzeige zu bringen, weil das einfach so viel geworden ist. Das hinterlässt Spuren. Und leider gibt es in unserem Land und in der Politik keine Kultur des Verzeihens und der Nachsicht.“ Das müsse sich ändern. 

Zur nächsten Bundestagswahl will Michael Roth nicht mehr antreten: “Ich spüre inzwischen eine gewisse Entfremdung vom Politikbetrieb. Die harten Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre – wir haben ja schließlich um Krieg und Frieden gestritten – sind nicht einfach nur in den Kleidern hängen geblieben.” Er wolle nun etwas Neues wagen und unter anderem ein Buch schreiben. Eine Rückkehr in die parlamentarische Arbeit komme für ihn nicht mehr infrage. 

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