Laut CIA: Putin hat Nawalnys Mord nicht direkt befohlen – Kreml reagiert
Die Liste der Merkwürdigkeiten um Nawalnys Tod ist lang. Doch US-Geheimdienste gehen offenbar nicht davon aus, dass es einen Mordbefehl von Putin gab. Ein Vertrauter des Kreml-Kritikers findet das „lächerlich“.
New York City – Als der Kreml-Kritiker Alexei Nawalny am 16. Februar in einem sibirischen Straflager starb, richtete sich der Blick schnell nach Moskau. Doch laut US-Geheimdienstinformationen ordnete der russische Präsident Wladimir Putin den Tod des Oppositionellen zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht an, wie es in einem Bericht des Wall Street Journal vom Samstag (27. April) hieß. Der Kreml kommentierte die Darstellung als inhaltsleere Lektüre, um das weltweite Lesepublikum am Samstag bei Laune zu halten.
Rätsel um Nawalnys Tod vertiefen sich: US-Geheimdienste halten Putin offenbar nicht direkt involviert
Nawalny saß seit 2021 in Russland eine 19-jährige Haftstrafe ab. Seit Ende vergangenen Jahres war der Oppositionelle in dem berüchtigten Straflager im sibirischen Permafrost inhaftiert: Die Strafkolonie „Polarwolf“ in der Region Jamal-Nenzen gilt als eines der härtesten Gefängnisse Russlands. Der Kreml-Kritiker hatte Schikane, Folter und fehlende medizinische Hilfe beklagt. Auch die immer wieder angeordnete Isolationshaft hatte ihm zugesetzt. Der Tod des Oppositionellen in dem Gefängnis unterstreiche „[...] nur die Schwäche und Fäulnis im Herzen des Systems, das Putin aufgebaut hat“, hatte US-Außenminister Antony Blinken im Februar kommentiert. „Russland ist verantwortlich“, so Blinken weiter.
Zahlreiche weitere westliche Politiker gaben ebenfalls dem Kreml die Schuld am Tod des Kreml-Gegners. US-Geheimdienste gehen aber davon aus, dass Putin den Tod Nawalnys nicht direkt angeordnet hatte. Das berichtete das Wall Street Journal (hinter Paywall) unter Berufung auf US-Geheimdienstquellen. Dies entbinde den Kremlchef zwar nicht von seiner Verantwortung, vertiefe aber das Rätsel um den Tod des im Februar in einem Straflager gestorbenen Dissidenten, hieß es in dem Bericht weiter. Dieser Meinung seien etwa die CIA, das Büro der US-Geheimdienstkoordinatorin und die Nachrichtendienstabteilung des US-Außenministeriums. Einige europäische Nachrichtendienste seien über die US-Einschätzung informiert worden, hieß es weiter.

Kremlsprecher Dmitri Peskow kommentierte den WSJ-Bericht mit den Worten: „Ich würde nicht sagen, dass es sich um Material hoher Qualität handelt.“ Offiziellen Angaben aus Moskau zufolge soll Nawalny bei einem Rundgang im Gefängnishof zusammengebrochen sein. In seinem Totenschein steht ein Ableben aus „natürlichen Ursachen“. Nawalnys Angehörige und Anhänger sprechen hingegen von Mord, der Kreml wies diese Anschuldigungen zurück.
Welche Indizien gegen eine direkte Involvierung Putins sprechen
US-Geheimdienste gehen demnach davon aus, dass Putin den Tod Nawalnys nicht geplant hatte, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Neben US-Geheimdienstinformationen zieht der Bericht der Zeitung auch öffentlich bekannte Fakten heran. Ein Indiz, das demnach gegen einen Auftragsmord spricht, ist das Timing: Rund einen Monat später fanden in Russland die Präsidentschaftswahlen statt, die von dem Vorfall überschattet wurden.
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Zudem hatte sich Putin vor Nawalnys Tod offen für einen Gefangenenaustausch gezeigt. Dabei sollte der Oppositionelle gegen den in Deutschland inhaftierten russischen „Tiergarten-Mörder“ getauscht werden. Laut Bericht des Wall Street Journals hätten US-Präsident Joe Biden und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nur eine Woche vor dem Tod über den Austausch gesprochen.
Nawalny-Vertrauter findet Einschätzung der US-Geheimdienste „lächerlich“
Nawalny war bereits im Jahr 2020 Opfer eines Mordanschlags mit dem Nervengift Nowitschok geworden, der Verdacht fiel damals auf den russischen Geheimdienst. Leonid Wolkow, ein Vertrauter Nawalnys, wies die nun vom WSJ berichtete Einschätzung der US-Geheimdienste zum Tod Nawalnys als naiv zurück. „Die Vorstellung, dass Putin nicht informiert gewesen ist und die Tötung Nawalnys nicht gutgeheißen hat, ist lächerlich.“
Die Liste an Merkwürdigkeiten um den Tod des Kreml-Kritikers ist lang. Um nur ein paar zu nennen: Nur zwei Tage vor seinem Tod im Straflager hatten Beamte des russischen Geheimdienstes FSB das Straflager besucht, wie die Menschenrechtsorganisation Gulagu.net berichtete. Wenige Tage nach dem Tod hatte Putin Beamte des Strafvollzugs befördert.
Zudem weigerten sich die russischen Behörden mehr als eine Woche lang, den Leichnam Nawalnys an seine Mutter zu übergeben. Die Angehörigen hatten dahinter den Versuch gesehen, die Beteiligung an Nawalnys Tod zu verschleiern. In einem am Vortag seines Todes veröffentlichten Video war Nawalny in körperlich recht guter Verfassung zu sehen, wie AFP berichtete. Gerade der Zeitpunkt sei eine Botschaft Putins gewesen, glaubt indes die georgische Präsidentin Salome Surabischwili. „Ich denke, es war kein Zufall, dass der Tod von Nawalny wenige Stunden oder Minuten vor Beginn der Münchner Konferenz bekannt gegeben wurde“, so die Politikerin zur Deutschen Presse-Agentur. Es sei eine Botschaft für die Konferenz gewesen (bme mit dpa/AFP).