„Joker“ meint es Ernst: Der Abrams-Panzer wird für die Ukrainer zur Todesfalle
Falsche Munition, falsche Panzerung: Der US-Abrams macht sich unbeliebt unter ukrainischen Panzerfahrern. Die sprechen fast von Himmelfahrtskommandos.
Kiew – „Neulich haben wir 17 Schuss in ein Haus hineingefeuert, und es hat immer noch gestanden“, sagt „Joker“. Der Panzermann antwortet in ruhigem Ton, aber das Video des US-amerikanischen Nachrichtensenders CNN zeigt deutlich seine angespannten Gesichtsmuskeln. Er wirkt zerknirscht über das ungenügende Material, mit dem die 47. mechanisierte Brigade der Ukraine gegen die Truppen von Wladimir Putin antreten muss. Dabei fährt er den Bezwinger von Iraks ehemaligen Diktator Saddam Hussein: einen M1A1 Abrams der US-Armee. „Joker“ fühlt sich im Stich gelassen.
„Es mangelt an Masse“, lautete das nüchterne Fazit. Bereits Mitte Juni vergangenen Jahres hatte das German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS) auf einem Symposium die Bedeutung der westlichen Kampfpanzer für den erfolgreichen Ausgang des Ukraine-Krieges in Frage gestellt. Jetzt, fast ein Jahr später sind die Panzer-Besatzungen der Verteidiger desillusioniert. „Warum haben wir so wenige davon, und warum dauert der Nachschub so lange?“, sagt „Joker“ auf die Frage von CNN-Reporter Nick Paton Walsh. Aber„Joker“ bedrückt noch mehr – er fühlt sich in dem Fahrzeug mittlerweile fast wie in einem Himmelfahrtskommando.
Kritik der Ukraine: Zu viel Kondenswasser, zu dünne Panzerung, zu wenig passende Munition
Kondenswasser würde auf die Elektrik tropfen, die Panzerung sei gegen Drohnenangriffe zu dünn, und die Munition sei auch falsch für den Einsatz, in die der Abrams gezwungen wird, sagt er. Er verfeuere Munition für den Panzerkampf, aber auf artilleristische Ziele – wo sie dann ihre Wirkung verfehlten. Das Magazin Soldat & Technik hatte schon zu Beginn des Krieges davor gewarnt, einen Krieg in einem ehemaligen Partnerland des Warschauer Paktes mit Nato-Mitteln zu kämpfen, ohne sich dessen möglichen Folgen bewusst zu sein: „Im Gegensatz zum Kartenspiel Panzerquartett werden Waffensysteme in den Streitkräften nicht als singuläre technische Objekte, sondern als elementarer Teil eines Ganzen betrachtet, das im Rahmen des Gefechts verbundener Waffen oder Operationen verbundener Kräfte eingesetzt wird“, schreibt Waldemar Geiger.
„Eine Beobachtungsdrohne erspähte den Panzer östlich der von den Russen eroberten Ortschaft Stepove, vor dem von den Ukrainern gehaltenen Berdychi. Von dort aus rollte er vermutlich zu einer Feuerposition. Schon dieser Einsatz war gewagt, um nicht zu sagen selbstmörderisch“
Feuerkraft, Panzerschutz und Beweglichkeit, sind die drei Säulen der Panzerwaffe – wenn sie entsprechend eingesetzt werden: Ein Abrams als immobile Waffe büßt ein Drittel ihres Wertes ein; Geiger spricht vom „Einsatzwert“. Der Abrams gelte als das primäre Ziel russischer Raketen und kann sich ohne Bewegung oder Unterstützung kaum dagegen wehren. Drohnenangriffe machten ihnen zu schaffen, sagt „Joker“; dafür sei die Panzerung nicht ausgelegt. Sie hätten die Panzerung von Hand verstärken müssen und beispielsweise auch Käfige gegen die Drohnen an der Oberseite befestigen müssen.

Im Zweiten Golfkrieg 1991 erlebte der Panzer seinen ersten Kriegseinsatz gegen den Irak, erinnert das Magazin Schweizer Soldat: „Beim Duell M1A1 Abrams gegen T-72 Ural zeigten sich die amerikanischen Panzer bezüglich Zielgenauigkeit und Ersttrefferwahrscheinlichkeit, vor allem auf Distanzen über 1.800 Meter, überlegen. Die Terrainverhältnisse in der irakischen Wüste ermöglichten Panzerangriffe auf breiter Front mit maximaler Waffenentfaltung. Der Erfolg der Bodenoffensive zeigte, dass nebst panzerstarken, durch moderne Helikopter unterstützten Verbänden, das Präzisionsfeuer der Artillerie von zentraler Bedeutung war“, schreibt Marc Lenzin.
