Der Grafinger Architekt Klaus Beslmüller (61) und seine Familie verwirklichen ein Mehrgenerationenhaus – mitten in der Stadt. Neun Wohnungen werden gebaut.
Grafing – Klaus Beslmüller deutet in die Baugrube. Der Bagger hinter ihm arbeitet, bald werden die Spundwände gezogen. Dort vorne wurde er geboren, sagt der Grafinger. Vor 61 Jahren im Haus seiner Eltern, mittlerweile abgerissen. Und an derselben Stelle will er einmal seinen Lebensabend verbringen. Aber nicht einsam, so wie er es von seiner Mutter und der Schwiegermutter kennt. Beslmüller baut mit seiner Familie auf dem Grundstück im Herzen Grafings ein Mehrgenerationenhaus.
„Irgendwann macht man sich so seine Gedanken, wie es im Alter weitergehen soll“, erklärt Beslmüller. Ein Einfamilienhaus zu zweit mit seiner Frau Sissi kam für den Architekten nicht infrage. Seit Monaten wohnen die beiden mit Tochter Sophia Jeanty und deren junger Familie unter einem Dach. Drei Generationen, eine Küche, ein Herd. „Es gefällt uns immer noch“, sagt Ehefrau Sissi. Ein guter Probelauf vor dem hoffentlich letzten Umzug, der für Sommer 2026 geplant ist.
Ganz so eng soll es im Mehrgenerationenhaus zwar nicht zugehen. Jede Partei bekommt ihre eigene Wohnung. Aber „aufeinander achten“ wolle man, sagt Sissi Beslmüller und malt sich aus: „Da gehen die Jüngeren vielleicht mal für die Älteren einkaufen und die Älteren schauen auf die Kinder, wenn die Kita mal ausfällt.“ Ein Geben und Nehmen. „Jeder wohnt alleine, lebt aber nicht alleine“, fasst Klaus Beslmüller zusammen. Irgendwas zwischen Kommune und anonymem Nebeneinander. „Möglichst ungezwungen, das ist wichtig.“
Insgesamt neun Wohnungen soll das Haus haben, das einmal dort stehen wird, wo jetzt die Baugrube ist. Für ein bis fünf Personen. Alles barrierefrei. „Für jeden das, was er braucht“, sagt der Architekt. Dazu Parkplätze, ein Gemeinschaftsraum mit Garten. Ihm schwebt ein bunter Mix an Mitbewohnern vor: Ältere, junge Familien, Alleinerziehende. „Eine Altersstruktur von 0 bis 99 Jahren“, das wär‘s.
Erste Interessenten sind schon da
Erste Interessenten haben sich für das Projekt „L4“ an der Lagerhausstraße 4 schon gemeldet, besonders für die Wohnungen für Alleinstehende. Familien waren bisher noch nicht darunter. Reserviert ist bisher nur eine Wohnung – und die der Bauherren selbst, ganz oben unterm Dach. Darunter drei Stockwerke mit Mietwohnungen. Die Beslmüllers und ihre beiden Töchter mit Familien bleiben Eigentümer. Die Familie finanziert und realisiert das Projekt gemeinsam, einziehen aber werden nur die Älteren. Tochter Sophia bleibt mit Mann und Kindern im Einfamilienhaus auf dem Nachbargrundstück, Tochter Klara lebt in Amsterdam.
Preislich orientiert sich die Miete am derzeitigen Markt für gut ausgestattete Neubauwohnungen in Grafing. Zwischen 1000 und 2000 Euro Kaltmiete – nicht jeder kann sich das leisten. „Wir haben viel gerungen, ob wir nicht günstiger werden könnten“, sagt Sissi Beslmüller, „aber das ist das Minimum, das wir darstellen können“. Schließlich sind sie und die Töchter Privatleute und mit jedem Cent am Bau beteiligt. Ihr Mann ergänzt: „Das Projekt muss am Ende eine schwarze Null tragen, mehr wollen wir gar nicht.“ Wenn es ihm ums Geld gegangen wäre, hätte er das zentrale Grundstück an einen Investor verkauft und sich entspannt zur Ruhe setzen können, sagt er.
Verein Wings sucht immer noch
Eine, die „L4“ interessiert beobachtet, ist Ottilie Eberl. Die Grünen-Stadträtin träumt bereits seit 13 Jahren von einem Mehrgenerationenhaus in Grafing. Sie hat den Verein „Wohnen in Nachbarschaft Grafing Stadt“ (Wings) gegründet und ist mit Mitstreitern seit langem auf der Suche nach einem passenden Grundstück – bisher erfolglos. Weder eine solvente Privatperson noch die Stadt habe sie für das Projekt – Eberl schwebt günstiger Wohnraum als Genossenschaftsbau mit staatlichen Förderungen vor – so richtig begeistern können, berichtet sie seufzend.
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„Jeder ist überzeugt davon, dass es in Grafing Mehrgenerationenwohnen braucht“, sagt sie. Aber letztlich sei es immer bei der Überzeugung geblieben, Taten hätten nicht gefolgt. „Und ich habe selbst kein Grundstück, auf dem ich etwas verwirklichen kann“, sagt die 70-Jährige mit Augenzwinkern Richtung Beslmüller. Aber sie fühle keinen Neid. Ganz im Gegenteil. „Das Thema ist hochaktuell, und ich bin dankbar für jeden, der den Diskurs belebt.“
Sie persönlich habe begonnen, sich auf eine andere Zukunft einzustellen. Doch auch wenn ihre Hoffnung langsam schwinde, mit Wings zeitnah ein Mehrgenerationenhaus zu bauen – sie kämpfe nach wie vor hoch motiviert weiter. „Das ist mein Herzensprojekt“, sagt sie. Die Notwendigkeit schreie einem schließlich entgegen.
Die Situation vieler Älterer sei „desolat und dramatisch“, sagt Ottilie Eberl. 80 Prozent der Senioren würden zu Hause betreut. Etwas anderes ließe auch künftig schon allein der Fachkräftemangel nicht zu. Aber viele Angehörige seien überfordert. „Solche Wohnprojekte können sehr viel abfedern“, sagt sie. Alternativ freilich auch ein gut funktionierender Freundeskreis. Jedem Bekannten rate sie: „Leute, nehmt eure Zukunft selbst in die Hand, überlegt euch was und werdet nicht einfach heimlich alt.“