„Müssen in den sauren Apfel beißen“: Das sagt die SPD-Basis zur Großen Koalition

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Nach dem schlechtesten Ergebnis ihrer Geschichte könnte die SPD – im Bild die Willy-Brandt-Statue in der Berliner Parteizentrale – vor dem Eintritt in die ungeliebte Große Koalition stehen. Die Genossen im Landkreis sehen es mit gemischten Gefühlen. © Hannes P Albert

Die Große Koalition ist bei der SPD eigentlich eine ungeliebte Option – und doch scheint jetzt nichts anderes übrigzubleiben. Stimmen von der Parteibasis im Tölzer Land.

Bad Tölz-Wolfratshausen – Mit dem amtlichen Endergebnis der Bundestagswahl steht es fest: Eine Koalition aus CDU/CSU und SPD ist möglich. Unter den Genossen, die erst einmal das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte verdauen müssen, ist die sogenannte Große Koalition eigentlich eine ungeliebte Option. An der Parteibasis im Landkreis stellt man sich dennoch darauf ein – mal mit mehr, mal mit weniger Begeisterung.

Koalition mit CDU/CSU wäre „wahrscheinlich vernünftig“

„Mir wäre es lieber, wenn die SPD nicht in eine Große Koalition einsteigen müsste“, sagt Tobias Raphelt, Vorsitzender der SPD Lenggries. „Das Problem ist nur: Wirkliche Alternativen gibt es nicht.“ Von Neuwahlen würden beide Parteien sicher nicht profitieren. „Aber wenn wir es machen, dann sollten die Konditionen akzeptabel sein“, betont der Lenggrieser. Dazu gehört für Raphelt, dass es keine tiefgehenden Einschnitte beim Bürgergeld gibt, dass das Recht auf Asyl nicht eingeschränkt und dass die Ukraine weiter unterstützt wird.

Gerade mit Blick auf die Verhältnisse in Österreich „ist es wahrscheinlich vernünftig, wenn die SPD auf die CDU/CSU zugeht“, findet Angelica Dullinger, die Kochler SPD-Ortsvorsitzende. „Da bin ich pragmatisch.“ Eine Regierungsbeteiligung der SPD sieht sie zudem als Chance, die Union „zurückzupfeifen“, nachdem diese zuletzt bei einem Antrag und einem Gesetzesentwurf im Bundestag Stimmen der AfD akzeptiert hatte.

Frauenrechte und Artenschutz als wichtige Inhalte

Der Wolfratshauser Ortsvorsitzende Holger Hohmann zeigt sich überzeugt: „In der jetzigen weltpolitischen und auch in der innenpolitischen ökonomischen Lage brauchen wir eine handlungsfähige Regierung für die nächsten vier Jahre – da stehen parteitaktische Überlegungen hinten an.“ Als Aufgabe der SPD sieht er es, darauf zu achten, dass Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung nicht einseitig auf Kosten der sozial Schwachen gehen, und dass Klima- und Artenschutz „nicht vergessen werden“. Seine Parteikollegin Dullinger nennt zudem Frauenrechte als wichtiges Anliegen, auf das die Genossen pochen sollten.

Grundsätzlich „nicht begeistert“ von einer Großen Koalition ist Ansgar Pernice, der Vorsitzende der SPD Benedikt㈠beuern-Bichl-Bad Heilbrunn. „Wenn sich zwei Parteien der Mitte zusammentun, stärkt das die Ränder“, befürchtet er. Ihm persönlich wäre eine Koalition, die weiter links steht, lieber gewesen. „Auch eine Regierung aus der Union und der FDP wäre ein klarer Weg gewesen, bei dem die Wähler nach vier Jahren sagen könnten, ob sie ihn gut fanden oder nicht.“ Das Wahlergebnis aber gibt das nicht her, „und so werden wir nicht um eine Große Koalition herumkommen“, so Pernice. Seine Hoffnung: „dass die Union einsieht, dass der europäische Weg der richtige ist und nationale Alleingänge schlecht sind“. Das gelte für die Migration wie für andere Themen.

„Unwohlsein“ beim Gedanken an Große Koalition

„Für die Demokratie in Deutschland wäre eine Große Koalition richtig und wichtig“, sagt der Tölzer SPD-Chef Michel Ernst. „Rein aus SPD-Sicht würde ich aber sagen, es wäre besser, jetzt vier Jahre Opposition zu machen.“ Denn das Wahlergebnis sei eindeutig „desaströs“. Nun komme alles auf das Ergebnis der wohl anstehenden Koalitionsverhandlungen an. „Im Wahlkampf hat Herr Merz ja eigentlich gesagt, dass in drei Jahren Ampel alles Mist war. Das würde ein klares Nein zur SPD bedeuten.“

Mit „Unwohlsein“ ist der Gedanke an die Koalition mit der Union auch für den Geretsrieder SPD-Vorsitzenden Martin Bruckner verbunden. „Aber wir werden in den sauren Apfel beißen und versuchen müssen, den Koalitionsvertrag so zu gestalten, dass vieles von dem, was Herr Merz vor der Wahl ausgegeben hat, abgemildert wird.“ So spricht sich Bruckner gegen die Rücknahme von Bürgergeld oder Heizungsgesetz aus. Damit die SPD in der Großen Koalition nicht untergeht, kommt es aus Sicht des Geretsrieders darauf an, „selbstbewusst und lauter“ aufzutreten.

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Um die demokratischen Verhältnisse stabil zu halten, sieht die Kochlerin Angelica Dullinger aber auch alle Bürgerinnen und Bürger vor Ort in der Verantwortung. Durch aktive Arbeit an der Basis ließen sich die Menschen erreichen. „In Kochel haben wir das zweitbeste SPD-Ergebnis im Landkreis“, freut sich Dullinger. „Wir werden aber Unterstützung brauchen.“ Die zeichnet sich teils bereits ab. In Lenggries verzeichnete Raphelt zuletzt vier Neueintritte, Bruckner in Geretsried zwei. Je einen Neuzugang begrüßten die Ortsvereine Benediktbeuern-Bichl-Bad Heilbrunn und Wolfratshausen. (ast)

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