Elfenbeinschnitzer zu Gast in der Ausstellung „Eiszeit Safari Allgäu“ in Kempten
Kempten – „Alles, was nach der Eiszeitkunst kam, ist Dekadenz“, zitierte Bernhard Röck bei der Eröffnung der Eiszeit-Ausstellung in Kempten mit einem Augenzwinkern Picasso. In der Eiszeit, vor etwa 40.000 Jahren, entstanden die ersten Kunstwerke der Menschheit. Zu ihnen gehören figürliche Darstellungen aus Mammutelfenbein. Die Elfenbeinschnitzerei ist also das älteste Kunsthandwerk in der Geschichte der Menschen.
Heute sind es nicht mehr viele, die diese Tradition in einer eigenen Werkstatt fortführen. Röck mit seiner Mammut-Kreativ-Mitmach-Werkstatt in der Elfenbeinstadt Erbach gehört zu ihnen und hat das besondere Glück, in der Person von Louis Corrigan einen jungen Elfenbeinschnitzer mit ausgebildet zu haben, der bereit ist, diese zu übernehmen. Im Rahmen der Ausstellung „Eiszeit Safari Allgäu“ in Kempten zeigen die beiden mehrmals ihr Können und leiten Workshops.
Der studierte Industrie-Designer Röck zog 1974 nach Erbach, ein Jahr später heiratete er Gaby Kolmer und fing an, in der Knopffabrik seines Schwiegervaters zu arbeiten. Dieser Betrieb ist aus einer Elfenbeinschnitzerei entstanden, unter den Mitarbeitern gab es einige gelernte Elfenbeinschnitzer, die inzwischen Knöpfe produzierten. Röck entdeckte in der Fabrik Elefantenelfenbeinreste, die ihn zu seinen ersten Schnitzereien motivierten. 1978 machte er sich selbstständig, indem er selbst entworfene Schmuckstücke herstellte und Elfenbein-Reparaturarbeiten übernahm.
1983 brachte einen wichtigen Wendepunkt in seinem Leben. In diesem Jahr feierte die Stadt den 200. Jahrestag der Gründung der ersten Elfenbeinschnitzerei durch Graf Franz I. aus dem Hause Erbach-Erbach. Das Deutsche Elfenbeinmuseum schrieb aus diesem Anlass einen internationalen Wettbewerb aus. Zum Thema zweckfreie Skulptur mit dem Motto Doppelform wurden 82 Arbeiten aus zehn Ländern eingereicht. Und Röck, ein „Quereinsteiger“, gewann den mit 7.000 Mark dotierten Förderpreis. Ab diesem Zeitpunkt sei er für die Stadt regelmäßig unterwegs gewesen, erzählt er dem Kreisboten. Besonders gerne erinnert er sich an den Besuch bei dem Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in der Villa Hammerschmidt in Bonn.
Wird ein „blutiges Handwerk“ in Kempten gezeigt?
1989 erhielt der Afrikanische Elefant die höchste Artenschutzstufe. Damit verbunden war auch ein weltweites Handelsverbot mit Elfenbein. Beim Regierungspräsidium registrierte Altbestände durften auf Antrag weiterverwendet werden. Röck, der 1986 zum Geschäftsführer der Elfenbeinschnitzer-Innung gewählt wurde, und seine Kollegen waren bereits im Vorfeld mit Anfeindungen konfrontiert. Vom „blutigen Handwerk“ und „Elefantenmördern“ war die Rede. Röck hält das Verbot bei der Verfolgung des Ziels, das Überleben der Elefanten zu sichern, eher für kontraproduktiv und bezieht sich auf den WWF-Artenschutzexperten Manfred Niekisch, mit dem er mehrmals in Fernsehsendungen aufgetreten ist, und meint, dass die Tierschützer die Situation stark überzeichnen müssen, damit die Leute auf sie hören und spenden. Der geschichtliche Hintergrund der Elfenbeinschnitzerei werde hierbei nicht berücksichtigt.
