Putins russische Gegner und der Krieg – Warum Oppositionsmedien Zorn in der Ukraine auslösen

  1. Startseite
  2. Politik

Putins russische Gegner und der Krieg – Warum Oppositionsmedien Zorn in der Ukraine auslösen 

Kommentare

Eine ukrainische Medienexpertin kritisiert Berichte russischer Oppositionsmedien über den Ukraine-Krieg. Russland-Experten ordnen ein.

Journalisten, die sich in Russland kremlkritisch äußern, riskieren ihr Leben. Sie stürzen unter mysteriösen Umständen aus dem Fenster oder verschwinden im Straflager. Vor allem jene, die tief graben, sind Wladimir Putin ein Dorn im Auge. Ein prominentes Beispiel ist der Investigativ-Journalist Maksim Borodin, der 2018 bei einem Fenstersturz starb. Er hatte über russische Söldner im Ausland recherchiert. 

Auch die russische Journalistin Ekaterina Glikman hat Kollegen verloren. Früher arbeitete sie bei der Putin-kritischen Novaya Gazeta, die ihren Betrieb einstellen musste. 2022 gründete Glikman Novaya Gazeta Europe, die heute neben Meduza zu den wichtigsten russischen Oppositionsmedien zählt. 

Neue Offensive im Ukraine-Krieg? Russland zieht laut Selenskyj mehr als 50.000 Soldaten an Front bei Sumy zusammen. (Symbolbild) © IMAGO / ZUMA Press Wire, IMAGO / Bestimage, IMAGO / SNA

Meduza gibt es seit 2014 mit Sitz in Riga, Lettland. Aufgrund der regierungskritischen Berichterstattung stuft der Kreml 2023 die Online-Zeitung als „unerwünschte Organisation“ ein. Gegen Chefredakteurin Galina Timchenko läuft ein Strafverfahren. LautCNN drohen der gebürtigen Russin bis zu sechs Jahre Haft. Meduza berichte ausführlich und kritisch über den Ukraine-Krieg, schreibt der US-Sender.

Das sieht die ukrainische Journalistin und Medienwissenschaftlerin Nataliia Steblyna anders. Für das „Pylyp Orlyk Institute for Democracy“ analysiert sie mit ihrer Kollegin Iryna Avramenko, wie russische Oppositionsmedien über die Vollinvasion Russlands in der Ukraine berichten. Dabei kommen Novaya Gazeta Europe und Meduza nicht gut weg. 

Russlands Oppositionsmedien und der Krieg: Harsche Kritik aus der Ukraine

Steblyna lehrt als Professorin an der Nationalen Universität Donezk „Wassyl Stus“ Medienwissenschaften und ist selber als Journalistin tätig. Für ihre Studie „Deconstructors of Truth: How the Russian Opposition Media Covers Russia’s Full-Scale Invasion of Ukraine“ liest sie zwischen den Zeilen. Manchmal kommen ihr Aussagen unter, bei denen sie als Ukrainerin nur mit dem Kopf schütteln kann.  

Sie nennt Berichte, in denen etwa russische Politiker ohne Fakten-Check oder Einordnung zitiert werden. „Zum Teil werden auch Bild- und Videomaterial ungefiltert von Kreml-kontrollierten Nachrichtenagenturen übernommen“, kritisiert Steblyna im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. Zudem sei die Haltung unabhängiger russischer Journalisten oft widersprüchlich, wenn es um das Schicksal der von Russland besetzten Gebiete in der Ukraine geht. In mehreren Beispielen findet die Forscherin kein „klares Ja“ in der Berichterstattung russischer Oppositionsjournalisten auf die Frage, ob die Gebiete wieder an die Ukraine zurückkehren sollten. 

Anstatt die Gebiete als „besetzt“ zu bezeichnen, schreiben einige russische Oppositionsmedien „angegliederte oder neue Gebiete“. Auch fehle es an einer klaren Haltung gegenüber den russischen Soldaten. „Oft erhalten sie Mitleid und Verständnis. Sie seien arm und träten der russischen Armee bei, um ihre Familie zu unterstützen“, sagt Steblyna. Als wäre Armut ein Freiheitsschein, um in der Ukraine töten zu dürfen.

Ukraine-Krieg: Medienexpertin wünscht sich klare Haltung von Russlands Oppositionsmedien

Steblynas Bericht hebt zudem hervor, dass Oppositionsmedien oft von „Putins Krieg“ sprechen und damit die große Zustimmung der russischen Bevölkerung für den Überfall auf die Ukraine ausblenden. „Damit leisten sie keinen Beitrag zum Aufbau eines freien Russlands, wenn das tatsächlich ihr Ziel ist“, kritisiert sie. Auch mit Putin selbst gehen sie laut Steblynas Untersuchung zu sanft ins Gericht. Die unabhängigen Medien Russlands setzten sich kaum mit seiner rechtswidrigen Position als Diktator und seinem gesetzlosen Regime auseinander.

Ihr Fazit: Am Ende zeigen unabhängige russische Medien verschiedene Ansichten zu einem Vorfall und lassen ihre Leser verwirrt zurück, was wirklich geschah. Als Beispiel nennt sie die Berichterstattung über das Massaker von Butscha, die nicht eindeutig klärt: Ist es wirklich passiert? War es inszeniert? „Denn in ihren Berichten über Butscha fügen russische Oppositionsjournalisten immer die offizielle russische Position hinzu, die die Beteiligung russischer Truppen fälschlicherweise leugnet“, sagt Steblyna. Daher stellt sich das russische Publikum die Frage: Waren es die Russen oder die NATO?

