Rechts statt grün: Was die neue EU-Kommission über Europas Zustand verrät
Die EU hat wieder eine „Regierung“ – ein halbes Jahr nach der Wahl. Von der Leyens neue Kommission ist ein Spiegelbild der politischen Lage. Eine Analyse.
Das neue „Kabinett“ der EU steht. Es war ein etwas holpriger Ritt – aber Ursula von der Leyen hat am Mittwochmittag (27. November) ihre Kommission durch das Europaparlament gebracht. Sogar ohne eine einzige Kandidatin auf dem Weg zu verlieren. Das gab es in diesem Jahrtausend noch nicht. Ein gutes Zeichen ist das aber nicht, so paradox es klingen mag.
„Das geht zu weit!“ Sozialdemokraten stimmen zu – warnen aber Kommissions-Chefin von der Leyen
Um 12.24 Uhr war es so weit. 370 Abgeordnete votierten für die neue Kommission, 282 dagegen. Dafür waren natürlich von der Leyens konservative EVP-Leute um CDU und CSU, großteils aber auch Sozialdemokraten und Liberale – und ein ansehnlicher Teil der Grünen.
Dass es eine Mehrheit gab, trotz einigem Streit, ist auch ein Zeichen für Sorge in Brüssel: Donald Trump übernimmt die Macht in den USA, der Ukraine-Krieg tobt, die EU schwächelt an ihren Rändern. Ein Nein hätte die EU-Spitze wohl über Monate führungslos gelassen – und nicht zwingend weniger kontroverse Kandidaten gebracht, etwa aus Ungarn. Also bissen viele Abgeordnete abseits der EVP auf die Zähne.

Einen Koalitionsvertrag hinter der neuen EU-„Regierung“ gibt es ohnehin nicht. Eine Parlaments-Mehrheit braucht sie trotzdem – „Plattform“ heißt sie. Und deren Vertreter warnten einigermaßen diplomatisch, aber doch eindringlich. Es sei „unmoralisch“, die EU aufzubauen auf jenen, „die den Klimawandel leugnen, die Gleichheit, Umweltrechte und soziale Rechte zurückdrehen wollen“, sagte die Fraktionschefin der Sozialdemokraten, Iratxe García Pérez. Sie drohte: Einen „Blankoscheck“ werde es nicht geben. Heißt: Wenn die EVP mit Nationalisten und Rechtspopulisten paktiert, gibt es ein Stopp-Zeichen.
Das hatte von der Leyen aber bei der Kommissionsbesetzung getan: Giorgia Melonis Vertreter, Raffaele Fitto, wird Vizepräsident. Kurz drohte eine „Geiselnahme“ und Handlungsunfähigkeit. EVP-Chef Manfred Weber (CSU) verteidigte nun Fittos Ernennung – und erhielt Gegenwind. „Pro-europäisch, pro-ukrainisch und Pro-Rechtsstaat“ müssten Partner sein, sagte Weber. Er sieht das bei Melonis Fratelli gegeben, bei der polnischen PiS etwa nicht. Als Weber „rote Linien gegenüber Rechtsextremen“ pries, gab es im Plenum empörte Zwischenrufe, bis Parlamentspräsidentin Roberta Metsola mahnte: „Lassen Sie Ihren Kollegen sprechen!“
Neue EU-Kommission: Was hinter den Entscheidungen steckt
Die große Sorge bei Sozialdemokraten, Grünen und teils auch den Liberalen: Fittos hoher Posten könnte ein Vorzeichen für eine Mehrheitssuche bei Rechtsradikalen werden. SPD-Politiker Rene Repasi warnte, das käme einer „Selbstentleibung“ gleich – die bei den Kommissions-Anhörungen schon zu erleben gewesen sei. „Das geht zu weit, nehmen Sie das ernst!“, rief er von der Leyen zu.
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Natürlich gibt es aber ein Kalkül hinter der Entscheidung. Nicola Procaccini, Co-Chef der nationalistischen EKR-Fraktion und Parteifreund Melonis, führte sein Argument klar ins Feld. „Es ist einfacher: Die europäischen Bürgerinnen und Bürger haben ihre Meinung zum Ausdruck gebracht, bei der EU-Wahl und bei den nationalen Wahlen.“
Von der Leyens EU-Kommission steht: „Zusammenarbeit mit extremen Rechten offenhalten“
Die Auswahl der Mitglieder der neuen Kommission spiegelt vor allem die Machtverhältnisse in den 27 Mitgliedsstaaten. Denn deren Regierungen nominieren die Kommissarinnen und Kommissare. Ein Vergleich der ersten und der zweiten Von-der-Leyen-Kommission zeigt einen Wandel – aber noch nicht das Ausmaß des Rechtsrutsches in Europa.
„Ich habe mich mit allem, was ich habe, dafür eingesetzt, dass wir immerhin elf Frauen in der Kommission haben.“
Die alte Kommission hatte zehn Politikerinnen und Politiker der konservativen EVP, sieben Sozialdemokraten, vier Liberale, vier Parteilose und einen Vertreter der nationalistischen EKR. In der neuen sieht es so aus: 14 Mal EVP, je fünf Sozialdemokraten und Liberale, zwei Parteilose – darunter ein Vertrauter Viktor Orbáns – und einmal EKR. Die Kommission ist also konservativer geworden. Den gesuchten Anteil weiblicher Kommissare hat von der Leyen indes nicht bekommen. Das Ergebnis verschleiert aber (noch), dass die Rechtspopulisten quer durch die EU auf dem Vormarsch sind.

Dafür ist die Verteilung der Posten ein Indiz. Und insbesondere Fitto. Die Rechtspopulisten sind eine stärker werdende Kraft. Und etwa wirtschaftspolitisch den Konservativen teils gar nicht so fern. „Die EVP zeigt leider immer offener, dass sie sich Zusammenarbeit mit der extremen Rechten offenhalten will“, sagte Grünen-Fraktionschefin Terry Reintke. Ihre Partei spielt keine Rolle in der Kommission – und votierte trotzdem teils mit Ja. Wie in Deutschland geben sich die Grünen staatstragend.
EU-Kommission wird konservativer – „Clean Industrial“ statt „Green Deal“
Die neue Kommission geht auch mit neuen Themenschwerpunkten einher. Aus dem „Green Deal“ wird ein „Clean Industrial Deal“, härtere Umwelt- und Landwirtschaftsregeln sollen laut EVP-Plan weichen, das Verbrenner-Aus wackelt enorm. Das EU-Abholzungsgesetz, das Wälder schützen soll, wurde im November bereits verschoben und abgeändert – mit Stimmen von EVP, Liberalen und der Patrioten für Europa um FPÖ und Fidesz, aber auch der AfD.
All das ist auch eine indirekte Folge der Wahlergebnisse in Europa: Die Konservativen waren zwar noch Gewinner der Europawahl – aber sie spüren nicht nur in Deutschland den Atem der Rechtsaußen im Nacken. Kompromisse mit den Grünen scheinen ihnen da offenbar wenig attraktiv; Rechtsaußen-Bündnisse könnten augenscheinlich besser in die Zeit passen. Wie scharf der Richtungswechsel ausfällt, es liegt nun auch in von der Leyens Hand. Immerhin: Sie kann nun anfangen, zu arbeiten. (fn)