Röck erinnert sich an eine große Unsicherheit und zahlreiche Krisengespräche: „Wie geht es weiter? Wird der Beruf verboten? Was passiert mit dem ausgestellten Elfenbein, mit den historischen Kulturgütern?“, waren die am häufigsten gestellten Fragen. Gleichzeitig suchte man nach Lösungen. Im gleichen Jahr reiste Röck mit einer Delegation nach Leningrad, um mit einer Firma zu verhandeln, die mit Mammut-Stoßzähnen aus Sibirien handelte. Im Frühjahr 1990 traf die erste Lieferung mit mehr als einer Tonne im Odenwald ein. Anfangs wurden die Schnitzer mit unsinnigen Vorschriften konfrontiert – man habe beispielsweise Zeugnisse einführen wollen, die nachweisen, dass die vor mehr als 10.000 Jahren ausgestorbenen Mammute, deren Stoßzähne sie verwenden, gesund waren –, der „neue“ Werkstoff hat sich trotzdem allmählich durchgesetzt.
Wenn das Eis schmilzt, zeigt sich das Mammut
1991 durfte Röck an einer Expedition unter der Leitung des jakutischen Paläontologen Lazarev am 72. Breitengrad nördlich des Polarkreises im Nordosten Sibiriens teilnehmen. Sie begleiteten drei „Promischleniki“, die in der kältesten Region der Erde in den beiden Sommermonaten unter extremen Bedingungen nach Mammutelfenbein suchen. Dietmar Buchmann dokumentierte die Expedition in einem 45-minütigen Film mit dem Titel „Mammut-Story“. Wenn das Thermometer mühsam über null Grad klettert, kommt die Natur in Bewegung. Das Tauwetter und das Meer sorgen an der Steilküste für Abbrüche.
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Wenn das Eis schmilzt, mit dem die Erdmassen durchsetzt sind, setzen diese sich in Bewegung. So werden dort seit Jahrhunderten im Permafrostboden konservierte Mammutfossilien, meist in bester Qualität, freigegeben. In Jakutsk wird damit seit 250 Jahren gehandelt. Die Reserven sind fast unerschöpflich, man geht von mehreren Millionen Tieren aus, deren Überreste der ewige Frostboden hergeben kann. Manche Stoßzähne, mit denen ein Mammut am Tag 150 Kilo Tundragrün zermalmte, haben eine Länge von vier Metern und ein Gewicht von 100 Kilo, wird im Film berichtet.
„Die Elfenbeinschnitzer haben der Menschheit Kunst und Kultur gebracht“, sagt Röck. Er freut sich sehr darüber, dass 2017 die „Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alp“ in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen wurden. Hiermit verbunden sei auch „der Nachweis, dass es diese Berufung seit 40.000 Jahren gibt.“ Professor Nicholas J. Conard bestätigte in seinem im Rahmen des Begleitprogramms gehaltenen Vortrag im Zumsteinhaus: Die Höhlen der Schwäbischen Alb sind weltweit beste Quellen für die älteste Kunst und Musik der Menschheit.
Rekonstruktion eiszeitlicher Kunstwerke
Das Ergebnis der Zusammenarbeit mit Conard und vor allem seiner Kollegin Sibylle Wolf von der Uni Tübingen ist die 2022 entstandene Wanderausstellung „Urformen – Figürliche Eiszeitkunst Europas“. Er habe Wolf, damals Doktorandin, 2009 bei der Landesausstellung „Eiszeit– Kunst und Kultur“ in Stuttgart kennengelernt, erzählt Röck. Die Wissenschaftler und die Kunsthandwerker wählten für diese Ausstellung in der jüngeren Altsteinzeit entstandene Figuren aus, die zumeist beschädigt aufgefunden wurden.