Putins weitsichtige Aufklärung Jeder Meter für den Abrams ein Himmelfahrtskommando
Der damalige US-Oberkommandierende, General Norman Schwarzkopf, befehligte das, was dem ukrainischen Oberbefehlshaber Oleksandr Syrskyj aktuell fehlt: das rollende Material für das Gefecht der verbundenen Waffen und der damit einhergehende Raum, um die Beweglichkeit eines Panzers in Feuerkraft umzusetzen. Die ukrainische Armee habe ihre Abrams-Panzer Ende April aus der Front genommen, um weitere schwere Verluste zu vermeiden, wie das Magazin Militarywatch berichtet hat: Ukrainische Quellen hätten bedauert, dass der Abrams kaum irgendwo operieren könne, ohne aufgeklärt zu werden. Selbst Verlegungen scheinen aktuell schwierig geworden zu sein.
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Im Februar berichtete der Stern vom vermutlich ersten Abschuss eines Abrams: Der sei von einer Billigdrohnen zur Strecke gebracht worden. „Eine Beobachtungsdrohne erspähte den Panzer östlich der von den Russen eroberten Ortschaft Stepove, vor dem von den Ukrainern gehaltenen Berdychi. Von dort aus rollte er vermutlich zu einer Feuerposition. Schon dieser Einsatz war gewagt, um nicht zu sagen selbstmörderisch“, beschrieb Gernot Kramper das Dilemma..
Gelieferte Panzer: Für die Nato ist die Summe kein Sicherheitsrisiko
31 Panzer hatte die US-Regierung der Ukraine versprochen und inzwischen auch geliefert. Am Beispiel der Zahl der in die Ukraine gelieferten Leopard-Panzer bezeichnete Dr. Ralf Kirsten die Summe der westlichen Unterstützung als bei weitem unzureichend: „Die Lieferung von vier Prozent der Panzerbestände der Allianz ist per se vernachlässigbar“, unterstrich der Oberst im Generalstab. Für den Abrams gilt ähnliches angesichts der mehr als 2.500 Abrams verschiedener Typen im Bestand der US-Armee. Die Einsatzbereitschaft westlicher Streitkräfte bleibe seiner Meinung also auch trotz der Waffenlieferungen erhalten.
Für die Ukraine ist der Mangel wiederum tödlich: „Bei einer Frontlinie von rund 2.000 Kilometern und einem Gefechtsstreifen eines Panzerbataillons von rund fünf Kilometern Breite gibt es hier nur einen sehr begrenzten Aktionsraum“, sagt Kirsten. Wobei die ukrainischen mechanisierten Brigaden häufig zusammengewürfelt sind und eher kein koordiniertes Zusammenwirken von Panzergrenadieren, Artillerie, Aufklärern, Pionieren und anderen Truppengattungen“ bedeuten, wie Kirsten die Grundsätze der Bundeswehr erläutert.
Die Klagen von „Joker“ und seinen Kameraden über deren Ausrüstung entstammen allerdings genauso der Logik eines dynamischen Krieges. Soldat & Technik beschreibt die Herausforderungen an die ukrainischen Soldaten und deren westliche Ausbilder: Die Ukrainer wären zwar in die Bedienung der Fahrzeuge eingewiesen worden, hätten aber auf taktischer Ebene ihre Defizite, weil die Verbände im Einsatz waren und das Kämpfen im Verband den Ukrainer selbst überlassen werden musste, wie Waldemar Geiger über die Anfänge der Ausbildungen zu Beginn des Krieges schrieb.
„Schnelligkeit vor Gründlichkeit ist die Devise, da die Ukraine die Systeme eher gestern als heute braucht. Konsequentermaßen würden die ukrainischen Streitkräfte dann im laufenden Gefecht selbst herausfinden müssen, wie die jeweiligen Systeme am zweckmäßigsten eingesetzt werden, um einen möglichst hohen Einsatzwert erzielen zu können.“
Als die Abrams-Panzer konzipiert wurden, kam die Bedrohung aus der Luft überwiegend von Helikoptern. Im Ukraine-Krieg verwickelt die Drohne den Panzer in die Art Gefecht, die er vermeiden will, worauf der Stern hinweist: „Der Kommandant eines Kampfpanzers will dem Gegner nie die Seite und schon gar nicht die Rückseite zeigen, sondern stets die stark gepanzerte Front“, schreibt Gernot Kramper. In der Ukraine nimmt aber die Drohne den Panzer von oben ins Visier. Auch da macht die Masse den Unterschied.
Im Verlauf des ersten Kriegsjahres hatte der vormalige ukrainische Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj gegenüber dem britischen Economist davon gesprochen, dass er 300 Panzer bräuchte. Und noch Mitte Juni vergangenen Jahres sagte Oberst Kirsten gegenüber dem GIDS: „Um eine Wende im Ukraine-Krieg herbeizuführen, müssten mindestens viermal mehr Panzer zugesagt und mindestens achtmal mehr als bisher geliefert werden.“ All das hat sich bewahrheitet.
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