Wenn es um Russlands Angriffskrieg geht, herrscht laut ihr bei vielen russischen Oppositionsmedien die Devise: „Es gibt zwei Seiten und beide sind schuld.“ Steblyna klagt: „Sie sind zwar gegen Putin, aber wenn es um die Ukraine geht, sehe ich wenig Abgrenzung. Viele sind der Meinung, die Ukraine gehöre zur russischen Kultursphäre“, klagt sie.

„Maßlos übertrieben“: Russland-Experte weist Kritik zurück

Russland-Experte Alexander Libman kann die Forschungsergebnisse schwer nachvollziehen, insbesondere wenn es um die Kritik an der Verwendung von Begriffen wie „neue Territorien“ oder „Putins Krieg“ geht. „Steblyna sieht sie als ‚Elemente russischer Propaganda‘. Dabei äußern sich Medien wie Meduza unmissverständlich gegen Putin und seinen Krieg“, sagt der Professor von Freien Universität Berlin auf FR-Anfrage. Er hebt hervor, unter welcher Gefahr russische Oppositionsmedien arbeiten. „Dass man sich unter diesen Bedingungen auf einzelne Begriffe fokussiert, die man als problematisch sieht, ist maßlos übertrieben“, meint er.

Steblyna sei wohl unglücklich damit, wenn russische oppositionelle Medien über eine komplexe russische Gesellschaft berichten – mit vielen Facetten, Meinungen und Einstellungen. „Ich kann verstehen, warum inmitten eines Krieges für die Ukraine so eine Sicht schwierig zu akzeptieren ist. Man tendiert immer dazu, den Feind mit einer Farbe zu malen“, sagt Libman. Jedoch sei das Ignorieren der Komplexität der russischen Gesellschaft empirisch falsch. Aus seiner Sicht sei es wichtig und notwendig, über diese Schattierungen zu berichten, „und gerade das tun die russischen oppositionellen Medien sehr gut“.

Für ihn seien oppositionelle russische Medien eine wichtige Informationsquelle. Die Kritik Steblynas bezeichnet er als „inkorrekt“. Einzelne Teile lesen sich seiner Meinung nach als „reine Denunziation“, die in einer demokratischen Debatte fehl am Platz sei. Auf den Professor für Osteuropastudien Ulrich Schmid wirkt die Forschungsarbeit vielmehr wie ein „persönliches Statement“. „Es gibt keine Aufarbeitung des Forschungsstandes, kein methodisch reflektiertes Vorgehen“, sagt er unserer Redaktion.

Experte für Medien in Russland stuft „Meduza“ und „Novaya Gazeta“ als professionell ein

Schmid lehrt und forscht an der Universität St. Gallen unter anderem über Medien und Gesellschaft in Russland. Als „problematisch“ sieht er „pauschale Feststellungen“; etwa dass die russische Gesellschaft den Großangriff auf die Ukraine eindeutig unterstütze. Die soziologische Forschung zeige aber: Es gibt ein komplexes Spektrum an Haltungen zum Krieg. „Auch ist es für Leser von russischen Oppositionsmedien wichtig, zu wissen, welche Propagandainhalte etwa von russischen Diplomaten geäußert werden“, führt er aus. Daher gehöre es auch dazu, russische Politiker zu zitieren. 

Er selbst verfolge regelmäßig Meduza und Novaya Gazeta. Beide zeichnen sich ihm zufolge durch „hohe journalistische Professionalität“ aus. „Sie ordnen das Geschehen kompetent ein und sind auch mit westlichen Qualitätsmedien konkurrenzfähig“, meint Schmid. Den Vorwurf, dass die Berichterstattung über die Zerstörung des Kachowka-Staudamms den Leser „absichtlich verwirrt“, weil die Informationslage als unzuverlässig geschildert wird, nennt er „absurd“.

Russlands Exil-Medien haben laut Experte ihre eigene Sicht

Russland-Experte Florian Töpfl von der Universität Passau sagt der FR hingegen, er lese russische Exil-Medien mit einer gewissen innerlichen Distanz. Er teile viele von Steblynas Kritikpunkten. „Russische Exil-Medien haben ihre eigene Positionalität, die sich in vielen wichtigen Punkten von der ukrainischen und auch von unserer deutschen Sicht auf den Krieg unterscheidet“, sagt er. Sprich, ihre Herkunft, Erfahrungen und Perspektiven beeinflussen, wie sie die Welt wahrnehmen und Dinge bewerten. 

Er könne verstehen, dass die Berichterstattung der russischen Exil-Medien in mehreren Fällen viele Ukrainer wütend mache. Zum Beispiel durch Fokus auf Leid der Menschen in Russland oder durch die nicht immer explizite Forderung nach der Rückgabe der von Russland seit 2014 eroberten Gebiete. Seiner Meinung nach schadet es nicht, die eigene „russische“ Positionalität kritisch zu reflektieren.

Laut Steblyna haben vor der Großinvasion noch einige ukrainische Journalisten mit russischen Oppositionsmedien zusammengearbeitet. Heute halte man Abstand, meint sie. Zu ihren Vorwürfen wollten sich Meduza und Novaya Gazeta nicht äußern.

Auch interessant

Kommentare