„Um das ursprüngliche Aussehen dieser Kunstwerke erlebbar zu machen, haben zeitgenössische Schnitzmeister ausgewählte eiszeitliche Figuren in ihren originalen Materialien nachgeschnitzt und ihre Formen ergänzt“, liest man im Katalog. Die Ausstellung ist zurzeit im Landesmuseum Württemberg in Stuttgart zu sehen. „Es war nicht einfach, die Figuren zu entwickeln. Wir haben viel ausprobiert“, erinnert sich der 77-jährige Elfenbeinschnitzer.
Eine der 23 Figuren ist der in Geißenklösterle in der Schwäbischen Alb gefundene „Bär“, der 1977 in stark fragmentiertem Zustand ausgegraben wurde. Die Rekonstruktion entstand in Zusammenarbeit zwischen Röck und Louis Corrigan. Der 30-Jährige mit amerikanischen Wurzeln lernte Bernhard Röck bei seinem Stand auf dem Weihnachtsmarkt in Koblenz kennen. „Dort wurde ich auf das Berufsbild aufmerksam“, erzählt Corrigan, der inzwischen selbst den Stand in Koblenz leitet. Mit 25 habe er mit der Ausbildung an der Berufsfachschule für das Holz und Elfenbein verarbeitende Handwerk in Michelstadt im Odenwald begonnen. Die Gesellenprüfung hat er bereits abgelegt und die Hälfte der Meisterausbildung absolviert.
Wissen an andere weitergeben
Seine Eltern waren Keramiker, er habe schon als Kind Holz geschnitzt und früh angefangen, mit Modellen zu arbeiten, erzählt er. Seit fast drei Jahren arbeitet er in Röcks Werkstatt, die er gerne übernehmen wolle. „Davon leben zu können, wäre mein Traum“, sagt er. „Mit genug Einsatz sollte es funktionieren.“ Er sei entschlossen, den Weg des Elfenbeinschnitzers zu gehen, aber nicht ausschließlich. Corrigan hat vor, Kurse zu geben, aber nicht nur in Kunsthandwerk. „Ich möchte jungen Leuten weitergeben, was ich gelernt habe.“ Auch seine Freundin, die sich gerade als Graveurin ausbilden lässt, ist mit im Boot. Der 30-Jährige arbeitet nicht nur mit Mammutelfenbein, er verbindet und kombiniert dieses gerne mit Materialien wie Knochen, Geweihe, Tagua-Nüsse oder Bernstein. „Für das Elefantenelfenbein bin ich eine Generation zu spät dran“, fügt er hinzu.
Von den jungen Leuten, die eine Meisterprüfung machen, bleiben nicht viele bei dem Beruf des Elfenbeinschnitzers, erzählt Röck. Sie studieren oder machen eine weitere Ausbildung dazu. Als Beispiel nennt er einen jungen Mann, der nach einer weiteren Ausbildung als Holzbildhauer angefangen hat, ein Studium als Bildhauer in Karlsruhe zu absolvieren. Oder eine junge Frau, die Sozialpädagogik studierte und mit Suchtkranken arbeitet, die mit ihr im Rahmen einer Therapiemaßnahme regelmäßig begeistert in seine Werkstatt kommen.
„Schönheit als Last“
„Die Schönheit ist für den Elfenbeinschnitzer die größte Last“, meint Röck. Man schaffe etwas, was unvergänglich sei, etwas Endgültiges. „Für den Mülleimer probieren geht nicht.“ Auch wenn eine Figur herunterfalle und ein Teil abbreche, könne man es nicht wegwerfen. „Bei diesem wertvollen Material gibt es so viele Bedingungen, die man beachten muss“, sagt Corrigan. Die Unregelmäßigkeiten des Rohmaterials müsse man im Voraus in die Figur hineindenken und einbauen. Er zeigt einen Kranich, den er vor kurzem fertiggestellt hat, und weist auf einen Riss hin, der keinem auffällt, weil er zum organischen Bestandteil des Kunstwerks wurde. „So entsteht immer etwas Besonderes.“