Anschlag in Moskau - Kirillow-Attentat offenbart: „Russland hat ein gigantisches Sicherheitsproblem“

Das Jahr neigt sich dem Ende zu, nicht so der Krieg in der Ukraine. Für Aufsehen in dem nunmehr seit fast drei Jahren andauernden Konflikt sorgte zuletzt das Attentat auf den hochrangigen russischen General Igor Kirillow im Osten Moskaus. Die Ukrainer reklamieren die Tötung des Chefs der ABC-Abwehrtruppen für sich und verbuchen sie als militärischen Erfolg. 

An der Front sieht die Lage für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seine Truppen „derzeit nicht gut aus“, sagt der Verteidigungsexperte Gustav Gressel zu FOCUS online. Das Attentat auf den wichtigsten Mann aus dem Militär von Russlands Präsidenten Wladimir Putin im Hinblick auf den Schutz vor Gefahren durch atomare, biologische und chemische Kampfmittel habe hingegen eine hohe symbolische Bedeutung, auch für die Ukraine selbst. 

Kirillow-Attentat: „Ukraine toleriert Einsatz von chemischen Kampfstoffen nicht ungeschehen“ 

Kirillow gehörte zu den bekanntesten Gesichtern des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. „Vergeblich hat Kiew auf den Einsatz von chemischen Kampfstoffen durch die Russen hingewiesen, ohne dass das im Westen eine politische Reaktion hervorgerufen hätte“, erklärt Gressel. Dementsprechend unterstreiche das Attentat, dass die Ukrainer das nicht tolerieren werden. 

Der Kreml wirft der Ukraine nach dem Attentat „Terrorismus“ vor. „Es ist inzwischen offensichtlich, wer diesen terroristischen Angriff befohlen hat“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow in einer ersten offiziellen Reaktion der Regierung in Moskau am Mittwoch. „Es hat sich einmal mehr bestätigt, dass das Regime in Kiew nicht vor terroristischen Methoden zurückschreckt“, fügte er hinzu. 

Es sind, wie so oft, groteske Verdrehungen der Tatsachen. Schließlich ging der Krieg von Russland aus. Gezielte Tötungen von Entscheidungsträgern und hochrangigen Militärs sind Teil dieses von Russland geführten Krieges. So hatte die russische Seite in der Vergangenheit mehrfach versucht, Selenskyj auszuschalten – vergeblich. 

„Russland hat sich selbst ein gigantisches Sicherheitsproblem geschaffen“ 

Mit der Kirillow-Tötung haben die Ukrainer Furcht gesät. „Putin und seine Entourage haben auch Angst vor ukrainischen Vergeltungsangriffen“, sagt Gressel. Die Sicherheitsvorkehrungen um ihre Anwesen seien seit Beginn der Vollinvasion ständig verstärkt worden, vor allem die Flugabwehr gegen Drohnen. 

„Auf der anderen Seite war Kirillov nur von seinem Adjutanten begleitet“, sagt Gressel. Der Bezirk Ryazansky, in dem der 54-jährige General bei einer Explosion eines versteckten Sprengsatzes in einem Elektroroller getötet wurde, sei kein schlechter Bezirk, aber auch kein abgeschottetes Reichen-Viertel, welche die Top-Leute des Regimes bevorzugen. „Für einen russischen General wohnte der Mann erstaunlich ´gewöhnlich´“, meint der Experte. Daher sei er vermutlich auch ein leichteres Ziel gewesen als andere. 

Ein solches Attentat mitten im Feindesland bedarf einer gründlichen Vorbereitung: Das Objekt müsse ausgekundschaftet und beschattet werden, um eine Schwachstelle zu finden. „Aber Russland hat sich durch die Deportation tausender Ukrainer selbst ein gigantisches Sicherheitsproblem geschaffen“, sagt Gressel. 

„Stellen Sie sich vor, sie sind aus Mariupol, Russland hat ihre ganze Familie auf dem Gewissen. Natürlich würden sie sich von ukrainischen Geheimdiensten anwerben lassen, um Rache zu nehmen.“

Anschlag ist „ein Signal und eine Warnung an Putin und seine Mitstreiter“

Mittlerweile haben die russischen Ermittler nach eigenen Angaben einen Tatverdächtigen festgenommen. Er stammt den Angaben zufolge aus Usbekistan. „Ein usbekischer Staatsbürger, 1995 geboren, ist festgenommen worden“, so die Ermittler am Mittwoch.  

Der Schweizer Militärexperte Albert Stahel betont gegenüber FOCUS online die Folgen der Kirillow-Tötung. Aus seiner Sicht ist dieser Anschlag „ein Signal und eine Warnung an Putin und seine Mitstreiter“. Künftig werde kein Mitglied dieses Netzwerks mehr sicher sein. „Auch Putin könnte trotz seines Sicherheitssystems zum Ziel eines ukrainischen Anschlages werden.“ 

Dass es zu weiteren gezielten Anschlägen auf russischem Boden kommt, schließt Stahel nicht aus. „Bis Ende 1991 waren sowohl Russland als auch die Ukraine Teil der UdSSR. Die Gesellschaften beider Staaten weisen aufgrund der damaligen Verflechtungen immer noch enge Beziehungen und Verwandtschaften auf. Dank dieser Beziehungen kann Moskau jederzeit durch ein ukrainisches Kommando infiltriert werden“, so der Experte.